War das eigentlich eine energiepolitische Europawahl? „Nach den Europawahlen steht fest: die Grünen bleiben eine bestimmende Kraft in der Europäischen Union und werden auch weiterhin ihre Politik im Europäischen Parlament vertreten.“ Mit solchen verblüffenden Nonsens-Sätzen kommentierten die deutschen Grünen im EU-Parlament das in Wirklichkeit enttäuschende Wahlergebnis im Stammland der Energiewende sowie das Bröckeln ihrer europaweiten Macht. Ein Einflussverlust, den eine nach der Wahl um fast zehn Prozent auf 52 Sitze verkleinerte Fraktion im Europaparlament dokumentiert. Weil die Grünen den Unsinn ihrer auf der Homepage veröffentlichten Ergebnisanalyse möglicherweise selbst nicht bemerken sei hier noch einmal nach der gemeinten Botschaft gefragt: Sind die Grünen im EU-Parlament nun wirklich bestimmend geblieben, oder aber eine marginalisierte Kraft mit dem Mut gerade noch dafür, eigenständige Positionen zu vertreten? Nicht besser macht es, dass die Fraktionsvorsitzende in Straßburg sich dann auch noch zitieren lässt: „Wir haben das Mandat, weiter für unsere politischen Ziele zu kämpfen“, betonte Rebecca Harms.
Was sonst? Aber vielleicht steckt gerade in diesem Satz viel mehr ungewollte Wahrheit, als zunächst erkennbar. Denn eine ernsthafte selbstkritische Analyse müsste die sich als Ökopartei verstehenden Grünen erkennen lassen, dass ihr dieses Selbstbewusstsein im Europawahlkampf zumindest in Deutschland - aber nicht nur dort - gerade gefehlt hat.
Wo war das beherzte Auftreten?
Denn wo war und ist denn das beherzte Auftreten der Grünen dafür sichtbar, endlich neue EU-Ausbauziele für die erneuerbaren Energien für 2030 verbindlich zu machen? Warum gab es nicht etwa eine öffentlichkeitswirksame Initiative für eine europäische Novelle zur Absicherung der 2020er-Ziele beim Ausbau der Erneuerbaren, bei CO2-Reduktion und Energieeffizienz? Wo blieb der vielleicht noch unrealistische aber wählerbindende Vorstoß, die Kohleverstromung europaweit einzudämmen – auch auf die Gefahr hin, nicht zuletzt von den Regierungen der außenpolitisch derzeit als Schlüsselländer geltenden osteuropäischen Nationen heftigen Gegenwind zu ernten?
Und last but not least: Wo bleibt der Aufschrei der Europa-Grünen angesichts der Pläne der sieben sich als weltweit bedeutendste Industrienationen verstehenden Länder, der G7? Deren Regierungen waren Anfang Mai übereingekommen, sich vom Import russischen Gases unabhängiger zu machen. Sie wollen Russland ein Druckmittel in künftigen internationalen Auseinandersetzungen nehmen. Die entsandten Energieminister diskutierten bekanntlich über mehr Speicher, mehr Energieeffizienz, den Ausbau von Strom- und Gasnetzen, aber auch über die vermeintliche Alternative des von Umweltschützern bekämpften Frackings oder gar die Einfuhr von mittels dieser Technologie gefördertem Gases aus den USA. Ohne viel Rücksicht auf Umwelt und die Wasserversorgung der regionalen Bevölkerung wird hier bekanntlich mit Wasser und giftigen Chemikalien der Rohstoff aus dem Boden gepresst. Im Juni soll dann das eigentliche G7-Treffen folgen und möglicherweise Beschlüsse fassen. Lieber aber, als darüber zu reden, talkte die Spitzenkandidatin Ska Keller bei der Diskussions- und Fragerunde der fünf wichtigsten Fraktionen im EU-Parlament über eine „nachhaltige Wirtschaft“ mit Jobs in den Erneuerbaren-Branchen. Das sehen die Grünen demnach als Lösung für die Ukraine und die Krisenstaaten Europas.
Glaubwürdigkeit nur, wenn Einsatz genannt wird
Dagegen hat freilich so grundsätzlich auch niemand was einzuwenden. Glaubwürdig werden die Grünen allerdings nur dann wieder, wenn sie mehr von sich verraten: Gegen wen trauen sie sich mit ihrer Forderung im Ernstfall anzutreten, mit welchen Verbündeten und mit welchen gerade nicht?
Übrigens: Sitze verloren haben die Grünen ausgerechnet in Deutschland und mehr noch in Frankreich. Es sind die beiden Länder, in deren nationalen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2012 und 2013 die Energiewende eine für den Wähler mit entscheidende Rolle wie wohl sonst kaum irgendwo in Europa gespielt hatte.