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Kommentar zur Wende beim Klimawandel

Klimaschutzarbeit im Detail heißt auch: Ansiedelung in der Lausitz

Nicole Weinhold

Im 24. Jahr sind nun wieder die Vertreter der Staaten rund um den Globus auf der Weltklimakonferenz versammelt, um eine Lösung für das Problem der anthropogenen Klimaerwärmung zu finden. Die Dringlichkeit steigt dramatisch: Die Polkappen schmelzen, seit 1979 haben sie 40 Prozent ihres Eises verloren. Überschwemmungen gehören fast schon zu den täglichen Nachrichten, 2018 wurden sämtliche Temperaturrekorde gebrochen, Asphalt wird immer häufiger zur klebrigen Falle für Flugzeug- und Autoreifen. Städte wie Miami und New York City könnten 2070 überflutet sein.

Rekordwert 52 Gigatonnen CO2

Die globale Herausforderung heißt derzeit, dass nach drei Jahren Stagnation bei den globalen Emissionen diese 2017 weiter gestiegen sind - auf einen neuen Rekordwert von 52 Gigatonnen CO2. Uns bleibt nichts übrig als zu versuchen die Menge so zu begrenzen, dass wir die Klimaziele einhalten, damit wir Perspektiven zum Erhalt des Planeten haben. Die internationale Staatengemeinschaft muss ihre Anstrengungen mindestens verdreifachen, um die Klimaziele des Paris-Abkommens einzuhalten.

Simone Peter fordert ambitionierte Rahmenbedingungen

Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE) erklärte gerade auf den Windenergietagen NRW in Bad Driburg, man müsse von der regionalen über die nationale bis zur internationalen Ebene den Weg zeigen, was Energiewende heißt: „Es ist klar, dass das ein riesiger ökologischer und gesellschaftlicher Kraftakt ist.“ Die Transformation sei nötig und möglich. „Wir brauchen dazu aber ambitionierte Rahmenbedingungen.“ In Deutschland hat ein Expertengremium gerade vor dem Bundestag erklärt, dass man die Anstrengungen bei Wind und Solar mindestens verdoppeln müsste, um die nationalen Klimaschutzziele zu halten.

Vorreiter ist Deutschland schon lange nicht mehr. Viele Politiker trauen sich nicht für den Klimaschutz die entsprechenden gesetzlichen Weichen zu stellen, weil sie meinen, die Menschen würden nicht mitgenommen. Diese verzagte, starre Haltung der Regierung beim Thema Energie führt dazu, dass Deutschland im europäischen Vergleich abgeschlagen ist, bei Wärme und Mobilität sowieso, aber auch mittlerweile im Stromsektor. Wir landen statt bei 18 Prozent im Jahr 2020 bei 16,3 Prozent Erneuerbarenanteil am Endenergieverbrauch. Wir kommen bei Wärme und Mobilität nicht voran und bringen die Sektorenkopplung nicht auf den Weg. Auf der Weltklimakonferenz sind wir ohne vorzeigbares Ergebnis vertreten. Der Eckpunkteplan der Kohlekommission kommt erst im Februar.

Tiefer Einblick in die Lausitz

Reiner Priggen, Vorsitzender des Landesverbands Erneuerbare Energien in NRW (LEE NRW) berichtete auf den Windenergietagen in Bad Driburg aus seiner Arbeit in der Kohlekommission und erklärte dabei heruntergebrochen auf die regionale Ebene, wie das globale Klimaversagen zustande kommt.

„Warum gibt es die Kommission überhaupt? Weil völlig klar ist, dass die Bundesrepublik ihre Ziele beim Klimaschutz verfehlen wird“, so Priggen. „Wir wissen, 2020 sollten wir mal minus 40 Prozent CO2 haben. Wir werden bei allerhöchstens 33 Prozent landen.“ Die Kommission habe die Aufgabe, was Klima und Energiewende angeht Vorschläge zu unterbreiten für weitere Stilllegungen von Kraftwerken, um möglichst nah an das 2020er Ziel heranzukommen. „Dass man das schafft, glaubt keine. Wir sollen Vorschläge machen, wie das 2030er Ziel für die Energiewirtschaft von minus 61 Prozent sicher zu erreichen wäre. Und wir sollen einen Vorschlag für ein Enddatum der Kohleverstromung machen“, erklärte der Grüne Politiker.

