Auf der einen Seite haben Energiegenossenschaften das erforderliche Know-how für die Planung, Entwicklung und das Betreiben von Energieprojekten, insbesondere wenn Bürgerbeteiligung eine wichtige Rolle spielen soll. Auf der anderen Seite verfügen Wohnungsbaugenossenschaften über Wissen, das für die Pflege und Weiterentwicklung ihres Gebäudebestands erforderlich ist. Nachfolgend werden Möglichkeiten und Beispiele einer Zusammenarbeit beider Genossenschaftsformen im Rahmen der Energiewende veranschaulicht.
Keine langfristig verlässlichen Rahmenbedingungen
Mieterstrom, Energiecontracting, Mikronetze, virtuelle Kraftwerke, Eigenstromnutzung, intelligente Messgeräte sind nur einige der vielen Schlagworte, die bei der Diskussion über die Energiewende 2.0 eine Rolle spielen. Hinter jedem dieser Begriffe stecken vielfältige Konzepte und Ansätze, um die Zukunft der Energieversorgung wirtschaftlicher, effizienter, dezentraler und stabiler zu organisieren. Den Stein der Weisen, wie diese Konzepte von der Pionier- in die Mainstreamphase übergeleitet werden könnten, scheint aber noch niemand gefunden zu haben. Die unstete Politik, die keine über einen längeren Zeitraum verlässlichen Rahmenbedingungen bietet, tut hier ihr Übriges, um die Energiewende in Deutschland zu entschleunigen.
Gleichzeitig gibt es eine weitgehende Einigkeit darüber, dass für eine erfolgreiche Energiewende Strom- und Wärme konzeptionell eng miteinander verbunden sein müssen. Immer wieder wird betont, die größten Potenziale der Energiewende liegen im Gebäudebestand. Energieeffizienz ist eines der Zauberworte, das zurzeit in der Richterskala der Nennungen ganz weit oben steht, wenn darüber sinniert wird, wie es mit der Energiewende weitergehen soll. Außerdem gibt es eine hohe Übereinstimmung darüber, dass die Menschen, die Nutzerinnen und Nutzer von Energie, bei allen Konzepten einzubinden sind. Nur so lassen sich die Umsetzungsbarrieren entscheidend verringern.
Vorbild Volks- und Raiffeisenbanken
Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass zwei Organisationsformen, durch deren Zusammenarbeit sich all diese Erwartungen, Anforderungen und konzeptionellen Ansätze am besten verwirklichen lassen, nur äußerst selten zusammen genannt werden. Auch in der Realität gibt es bisher erst vergleichsweise wenige Modellbeispiele. Angesprochen sind hier die Wohnungs- und Energiegenossenschaften. Beide werden von ähnlichen Anliegen geprägt, der genossenschaftlichen Selbsthilfe und der Förderung der Mitglieder. Beide sind Organisationsformen, bei denen es nicht um die optimale Gewinnerzielung geht, sondern um die Schaffung eines besonderen Nutzens für die Mitglieder. Ließe sich dieser Nutzen nicht in bester Weise herstellen, wenn Energie- und Wohnungsbaugenossenschaften nach gemeinsamen Umsetzungsmöglichkeiten der Energiewende suchen und diese konsequent angehen?
Die Volks- und Raiffeisenbanken haben es bereits vorgemacht. Sie konnten in vielen Kommunen durch die Initiierung oder Zusammenarbeit mit Energiegenossenschaften ihr Image verbessern. Sie haben sich neue Geschäftsfelder für die Finanzierung im Energiesektor erschlossen. Ihnen ist es gelungen, mehr Lebendigkeit und Entwicklungsoffenheit hinzubekommen, indem sie sich neuen Kulturen und Denkweisen geöffnet haben, die mit der Energiewende und den Menschen, die sich dort besonders engagieren, verbunden sind. Wohnungsbaugenossenschaften könnten es ihnen gleichtun. Was die Finanzwirtschaft kann, müsste die Wohnungswirtschaft allemal hinbekommen.
Gemeinsam (Energie-)Schätze heben
Durch die Zusammenarbeit zwischen Wohnungs- und Energiegenossenschaften können Schätze gehoben werden, die nicht besonders tief verborgen liegen. Diese Schätze würden den Wohlstand und das Wohlergehen der Mitglieder beider Unternehmensformen erheblich verbessern helfen. Sie würden dazu beitragen, dass sich beide im künftigen Energiemarkt als wichtige Akteure etablieren, die die Entwicklungen aktiv mitbestimmen und sich nicht von den Entwicklungen treiben oder gar überraschen lassen.
