Statt den von den Windenergieorganisationen prognostizierten 2.200 bis 2.400 Megawatt (MW) oder wie noch zum Jahresende von ihnen weit vorsichtiger geschätzt 2.000 MW hat die Branche 2021 gerade noch die 1.900-MW-Marke deutlich übertroffen. Das berichteten der Bundesverband Windenergie und VDMA Power Systems zusammen mit dem Statistikdienstleister Deutsche Windguard bei der Bilanz (Download PDF) zum Windkraftausbau in Deutschland. 1.925 MW installierten die Windenergieunternehmen von Anfang Januar bis Ende Dezember. Klagen gegen genehmigte Windparkprojekte, Umgenehmigungen von Windparkdesigns aufgrund beispielsweise einer Anpassung der Turbinenleistungen an die während des langen Projektierungszeitraum fortgeschrittene Windenergieanlagenentwicklung, dabei weiterhin lange Verfahrensdauern und coronabedingte Verzögerungen in den Lieferketten und beim Bau der Windparks, zählte der Geschäftsführer von VDMA-Power-Systems, Denis Rendschmidt, als Gründe auf: „Das hat den Bau auch bereits bezuschlagter Projekte zeitlich nach hinten geschoben.“
Der noch verhaltene Zubau ist aber möglicherweise mehr denn je auch eine Folge des Ausfalls der süd- und mitteldeutschen Regionen für den Windkraftausbau. Wie die Organisationen bilanzieren, steigerte sich die bisher schon extreme Konzentration der Windturbineninstallationen auf die führenden Nord-Bundesländer eher noch. So sind drei Viertel – präziser: 74 Prozent – der neu installierten Erzeugungskapazität in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg ans Netz gegangen. Die Länder im Süden und Südosten, Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen trugen bei einem Anteil von rund einem Drittel an der bundesdeutschen Landesfläche dagegen nur 7,4 Prozent zu den Turbineninstallationen der Windkraft bei. Und auch alle 7 der 13 Flächen-Bundesländer zusammen, deren Landesfläche überwiegend der geografischen Südhälfte der Bundesrepublik zuzurechnen sind, vereinen nur 17 Prozent der neuen Bruttoinstallationen.
Die im vergangenen Jahr neu installierte Erzeugungskapazität – bei Stilllegung von Altanlagen mit einer Kapazität von zusammen 233 MW – führte zu einer Erhöhung des jährlichen Brutto-Kapazitätszubaus im Vergleich zum Vorjahr um ein Viertel. 2020 hatte der Bruttozubau 1.431 MW betragen. Dabei geht die Zunahme des Windenergiemarktes nur zum Teil auf wieder zunehmende Installationen zurück, zu einem wesentlichen Teil aber auch auf die immer größeren und leistungsstärkeren Turbinen. So errichteten die Windenergieunternehmen 2021 im Vergleich zum Vorjahr um ein Siebtel mehr neue Anlagen, 484 statt 420. Zugleich erhöhte sich die durchschnittliche installierte Nennleistung pro Anlage 2021 im Vergleich zu 2020 deutlich von 3,41 auf 3,98 MW.
Auch für 2022 scheint die Beschränkung des Ausbaus auf die nordwestdeutschen windreicheren Länder schon zementiert. Die vier Führungsländer ziehen aber nicht nur aufgrund ihrer verhältnismäßig einfacher zu beplanenden, flacheren Landschaften und aufgrund landschaftlich bedingt geringeren Luftturbulenzen davon, wie VDMA Power Systems und BWE erklären. Alleine auf Schleswig-Holstein entfielen in den drei Ausschreibungsrunden von 2021 Zuschläge für Einspeise-Vergütungsrechte eines Gesamtvolumens von 870 MW. Zusammen bringen es die vier Führungsländer sogar auf Vergütungszuschläge für 2.456 MW. Dies entspricht 74,5 Prozent an 2021 neu bezuschlagten 3.296 MW in ganz Deutschland.
