Katharina Wolf
Die Politik verspielt die Unterstützung für die Energiewende. Wie die neuesten Ergebnisse des dritten Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers zeigen, stimmt die überwiegende Mehrheit der Deutschen den politischen Zielen der Energiewende zu. 82 Prozent der Befragten versteht die Energiewende als Gemeinschaftsaufgabe, zu der jeder in der Gesellschaft einen Beitrag leisten sollte – ein Anstieg um zwei Prozentpunkte (PP) gegenüber dem Vorjahr. Die Kritik an der Umsetzung nimmt jedoch im Vergleich zu 2018 ebenfalls erneut zu. So sagen
- 78 Prozent die Energiewende seit zu teuer (plus 3 PP),
- 66 Prozent die Umsetzung sei chaotisch (plus 6 PP),
- 56 Prozent halten das Vorgehen der Politik für ungerecht und
- 52 Prozent sagen, die Energiewende sei elitär.
„Dass die Diskrepanz zwischen der allgemeinen Zustimmung zu den Zielen der Energiewende einerseits und der Bewertung der Umsetzung andererseits so deutlich ist und über die Jahre sogar noch zunimmt, ist höchst überraschend“, sagt Ortwin Renn, wissenschaftlicher Direktor am federführenden Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam. „Denn Vergleichbares erleben wir bei Befragungen sehr selten. Wir können uns dies nur so erklären, dass die Menschen zu den politischen Akteuren zunehmend geringeres Vertrauen haben.“
Befragte sehen wenig Einflussmöglichkeiten
Auffällig sei gleichzeitig, wie gering die Menschen ihre eigenen Mitwirkungsmöglichkeiten einschätzen. Nur jeder Fünfte erkennt die Möglichkeit, bei der Energiewende Einfluss zu nehmen und mitzusprechen.
„Weil das so ist, droht das viel beschworene Gemeinschaftswerk Energiewende zu einem leeren Versprechen zu werden“, sagt Stephan Muschick, Geschäftsführer der beteiligten innogy Stiftung für Energie und Gesellschaft. „Die Politik wäre gut beraten, hier umzulenken, und die Energiewende wieder zu einem Projekt zu machen, zu dem sich die Menschen zum Mitmachen eingeladen fühlen.“
Mehr als 80 Prozent wollen PV - doch die Politik zögert
Das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer zeigt aber auch, dass die Menschen mehrheitlich mehr Windenergie an Land wollen, fast zwei Drittel unterstützen den Kohleausstieg und mehr als die Hälfte der Befragten ist prinzipiell bereit, für den Klimaschutz höhere Energiekosten zu tragen. Die Unterstützung für Photovoltaik übertrifft noch die für Windenergie: Den Ausbau von Solaranlagen auf Freiflächen befürworten 63 Prozent, Solaranlagen auf Hausdächern sogar 85 Prozent. In den aktuellen Vorschlägen zur EEG-Reform findet sich indes keine Regelung zur Aufhebung des Solardeckels, der die förderfähige PV-Leistung auf 52 GW begrenzt - und schon bald erreicht ist.
Ergebnisse zeigen einen differenzierten Blick auf die Energiewende
Die Befragten vertreten zudem klare Ansichten darüber, wie die Mehreinnahmen aus einem CO2-Preis zu verwenden seien. 60 Prozent lehnen es ab, dass die Mittel in den Bundeshaushalt fließen, aber auch eine Rückzahlung an die Bürgerinnen und Bürger wird skeptisch gesehen. Die deutliche Mehrheit spricht sich dafür aus, dass die Einnahmen für Investitionen in ein klimafreundliches Verkehrssystem und den Ausbau von erneuerbaren Energien investiert werden.
Insgesamt zeigten die Ergebnisse, dass die Menschen in Deutschland einen differenzierten Blick auf Energiewende haben, so Studienautor Ingo Wolf: „Sie sind mehrheitlich bereit Mehrkosten zu tragen und Maßnahmen zu akzeptieren, die einen effektiven Beitrag zur Emissionsminderung und einem nachhaltigen Klimaschutz leisten.“ Gleichzeitig erwarteten sie von den politischen Akteuren ein rasches, zielgerichtetes und sozial gerechtes Vorgehen sowie bessere Möglichkeiten der Mitsprache und Teilhabe an energiepolitischen Entscheidungen. „Diese Erwartungen werden jedoch bislang noch nicht ausreichend erfüllt und tragen wesentlich zur aktuellen Unzufriedenheit in der Bevölkerung bei.“
Das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer zur Energiewende wurde im Jahr 2019 zum dritten Mal erstellt. Mehr als 6.500 Bürgerinnen und Bürger in Deutschland wurden zu ihren Einstellungen, Erfahrungen und Präferenzen der Energiewende befragt. Ein interaktives Onlinetool ermöglicht, individuelle Darstellungen.
Tipp: Sie wollen keinen Beitrag zur Energiepolitik verpassen? Dann abonnieren Sie doch den kostenlosen erneuerbareenergien.de-Newsletter. Hier geht es zur Anmeldung.