Das alte Geschäftsmodell der meisten Energiegenossenschaften, Photovoltaikanlagen bauen und betreiben und durch den eingespeisten Solarstrom auf Grundlage des EEGs, des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, Erträge zu erzielen, stagniert seit der Novellierung des EEGs 2014. Der Markt ist in diesem Bereich durch die massiven politischen Eingriffe weitgehend eingebrochen. Um die ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel, den Vertrauensvorschuss der Bürger, ihr Know-how zu energietechnischen und -wirtschaftlichen Lösungen und das hohe Engagement ihrer Mitglieder nutzen zu können, benötigen Energiegenossenschaften neue Geschäftskonzepte und Tätigkeitsfelder.
Wohnungsgenossenschaften profitieren
Viele Wohnungsbaugenossenschaften klagen über immer neue Auflagen aus der Politik zur Energienutzung und Energieeffizienz. Einige weisen einen Investitionsstau auf, so dass sie mit ihren knappen finanziellen Mittel sorgfältig umgehen müssen. Gleichzeitig verfügen die meisten über einen attraktiven Wohnungsbestand, in dem Energiekonzepte der Nahwärme, des Mieterstroms, der Einsparinvestitionen und vieles andere mehr Sinn machen. Nennenswerte Umsätze mit Geschäftstätigkeiten außerhalb der Vermietung sollten sie möglichst vermeiden, um die Vorteile des Status der steuerbefreiten Vermietungsgenossenschaft nicht zu gefährden. Außerdem könnten einige Wohnungsbaugenossenschaften neue Marketingaktivitäten für die Vermietung an attraktive Zielgruppen gut gebrauchen. Auch mehr Mitglieder mit Engagement und der Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme würden ihrem genossenschaftlichen Image gut tun.
So können die Stärken und Schwächen beider Genossenschaftsformen sich im Idealfall wie zwei Seiten eines Reißverschlusses zusammenfügen. Ein besseres Marketing als sich im Bereich der Energiewende zu engagieren und dadurch neue Zielgruppen zu erschließen als durch die Zusammenarbeit mit Energiegenossenschaften ist für Wohnungsbaugenossenschaften kaum möglich. Gleichzeitig erleichtert dies ihnen, mehr finanzielle Mittel für Neubau oder erforderliche Sanierungen einzusetzen, wenn sie bei Energieinvestitionen auf die Zusammenarbeit mit Energiegenossenschaften setzen. Diese wiederum bekommen durch solche Kooperationen die Möglichkeit der Weiterentwicklung zu Prosumentenenergiegenossenschaften. Sie realisieren so neue Geschäftsmodelle, in denen die erzeugte Energie direkt vor Ort möglichst zeitnah mit der Erzeugung von ihren Mitgliedern genutzt wird. Win-Win-Situation werden solche Bedingungen genannt, in der alle Beteiligten und Betroffenen einen Vorteil erzielen. Indem alle wechselseitig die Interessen des Partners ausreichend berücksichtigen, können sie so eine langfristige Zusammenarbeit erschließen.
Geburtshelfermodell in Leverkusen
Tatsächlich finden solche nutzbringenden Kooperationen zwischen Wohnungs- und Energiegenossenschaften bereits statt. Zu den ersten gehört die Zusammenarbeit des Gemeinnützige Bauverein Opladen eG (GBO) mit der Neue Energie Leverkusen eG (www.neue-energie-leverkusen.de). Der Bauverein war einer der Initiatoren der Gründung, so dass hier von dem Ansatz eines Geburtshelfermodells gesprochen werden kann. Ziel war von vornherein, für den Wandel hin zu einer umweltfreundlichen und klimaschonenden Energieerzeugung zu stehen und ein Signal für die dringend benötigte Aufbruchsstimmung in der Region in und um Leverkusen zu setzen.
Gegründet wurde die Energiegenossenschaft im April 2012. Erstes konkretes Projekt waren vier Wohnblöcke des GBO, die bis Ende Juni 2012 mit Photovoltaikanlagen auf den Dächern ausgerüstet wurden. 200.000 Euro kostete dieses Vorhaben, das der Bauverein bereits seit längerem geplant hatte. Mit der Finanzierung durch die Energiegenossenschaft konnten diese Mittel an anderer Stelle im Wohnungsbestand investiert werden.
Das Heidelberger Mieterstrommodell
Mit ihrem Mieterstrommodell sind die HEG Heidelberger Energiegenossenschaft eG und die Familienheim Baugenossenschaft Heidelberg eG bundesweit bekannt geworden. Anlässlich des internationalen Jahres der Genossenschaften unterzeichneten sie einen Vertrag zum Bau mehrerer Solaranlagen auf Häusern der Baugenossenschaft in Nußloch. In Betrieb genommen wurden die Anlagen im Juni 2013. Die gesamte Modulfläche von 3.000 m² verteilt sich auf sieben Dächer der Mehrfamilienhaussiedlung. Mit einer Leistung von 445 Kilowatt (kW) erzeugen sie pro Jahr rund 370.000 Kilowattstunden (kWh) sauberen Strom – genug für über 100 Durchschnittshaushalte. Im Vergleich zur üblichen Südausrichtung wird die Stromerzeugung durch eine Ost-Westorientierung in die Morgen- und Abendstunden verlagert, wenn der Strombedarf der Mieter am höchsten ist.
Die insgesamt 116 Mietparteien können Strom direkt aus diesen Anlagen beziehen. Mit dem Mieterstrommodell wird deutlich, dass Solarstrom bei entsprechenden Bedingungen günstiger ist als konventioneller Strom aus dem Netz und dass auch Mieter profitieren können. Zu einem Preis von 25,4 Cent pro kWh und einer monatlichen Grundgebühr von 6,95 Euro versorgt Naturstrom, Dritter im Bunde, die Mieter mit einer Mischung aus Solarstrom von „Ihrem“ Dach und Ökostrom aus Wind und Wasser.
Zukunftsmodell aus Regensburg
Energiekonzepte können weit über Strom- und Wärmelieferung hinausgehen. Dies verdeutlicht das Zukunftsmodell der Wohnungsbaugenossenschaft Nabau eG und der Bürger Energie Region Regensburg eG gemeinsam mit der Naturstrom AG. 2014 hat die Nabau eG ein sogenanntes Effizienzhausplus errichtete. Das „Haus mit Zukunft“ ist ein genossenschaftliches Mehr-Generationen-Wohnprojekt für 35 Haushalte im Regensburger Stadtteil Burgweinting. In dem rundum nachhaltigen Neubau stammen Strom und Wärme zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energien. Nicht nur der Strom für alle Wohneinheiten, auch der Hausstrom, der Strom für die Elektroauto-Ladestation und für die Wärmepumpe kommt aus regenerativen Quellen, zum Teil direkt mit Solarstrom vom Dach, der Rest über die Naturstrom AG.
Der Arbeitspreis beim Berr-Naturstrom-Stromvertrag beträgt 24,16 Cent brutto und liegt rund vier Cent unterhalb des bundesweit durchschnittlichen Grundversorgungstarifs. Der monatliche Grundpreis beträgt 7,95 Euro brutto, respektive 12,95 Euro brutto für eine Vertragsvariante mit Smart-Metering und zentraler Fernauslesung der intelligenten Zähler. Über ein Solar-Log-System kann künftig das Verbraucherverhalten der Stromabnehmer ausgewertet und visualisiert werden – ein Schritt in Richtung optimierter Direktversorgung, das heißt einer Verlagerung des Stromverbrauchs in jene Zeiten, zu denen die hauseigene Photovoltaikanlage besonders viel Sonnenstrom liefert. Damit ist künftig eine differenzierte Preisgestaltung denkbar für Direkt- und Netzstrom als zusätzlicher Steuerungsanreiz für die Verbraucher, auf die Nutzung der selbsterzeugten Energie verstärkt selbst zu achten.
Potenziale weiter erschließen
Allein schon diese drei Modelle verdeutlichen, wie unterschiedliche und wie viele Gestaltungsmöglichkeiten in der Zusammenarbeit von Wohnungs- und Energiegenossenschaften liegen. Bei der sogenannten „Energiewende 2.0“ geht es vor allem um Ansätze der zuletzt skizzierten Formen der Kooperation, bei denen die Synchronisierung von Erzeugung und Verbrauch auf der Nachfrageseite Kosten senkt und gleichzeitig hilft, Markthemmnisse abzubauen. Sie machen deutlich, dass es bei dezentralen Energiekonzepten möglich ist, die Stromnachfrage an die fluktuierende Erzeugung anzupassen. Mit der Einbindung von BHKWs und Speichertechnologie sind hier auch viel weitergehende Ansätze durch gemeinsam entwickelte Konzepte von Wohn- und Energiegenossenschaften machbar: Sie werden es uns noch in vielfältiger Weise zeigen.
Autor: Burghard Flieger, Innova eG und Solar-Bürger-Genossenschaft eG, Freiburg