Die Kohlekommission fokussiere sich rein auf den Stromsektor. Die Gebäude oder Mobilität zu betrachten sei Aufgabe einer separaten Kommission. „Unsere Aufgabe ist es, für die öffentliche Stromversorgung das Ziel so zu hinterlegen, dass wir 2030 bei den genannten 88 Millionen Tonnen Emissionen liegen. Das heißt im Fokus steht erstens die Braunkohle, zweitens die Steinkohle.“

Zweiter Teil der Aufgabe sei der Strukturwandel. „Wir haben in der Bundesrepublik drei aktive Reviere, das Rheinische Revier mit 9.000 Beschäftigten.“ Die Anpassung laufe hier schon Jahrzehnte. Anders ist der Prozess im Osten: In der Lausitz gibt es das Revier mit 9.000 Beschäftigten. Das Mitteldeutsche Revier, Halle, Bitterfeld hat 2.000 Beschäftigten. „Ich habe im Sommer fünf Exkursionen in die Lausitz gemacht um zu verstehen, was da passiert. Was man lernt: Die haben eine traumatische Erfahrung mit der Widervereinigung gemacht“, so Priggen.

„Sie kommen in Städte, wo nach der Wende 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung abgewandert sind. Die Lausitz hat nicht das Problem, dass sie zu wenige Arbeitsplätze hat. Die haben Fachkräftemangel. Die haben auch nicht das Problem, dass sie Ausbildungsplatzmangel haben. Die kriegen nicht genug junge Leute. Wenn die Hälfte geht und der Rest ein durchschnittliches Einkommen von 16.000 Euro im Jahr hat, dann ist es schwer, dass so ein Ort wieder hochkommt. Deswegen gibt es im Osten einen unglaublichen Druck und einen Kampf, diesen einzigen Großindustriebereich, den sie haben, die Energieversorgung, zu verteidigen“, erklärt Priggen. Und aus dieser Situation seien die Ministerpräsidenten aus dem Osten nochmal in die Bremse gegangen. Zusagen zum Strukturwandel, die nicht richtig konkret sind, reichten nicht. „Die wollen verbindliche, mit Finanzzahlen hinterlegte Zusagen haben.“ Wenn entsprechend ein Teil der Ministerpräsidenten androhe, dem Kompromiss nicht zuzustimmen, habe das im Bundesrat Gewicht. „Wir haben in Sachsen und Brandenburg demnächst Landtagswahlen, und da gibt es Orte wo die AfD bei 65 Prozent liegt. Also gibt es da eine gewisse politische Angst und den Wunsch mit konkreten Zusagen bedient zu werden“, erklärte der Grüne.

Miese Bahninfrastruktur

Im Bereich Strukturwandel diskutiert die Klimakommission auch über Infrastruktur: den Ausbau schneller Stromnetze. Aber es geht auch stark um den Ausbau der Eisenbahnverbindung. „Die Bahnstrecke Berlin-Cottbus-Görlitz-Breslau, die Geschwindigkeit ist dort langsamer als sie zu Beginn des zweiten Weltkriegs war. Es ist der starke Wunsch aus der Lausitz, dass dort eine zweigleisige ICE-Verbindung entsteht. Dann habe ich 50 Min. zeitliche Distanz nach Berlin, dann ist das bei dem Wachstum von Berlin mit 50.000 Einwohnern mehr pro Jahr ein attraktiverer Standort. Diese Wünsche sind nachvollziehbarer“, betonte Priggen. Es ist Konsens in der Kommission, dass das auch so in Gesetze gegossen und umgesetzt wird. Ein weiterer Bereich ist die Ansiedelung: Es gibt Optionen, ob Siemens und Bombardiere aus Görlitz weg gehen. „In der Lausitz fragt man sich: Wenn hier alles weg geht, sind wir dann nur noch Wolfserwartungsland?“ Deswegen gibt es die Diskussion: Was können wir dazu beitragen, dass dort Existenzgründungen entstehen? Aber auch die Frage, welche Bundeseinrichtungen wohin gehen: Der Bund plane zwei neue Zollausbildungsstätten. Die eine komme nach Leipzig, die andere nach Bonn. „Aber Leipzig ist ohnehin eine Boomstadt, da geht alles hin. Wieso gehen die nicht nach Cottbus oder Görlitz? Das sind 250 Arbeitsplätze.“ Das könne man sehr gut dort ansiedeln, vor allem mit vernünftiger Bahnanbindung. Es gibt den Plan für eine neue Cyberkriminalitätsbekämpfungseinrichtung des Bundesinnenministeriums. Die soll nach München. Priggen fragt: „Warum kann das nicht auch ganz woanders hin?“

Fest steht, wir müssen von der regionalen über die nationale bis zur internationalen Ebene den Weg zeigen, was Energiewende heißt, welche Innovationen und Möglichkeiten damit verbunden sind und welche nötigen Rahmenbedingungen gegeben werden müssen. Wir brauchen verbindliche kurzfristige, mittelfristige und langfristige Ziele. Und dann müssen wir die Energiewende auf der kleinsten Ebene gestalten, die Bürger mitnehmen, Perspektiven aufzeigen. Dafür ist vernetztes Arbeiten der Ministerien untereinander nötig, aber auch die enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern.