Die Turbulenzintensität einer Windenergieanlage (WEA) kann zu erheblichen Beeinträchtigun-gen bei benachbarten WEA führen. Dem kann insbesondere durch Abschaltverpflichtungen gegenüber einem der betroffenen Anlagenbetreiber begegnet werden. Wirtschaftliche Einbußen des Abschaltverpflichteten sind die notwendige Folge. Dies wirft die rechtliche Frage auf, welchem Betreiber benachbarter WEA-Standorte entsprechende Betriebseinschränkungen auferlegt werden dürfen.
Das Prioritätsprinzip wurde zwar bislang in benannten Konstellationen angewandt, ist jedoch noch nicht durch höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt worden. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) stellt mit seinem Urteil vom 25. Juni 2020 (Az. 4 C 3/19) nunmehr fest, dass das Prioritätsprinzip auch bei störenden Turbulenzen zwischen zwei benachbarten WEA, zentraler behördlicher Entscheidungsmaßstab ist.
Die Entscheidung des BVerwG vom 25. Juni 2020
Die Kläger sind Inhaber eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids zur Errichtung einer WEA. In diesem wurde insbesondere die Zulässigkeit der Planung im Hinblick auf die Turbulenzintensität festgestellt. 200 m von dieser WEA entfernt wurde nach Erlass des Vorbescheids der Kläger der Bau und Betrieb einer weiteren WEA einer anderen Betreiberin genehmigt. Zeitgleich mit Erlass dieser (Voll-)Genehmigung erließ die Behörde gegenüber den Klägern ebenfalls eine Genehmigung, die mit Nebenbestimmungen in Bezug auf drohende Turbulenzen der WEA versehen war. Hiergegen wenden sich die Kläger. Das hier besprochene Urteil des BVerwG bestätigt das Ergebnis der Vorinstanzen:
Das Immissionsschutzrecht enthalte keine Regelungen, welche von mehreren genehmigungspflichtigen Anlagen Vorrang im Genehmigungsverfahren genieße. Es ergebe sich aber aus den verfahrensrechtlichen Ordnungsprinzipien ein Prioritätsprinzip, das den ersten Antragsteller begünstige. Von diesem Prinzip der Vorrangigkeit könne die Genehmigungsbehörde nicht ohne Weiteres abweichen. Insbesondere liege es nicht im Ermessen der Behörde, wem einschränken-de Pflichten beim Anlagenbetrieb auferlegt werden dürfen. Das Prioritätsprinzip schaffe so für die Beteiligten Rechts- und Planungssicherheit.
Um den Vorrang zwischen mehreren Anlagen zu bestimmen, sei der Zeitpunkt maßgeblich, in dem ein prüffähiger Genehmigungsantrag vorliege. Der Antrag sei als prüffähig anzusehen, wenn die Unterlagen sich zu allen rechtlich relevanten Aspekten des Vorhabens verhalten und sie die Behörde in die Lage versetzen, den Antrag unter Berücksichtigung dieser Vorgaben näher zu prüfen. Nicht erforderlich sei es, dass bereits die Genehmigungsfähigkeit der Anlage attestiert werden könne.
Mit der Einreichung prüffähiger Unterlagen durch die Kläger und den darauf ergangenen Vorbescheid entfalte sich die Bindungswirkung für die Behörde hinsichtlich der Turbulenzbewertung der WEA. Der Vorbescheid wirke nunmehr dahingehend, dass im Hinblick auf die Turbulenzintensität die Genehmigung weder versagt noch - zum Schutz anderer Anlagen - mit Abschaltregelungen belegt werden dürfe.
Das BVerwG stellt in dieser Entscheidung damit zugleich fest, dass das Prioritätsprinzip ebenso im Verhältnis von immissionsschutzrechtlichem Vorbescheid und (Voll-)Genehmigung gilt. Ein Vorbescheid hat damit die gleiche Bindungswirkung für die behördliche Entscheidung, welchem Vorhaben der Vorrang zu geben ist.
Autorin: Dr. Lisa Löffler, Rechtsanwältin bei der Kanzlei GÖRG
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