Als die rot-grüne Koalition im Jahr 2000 mit dem Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) und dem Atomausstieg die Energiewende einläutete, war ziemlich früh klar, dass das deutsche Stromnetz mit dem raschen Ausbau von Windkraftanlagen im Norden bald an seine Grenzen stoßen würde. Anfang 2005 legten Energieversorger, Netzbetreiber und die Branche der Erneuerbaren gemeinsam eine erste Netzstudie vor, die den Ausbaubedarf bis 2015 und 2020 skizzierte. 845 km zusätzliche Leitungen im 380-kV-Übertragungsnetz müssten demnach mindestens gebaut werden, um die steigenden Mengen an Windstrom über Deutschland verteilen zu können. Das Szenario war bescheiden und wurde über die Jahre stetig erweitert. Mittlerweile sind fast 8.000 km geplant Passiert ist seitdem wenig.
Windstrom schon 2005 abgeregelt
Schon 2005 mussten Windmüller in Norddeutschland ihre Anlagen bei windigem Wetter immer häufiger abschalten, weil das Stromnetz überlastet war. Der verlorene Strom wurde den Windmüllern dennoch bezahlt. Gleichzeitig mussten die Betreiber der Stromnetze den entgangenen Strom anderweitig ausgleichen. Einspeisemanagement und Redispatch – ein kostspieliges Unterfangen: 2017 kostete den Stromverbraucher der unterlassene Netzausbau so 1,4 Mrd. Euro, 2016 waren es 0,9 Mrd. Euro, 2015 1,1 Mrd. Euro.
Die Rechnung zahlt der Stromverbraucher
Regelmäßig legte die Bundesregierung neue Gesetzesvorschläge und Ausbauziele vor, die immer wieder den Durchbruch beim Stromnetzausbau bringen sollten. Die bürokratischen Wortungetüme hießen: Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz (2006), Energieleitungsausbaugesetz (2009), Netzausbaubeschleunigungsgesetz (2011) oder Bundesbedarfsplangesetz (2013). Zäh und langsam schleppt sich der Netzausbau seitdem dahin. Und wenn eine Bürgerinitiative etwas gegen geplante Strommasten vor den Toren ihres Dorfes hat, knickt die Bundesregierung willig ein und verlegt die Kabel als Gleichstromleitung für den dreifachen Preis einfach unter die Erde. 50 Milliarden Euro sollen es mal werden. Immerhin: Die Kosten dafür belasten nicht den Bundeshaushalt, die Rechnung zahlt der Stromverbraucher.
Nachdem Angela Merkel 2005 die Regierung übernahm, kam die Energiewende zum Erliegen. Das EEG – ursprünglich als schlankes, effizientes und effektives Gesetz 2000 verabschiedet – wurde über die Jahre verschlimmbessert und entwickelte sich zu einem undurchdringlichen und kostspieligen Paragrafen-Dschungel. Die EEG-Umlage, die ebenfalls der Verbraucher über die Stromrechnung zahlt, wuchs und wuchs: von 0,45 ct/kWh im Jahr 2005 auf 6,76 ct/kWh 2020. 2017 zahlten die Stromverbraucher so rund 24 Mrd. Euro. Ein Drittel davon bestritten die Privathaushalte.
Kostenexplosion mindert Akzeptanz der Energiewende
Die Kostenexplosion unter den Regierungen Merkels haben die Akzeptanz der Energiewende stark untergraben. Die Menschen nehmen Klimaschutz als angeblich kostspielige Notwendigkeit zähneknirschend in Kauf. Und die Blockade der Bundesregierung zeigt Erfolg: Der Ausbau der Windenergie stockt bereits. Die Bundesregierung fürchtet den vermeintlichen Zorn der Windpark-Anwohner und erschwert die Planungen mit unpraktikablen Abstandsregelungen. Und 2021 gehen die ersten EEG-Anlagen aus dem Jahr 2000 in Rente, soweit sie keine Anschlussfinanzierung finden. Über fünf Gigawatt könnten dem regenerativen Kraftwerkspark so verloren gehen und in den Folgejahren weitere Kapazitäten. Rückschritte in der Energiewende sind vorprogrammiert. Wie konnte es soweit kommen?
Unter Umweltminister Röttgen wollte Union Ausstieg aus dem Atomausstieg
Die Union und ihr Klientel waren nie sonderlich an der Energiewende interessiert. Unter dem Umweltminister Norbert Röttgen wollten Union und FDP 2010 den Atomausstieg sogar wieder rückgängig machen. Ärgerlich für die Strategen im Konrad-Adenauer-Haus, dass der GAU im japanischen Fukushima 2011 dazwischenkam. „Verzögern, verhindern und vertrösten“ lautet seitdem die Energiewendestrategie aller bisherigen Energieminister. So setzt auch die aktuelle Wasserstoff-„Strategie“ der Bundesregierung für die nächsten Jahre weiter auf forschen, warten und evaluieren. Der deutschen Stahlindustrie, die dringend auf grünen Wasserstoff als Ersatz für Kokskohle angewiesen wäre, läuft inzwischen die Zeit davon: Mit Beginn der 4. Emissionshandelsperiode 2021 werden die alten Hochöfen zu einer schmerzhaften finanziellen Belastung für die eh schon kriselnden Stahlschmieden.
Und die schwindsüchtige SPD vermutet immer noch ihre Wählerschaft bei den Kohlekumpels, die es jedoch schon lange nicht mehr gibt. Die „Glück-auf“-Folklore der Sozialdemokratie kommt den Steuerzahler ebenfalls teuer zu stehen. Die Kosten für den Kohleausstieg lassen sich RWE etc. mit vielen Milliarden für ihre unrentablen oder abgeschriebenen Kraftwerke vergolden. Schon bislang zahlte der Stromverbraucher für stillgelegte, aber in „Reserve“ befindliche Kohlekraftwerke Hunderte von Millionen Euro.
Am Anfang oder am Ende der Energiewende?
Heute stehen wir immer noch am Anfang der Energiewende. Im Energiesektor Strom werden zwar bereits knapp 40 Prozent aus regenerativen Energiequellen erzeugt. In den Sektoren Wärme jedoch nur rund 14 Prozent und im Sektor Verkehr nicht einmal sechs Prozent. Nun nimmt der Strom-Sektor mit 21 Prozent leider den kleinsten Teil am deutschen Endenergieverbrauch ein. Würde man in den nächsten 20 Jahren allein den Verkehr mit Ökostrom und die Stahlindustrie mit grünem Wasserstoff dekarbonisieren, dann benötigen wir in Zukunft einen exponentiellen Zuwachs an Windenergie- und Solaranlagen. Der ist jedoch nicht in Sicht.
Es ist noch ein weiter Weg in die regenerative Zukunft. Doch wenn der Ausbau erneuerbarer Energien und des Stromnetzes nicht ganz so zügig vorankommen, dann stünden ja noch viele Kohlekraftwerke in Reserve bereit, um unseren Energiebedarf zu decken. Das wäre das Ende der Energiewende und eine gelungene Blockade-Politik. 20 Jahre EEG sind heute leider kein Grund zu feiern. Auf ein konstruktives Szenario der Bundesregierung für eine sichere und regenerative Strom- und Wärmeversorgung darf man weiter gespannt sein.
Über den Autor: Matthias Hochstätter arbeitet seit über 20 Jahren in Berlin als Journalist und Berater in den Branchen Digitalisierung und Energiewende.
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