„Der leichte Aufwärtstrend setzt sich fort“, kommentierte Hermann Albers die Entwicklung beim Ausbau der Windkraft an Land als oberster Windenergie-Branchenvertreter. Mit Blick auf den erforderlichen Zubau gemäß der Eröffnungsbilanz des neuen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und gemäß dem durch die neue Bundesregierung anvisierten erhöhten Erneuerbaren-Anteil an der Stromversorgung 2030 verwies der BWE-Präsident allerdings auf den Bedarf an einem dreifach höheren jährlichen Ausbau schon ab Mitte des Jahrzehnts. Um diesen zu ermöglichen, werde Deutschland mehr „Zubau in allen Bundesländern brauchen“. Hierfür sei die Ausgangslage „dramatisch schlecht“.
Albers verwies auf länderspezifische Hindernisse, die dem bundesweiten Windparkzubau in benötigtem Umfang im Wege stehen: In Bayern sei durch die sogenannte 10-H-Regel – ein Mindestabstandsgebot um Siedlungen der zehnfachen Windturbinengesamthöhe für neue Projektgenehmigungen – eine positive Ausbauentwicklung „abgewürgt worden“, sagte Albers. In Baden-Württemberg sei dagegen eine landesspezifische Hauptursache, dass es „immer wieder zu Hemmnissen im Bereich Naturschutz“ komme. Auf Nachfrage von ERNEUERBARE ENERGIEN ergänzte der BWE: Entsprechend „ist die Debatte zum Artenschutz in BaWü besonders schwierig“. In Hessen haben die Regionalplaner dagegen, so die Bewertung des Geschäftsführers von VDMA Power Systems, keine netto nutzbare Fläche ausgewiesen: sondern Flächen, die teilweise aufgrund beispielsweise ihrer Nähe zu Siedlungen oder aufgrund von Konflikten mit anderen im Regionalplan ausgewiesenen Nutzungszwecken wie Naturschutz nur eingeschränkt sich für Windparks eignen.
Die Windenergievertreter forderten rasche Sofortmaßnahmen wie die Erleichterung von Genehmigungen von Straßentransporten für die Windparkkomponenten, für die es in drei Wochen nach einem Antrag von den Behörden grünes Licht geben müsse. Zudem forderten sie einen freizügigen Zugang ausländischer Fachkräfte auch von außerhalb der Europäischen Union (EU) zur Beschäftigung in Windenergieunternehmen, um das Personal für die Errichtung der Windparks sowie für Service und Wartung im Windparkbetrieb zu sichern. Außerdem müssten kostentreibende Einfuhrzölle und Abgaben wegfallen. Auch den Installationsbetrieb verkomplizierende deutsche bürokratische Sonderwege im EU-Vergleich müssten schnell wegfallen, verlangten die Windkraftvertreter. Dazu gehöre beispielsweise die Einstufung von Windturbinentürmen als Bauwerke und nicht als Maschinen, was die Genehmigungsverfahren verlängere. Auch eine auf die Bedürfnisse der Windturbinenstraßentransporte angepasste Verkehrswegeplanung nannten der BWE-Präsident und der Chef von VDMA Power Systems.
Zu den kritisierten deutschen Sonderwegen zählen seit längerem auch die in Deutschland besonders weiträumigen Tabuzonen um sogenannte Drehfunkfeuer und Radare zur Absicherung des An- und Abflugverkehrs um Flughäfen. Würden die Mindestabstände für Windparkprojekte von 15 auf 10 Kilometer reduziert, seien bis zu sieben Gigawatt (GW) projektierte und derzeit noch blockierte Erzeugungskapazität sehr schnell als weiteres Potenzial gehoben, betonte BWE-Präsident Albers. Zudem lobten Albers und Rendschmidt die von der Bundesregierung angekündigten Maßnahmen einer einfacheren Genehmigung für den Austausch alter gegen neue leistunsgfähigere Anlagen, das Repowering, einer Ausweisung von zwei Prozent der bundesweiten Fläche für die Windkraftnutzung sowie eines „Jahr für Jahr definierten Ausbaus“.
Weil die meisten Reformen und auch die geforderten Sofortmaßnahmen auf 2022 noch wenig bis keinen Einfluss haben dürften, erwartet die Windenergiebranche einen Zubau neuer Windparks an Land mit einem Erzeugungsvolumen von nur noch 2,3 bis 2,7 GW. Auch hier senken die Branchenvertreter nun eigene frühere Prognosen.
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