Womöglich hätte es für die Branche kaum besser kommen können: Der Abgang der FDP vom Regierungssitz mittendrin gleich ganz hinunter von der politischen Bühne sowie die neue Stärke der CDU bei gleichzeitiger rechnerischer Mehrheit für ein rot-rot-grünes Bündnis lässt ganz viel zu. Jedenfalls sind plötzlich sämtliche Regierungskonstellationen möglich, die sich die Erneuerbaren-Szene vor dem Urnengang als realistisch und für sie zugleich bessere Alternative errechnen konnte: Am wahrscheinlichsten gelten Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün.
Beide möglichen Neu-Koalitionäre für eine Zusammenarbeit mit der CDU, SPD und Bündnis 90/Grüne, hatten sich im Wahlkampf für eine Beschleunigung der Energiewende und verlässlichere Politik für die Erneuerbaren ausgesprochen. Dem bisherigen Bundesumweltminister Peter Altmaier von der knapp an der absoluten Mehrheit gescheiterten CDU wurde von Kritikern aus der Branche zuletzt vorgehalten, er wolle mit dem Koalitionspartner FDP und unterstützt von seiner Partei die Energiewende scheitern lassen. Die dringend ausstehende Energiemarktreform, wachsende Ungleichgewichte im Kraftwerksausbau sowie den unnötigen Strompreisanstieg habe Schwarz-Gelb deshalb nicht mehr angepackt. So wollte Schwarz-Gelb den Erneuerbaren die Schuld an einem folgenden energiewirtschaftlichen Chaos geben können, lautet die These. Tatsächlich hatten sich vor der Wahl vor allem hochrangige FDP-Politiker gegen eine zügige Energiewende geäußert.
BWE: Neue Bundesregierung aktiver
Am schnellsten meldete sich am Montagmorgen die Präsidentin des Bundesverbandes Windenergie (BWE), Sylvia Pilarsky-Grosch. Sie erwarte „von einer neuen Bundesregierung einen aktiveren Beitrag zur Unterstützung der Energiewende“, teilte der Windkraftverband mit. Und sie hielt mit Blick auf Reformen fest: „Gerade die Mindestpreisvergütung und der Einspeisevorrang machen den Erfolg der Energiewende in Deutschland aus. Wer es ehrlich meint, muss beides erhalten. Darüber wie sich Kostensenkungspotentiale heben lassen oder wie die Ausbauziele stabilisiert werden können, muss es Gespräche auf Augenhöhe geben.“ Ein solides Einspeisemanagement der Netze solle zudem dazu führen, „dass nicht mehr als ein Prozent der erzeugten Energie ausgesperrt wird“. Bislang sorgen Netzengpässe in manchen Regionen dafür, dass Windenergie- und Solarstrom-Anlagen in nachfragearmen Zeiten bei gutem Grünstromwetter abgeregelt werden müssen.
BEE: Ohne FDP – vier Jahre Klimaschutz und Energiepolitik
Nicht weniger kämpferisch aber zuversichtlicher äußerte sich Montagmittag der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE). Dessen Geschäftsführer Hermann Falk bezieht sich sogleich auf die Totalabsage der Wähler an die FDP als in seinen Augen gutes Teilergebnis: „Die Extrem-Positionen der FDP gegen die Energiewende und gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) haben die wichtige erneuerbare Mittelstandswirtschaft düpiert. Das hat dazu beigetragen, dass Klimaschutz und Energiepolitik nun vier Jahre lang ohne die FDP gestaltet werden können.“ Allerdings warnt der BEE-Mann zugleich vor zu großen Hoffnungen an die neue wahrscheinlichste Regierungsvariante. Ein Ruck geht in diesem Fall energiepolitisch wohl nicht durch Deutschland: Es sei „zu befürchten, dass eine große Koalition eine Stagnation bei der Energiewende bedeutet – denn da treffen sich einige rote Kohlebefürworter mit schwarzen Masterplanern.“
Juwi: Bremser sind weg
Der CEO des rheinland-pfälzischen Solar-, Bio- und Windenergie-Projektierungsunternehmens Juwi jubelt unverhohlen: „Mit Rösler und Brüderle sind die größten Bremser weg“. So verweist der Juwi Chef auf die FDP-Spitzen Philipp Rösler als bisheriger Wirtschaftsminister und Parteivorsitzender zugleich sowie Fraktionschef Rainer Brüderle. Es biete sich nun die „einmalige Chance, der ins Stocken geratenen Energiewende neuen Schwung zu verleihen“.
