Tilman Weber
Ist Energie- und Wirtschaftsminister Peter Altmaier nun ein Freund der Energiewende?
Ist er vielleicht ein stiller Sympathisant, der wie es Grünen-Umweltexperte Peter Kriescher vermutet, „hilflos durchs Kanzleramt taumelt“, während der energiewendefeindliche CDU-Wirtschaftsflügel sämtliche Initiativen seines Ministeriums für einen schnelleren Wandel im Keim erstickt? Immerhin tritt in seinem Ministerium wohl im Oktober eine Energieexpertin die Nachfolge des langjährigen profilierten Abteilungsleiters Urban Rid an, die bisher ausgerechnet für diesen Wirtschaftsflügel gearbeitet hat.
Oder ist der Bundesenergieminister ein falscher Freund: ein Gegner der Energiewende, obwohl er bei jeder Branchenveranstaltung in der Erneuerbaren-Szene oder bei den Stadtwerken die Energiewende als sein spannendstes Projekt bezeichnet – je nach spezifischer Ausrichtung des Publikum nämlich mal als „eines der größten Innovations- und Investitionsprojekte unserer Zeit“ oder mal als „größte wirtschaftspolitische Herausforderung seit dem Wiederaufbau“? Oder wie es Altmaier zuletzt am 6. Juni tat, als er sie auf der Ministeriums-Homepage lobte: „Energiewende ist eines der größten Modernisierungsprojekte für den Wirtschaftsstandort Deutschland“. Peter Altmaier treibe die Windenergiebranche aus dem Land, kritisierte wiederum Oliver Krischer den Bundesminister Ende Juli, nachdem die desaströs eingebrochenen Ausbaudaten der bundesweiten Windparkerrichtungen an Land nun bekannt wurden: Mit knapp 290 Megawatt (MW) wurde das erste Halbjahr 2019 zum schlechtesten Ausbausemester seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) vor fast 20 Jahren.
Unionspolitiker räumen klimapolitische Blockaden
Vielleicht ist es aber auch vollkommen egal, wer oder was Peter Altmaier ist – in dieser Bundesregierung. Denn wichtige Teile dieser Regierung arbeiten nun offenbar an einem perfiden Kunststück, das gemessen an den historischen Attacken gegen die Energiewende eine einmalige Durchschlagskraft zu entwickeln droht. Während zunehmend mehr klimapolitische Blockaden auch auf Seiten der eher energiewendekritischen Unionsparteien von CDU und CSU scheinbar fallen, setzt die Regierung wichtige Beschlüsse zur Beschleunigung der Energiewende schlicht nicht um.
Das Spiel
Das Spiel funktioniert offenbar hervorragend: Da erntet Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder plötzlich große Aufmerksamkeit mit reichlich Ohs und Ahs aus Kreisen sowohl der Medien als auch sogar der politischen Oppositionsparteien, weil er jetzt binnen weniger Tage eine Kaskade an klimapolitischen Ideen formuliert hat: Söder plädiert nun sowohl für die Aufnahme des Klimaschutzes ins Grundgesetz, für eine geringere Mehrwertsteuer auf das klimafreundlichere Bahnfahren und dessen Bevorzugung im Vergleich zu Inlandsflügen – und fast im selben Atemzug für einen besseren Öffentlichen Personennahverkehr mit Bus und Bahn. Als neue künftige Chefin der EU-Kommission tritt die Christdemokratin Ursula von der Leyen wie kurz vor ihr die Kanzlerin für eine EU-weite Verpflichtung auf das Erreichen der Klimaneutralität bis 2050 ein – und für CO2-Zölle auf nicht klimagerecht produzierte Waren beim Einfuhr in die Europäische Union (EU). Der Bundestagspräsident Wolfang Schäuble kann sich plötzlich eine CO2-Steuer vorstellen und wirbt sogar für sie, während die widerständigeren Teile der Union noch für eine CO2-Abgabe im Rahmen des Emissionszertifikate-Handels mit neuen Mindestpreisen werben, der künftig nicht mehr nur für Strom sondern für sämtlichen Energieverbrauch gelten soll. Und in einem Klimakabinett treffen sich die Regierungsmitglieder aus den Reihen von Union und SPD regelmäßig, um bis September ihre Klimapolitik festzuzurren.
Energiewende trocknet ein
Doch während alles auf die extreme echte Hitzewelle im Land und auf die neue Freude der regierenden Politiker an der Klimadebatte schaut, lassen dieselben Politiker die Energiewende kalt gegen die Wand fahren. Bioenergie-Branche und Solarbranche waren bereits durch gesetzliche Vollbremsungen infolge engmaschig wirkender blockierender Gesetze wie Ausbaudeckel und Eigenverbrauchspauschalen eingetrocknet. Nun ist also der Windenergiemarkt an Land zum gewünschten Halt gekommen.
Beschlüsse nicht umgesetzt
Dabei hat die Regierung beschlossen, ihn wieder zu beleben: Mit Sonderausschreibungen, mit einem Kohlekraftausstieg, mit einer Arbeitsgemeinschaft für mehr Akzeptanz für die Windkraft im Land, mit mehr oder weniger direkten oder indirekten Zusagen, die Ausbaudeckel für Windkraft, aber auch für Solarenergie anheben zu wollen – und mit in Aussicht gestelltem Abbau von Abgaben auf die so wichtige Sektorkopplung für die Nutzung von Ökostromüberschüssen im Verkehr und in der Wärmeversorgung.
Doch all diese Beschlüsse setzt sie nicht um. Das gescheiterte Ausschreibungssystem hat zwar noch zusätzliche Sonderausschreibungsetappen eingebaut bekommen – doch belässt es die Bundesregierung kalt und ohne weiteren erkennbaren Koalitionsstreit dabei, nicht für eine Reparatur des havarierten Ausschreibungswettbewerbs zu sorgen. Sehenden Auges lässt die Koalition sowohl die Ausschreibungsregeln unangetastet. Sie verzichtet darauf, die ausgeuferten Klage- und Flächenplanungsprozesse wieder zu entschlacken und zu beschleunigen. Zigtausende geplante Wind-MW kommen deshalb bei den Projektierungen nicht mehr voran. Als auch bekommen die Kohlekraftwerksschließungen bis 2035 kein jeweiliges Block-eigenes Datum. Fast scheint es, als seien die noch festzulegenden Restlaufzeiten in den Augen mancher eine Verhandlungsmasse – um diese mit Verweis auf den Zeitdruck beim Klimaschutz gegen längere Laufzeiten für die Atomkraft einzutauschen.
Wer bedient wen?
Wer oder was ist also Altmaier – um es mit den abgewandelten Worten eines ehemaligen Fußballtrainers während einer wütenden Philippika gegen unwillige aber die Stimmung prägenden Kicker des von ihm betreuten europäischen Spitzenclubs zu fragen? Bundeskanzlerin Angela Merkel und die von ihr immer wieder verlässlich bedienten parteiinternen Bremserkreise haben das Heft des Nichtstuns ganz fest in der Hand. Und ihre Strategie ist genial, solange man ihr die Initiative nicht schnell aus den Händen nimmt und sie echten Energiewende-Unterstützern übergibt.