Der Projektentwickler fordert zudem, die Politik solle nun mit einer CO2-Steuer und der Reduzierung der Ausnahmeregelungen für die Industrie bei der EEG-Umlage den Strom um vier Cent pro Kilowattstunde senken. Beim Photovoltaik-Modul- und –Anlagenhersteller IBC Solar Solar-Udo Möhrstedt, Vorstandsvorsitzender und Gründer der IBC SOLAR AG, ruft der Vorstandsvorsitzende nur zum Handeln auf: „Genug geredet! Die Bundesregierung muss die Energiewende anpacken und die Erneuerbaren stärken.“ Und: „Ab sofort darf es nicht mehr um Parteipositionen gehen, sondern darum, die lange aufgeschobenen Hausaufgaben zu erledigen!“
BUND: Zeit für ein Zwölf-Punkte-Programm
Der Umweltschutzverband BUND sieht in der neuen Konstellation offenbar auch eine Chance, die Politik neu anzupacken. „Die kommende Bundesregierung muss die Energiewende vorantreiben“, lässt der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger verlautbaren. Wichtigste Aufgabe des nächsten Bundesumweltministers sei es, „die positiven Wirkungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes abzusichern“. Schon in der nächsten Legislaturperiode könne so der Anteil erneuerbarer Energien im Strommix um mindestens 50 Prozent steigen. Immerhin hat der Umweltschutzverband bereits eine Zwölf-Punkte-Forderungsliste für die neue Regierung erarbeitet, das er auf seiner Homepage präsentiert.
Energieexperte Fell muss Bundestag verlassen
Derweil hat sich bereits ebenfalls am Montag der als wohl erfahrenster Energieexperte der Grünen geltende Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell verabschiedet. Auch er schaffte es nicht mehr in den Bundestag. „Damit wurde mir durch die Grüne Delegiertenversammlung in Bayern“, so notiert er, „und das schlechte Wahlergebnis für die Grünen im Bund leider die Möglichkeit genommen, aus dem Bundestag heraus meine Arbeit für die Erneuerbaren Energien fortzusetzen.“ Dies passiere „genau in der Phase, wo die Erneuerbaren massiv durch die Kampagnen der alten Energiewirtschaft unter Druck gesetzt werden“. Offenbar erwartet der langjährige energiepolitische Sprecher der Fraktion nicht zu viel Eigeninitiative von einer möglichen neuen schwarz-roten Koalition: Die Furcht der alten Energiewirtschaftseliten vor der Energiewende habe „eine massive Gegenbewegung aus der konventionellen Energiewirtschaft hervorgerufen, die von Union, FDP und auch Teilen der SPD aufgegriffen wurde.“
Eine Meinung, die übrigens auch der britische Informationsdienstleister und Anbieter von Branchenanalysen Bloomberg teilt:
Bloomberg: Schwarz-Rot vorsichtig mit energieintensiver Industrie
Auf jeden Fall werde die Reform des EEG in der neuen Regierung „eine Priorität erhalten“, ist sich Bloomberg in einer Sofort-Analyse vom Dienstag offenbar sicher. Auch die Lasten der Verbraucher durch die EEG-Umlage beim Strompreis würden reduziert. Dabei legt sich der Branchenanalyst in seinem Ausblick ohne es explizit zu sagen auf eine Koalition der CDU mit der SPD fest. Das schwarz-rote Bündnis werde aber die Ausnahmen der Industrie von der Bezahlung der EEG-Umlage „nur teilweise“ zurücknehmen. Diese Ausnahmen gelten als einer der Treiber für die EEG-Umlagekosten der übrigen Stromverbraucher. Doch Schwarz-Rot werde hier aber deshalb nicht zu sehr eingreifen, weil beide Parteien als industrienah gelten müssten.
(Tilman Weber)