Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Interview mit Gasnetz Hamburg

Ertüchtigung der Gasnetze für die Durchleitung von Wasserstoff

Wer sich einen vertieften Überblick über die Wasserstofftechnologie und die Dekarbonisierung des Energieträgers Gas verschaffen will, ist richtig bei der Fachtagung Housewarming-Spezial 2021 zu Wasserstoffnetzen. Die Online-Konferenz findet am 10. September 2021 statt, gemeinsam durchgeführt von Gasnetz Hamburg, der Wasserstoffgesellschaft Hamburg und dem Elbcampus.

Der neue Geschäftsführer von Gasnetz Hamburg, Michael Dammann, ist davon überzeugt, dass der Umbau der Gasinfrastrukturen in Richtung H2-Wirtschaft ein Schlüssel ist für die Energiewende.

Laut einer aktuellen Studie von Zukunft Gas wird bei dem Wohngebäudebestand eine Reduktion der CO2-Emissionen hin zur Klimaneutralität bis 2050 finanzierbar möglich sein. Im Jahr 2050 sollen zwei verschiedene gasförmige Energieträger vorwiegend zum Einsatz kommen, ein Gasmix, der zu 80% aus Biomethan und 20 Prozent aus Wasserstoff besteht. Netze mit reinem Wasserstoff, der überwiegend aus der Elektrolyse von Erneuerbaren Energien hergestellt wird, könnten die Lösung in Neubau-Quartieren darstellen. Wie beurteilen Sie den erforderlichen Wandel vom Energieträger Erdgas zu grünen Gasen?

Michael Dammann: Zunächst einmal hat die Politik erkannt, dass die schwer zu dekarbonisierenden Sektoren wie Industrie und Güterverkehr den größten Effekt liefern können, wenn man hier statt fossiler Brennstoffe auf Wasserstoff setzt. Unser Hamburger Wasserstoff-Industrie-Netz HH-WIN geht genau diesen Weg. Im Netzgebiet im Hafen liegen über ein Dutzend Industriebetriebe, die zusammen für mehr als ein Drittel des Hamburger Erdgasverbrauchs stehen. Der Hafen mit seiner breiten Logistik-Infrastruktur bietet zudem reichlich Dekarbonisierungspotenziale.

Einsparung von 1 Million Tonnen CO2 bis 2030 möglich 

Weil wir hier mit einem Netz von nur 60 Kilometern Länge eine CO2-Minderung von weit über einer Million Tonnen pro Jahr erreichen können – und das bis 2030 – ist dieses Projekt volkswirtschaftlich gesehen eine höchst effiziente Investition. Das haben auch die Partner erkannt, die sich mit uns im Hamburger Wasserstoffverbund zusammengeschlossen haben: Gemeinsam arbeiten wir an der Förderung im Rahmen des europäischen IPCEI-Programms. Die Chancen dafür stehen sehr gut, denn wir können hier in Hamburg die gesamte Wertschöpfungskette, von Wasserstoffproduktion und -import, über die Verteilung bis hin zum Einsatz abbilden. Bei diesem Projekt handelt es sich nicht um eine Demonstration des Machbaren, sondern um eine ganz praktische Maßnahme zur Dekarbonisierung großer Teile unserer Industrie. Bei der Gebäudewärme hingegen ist die Unterstützung der Politik für den Wasserstoffeinsatz derzeit noch recht begrenzt: Dort konkurriert der grüne Wasserstoff scheinbar mit anderen Technologien wie elektrischen Wärmepumpen oder der Fernwärme. Fakt ist aber auch, dass wir bei der Gebäudewärme vor einer Mammutaufgabe stehen, denn sie ist für ein Drittel der gesamten CO2-Emissionen verantwortlich. Deshalb werden hier viele unterschiedliche Technologien benötigt – je nach Gebäudegröße, örtlicher Energieinfrastruktur und gebäudespezifischen Voraussetzungen. Gebäudewärme: viele Technologien erschweren die Lösungsfindung Wasserstoff ist hier eine wichtige Lösung. Deshalb sammeln wir beim mySMARTLifeFörderprojekt in Bergedorf nun reichlich Erfahrungen im Wasserstoff-Mischbetrieb von Blockheizkraftwerken und Heizkesseln, die eigentlich für Erdgas konzipiert sind. Genau darin liegt auch die zentrale Herausforderung: Nur, wenn wir verlässlich wissen, dass alle angeschlossenen Gasgeräte wirklich für Wasserstoff geeignet sind, können wir ganze Netzgebiete auf ein Mischgas umstellen. Das wird in Neubaugebieten deutlich leichter gelingen. Bei älteren Quartieren besteht häufig ein bunter Mix aus Gasgeräten unterschiedlichster Epochen. Deshalb bereiten wir uns hier vor. Alle bei Tausch und Sanierung eingesetzten Materialien prüfen wir aber schon jetzt auf ihre H2-Tauglichkeit. Denn nur so kann unser Netz auch in der Fläche die in einigen Jahren kommende Transformation bewältigen.

 Welches der aktuellen Wasserstoffprojekte von Gasnetz Hamburg ist für das Handwerk am interessantesten?

Michael Dammann:  Das Hamburger Wasserstoff-Industrie-Netz HH-WIN kommt demnächst. Schon 2025 sollen erste Netzabschnitte mit reinem Wasserstoff laufen. In dem schnell wachsenden Netzgebiet liegen neben den großen Industrieunternehmen auch reichlich Gewerbebetriebe, die ebenfalls profitieren können. Wer dort etwa ein Wasserstoff-BHKW einsetzen will, braucht einen kompetenten Handwerksbetrieb. Daher setzen wir bei der Housewarming-Spezial genau auf dieses Thema. Sicherlich werden auch bei den Partnern im Wasserstoffverbund Handwerksleistungen gebraucht. HH-WIN und die daran angeschlossenen Wasserstoffprojekte werden so zum ersten großen Betätigungsfeld einer gesamten Wasserstoffwirtschaft mit jeder Menge Erkenntnisse und einem enormen Kompetenzaufbau für alle Beteiligten. Kompetenzaufbau im Handwerk ist jetzt eine wichtige Investition Gasnetz Hamburg ist bereits beim Aufbau des Green Energy Hubs am Standort des stillgelegten Kohlekraftwerks Moorburg ein wichtiger Partner. Denn von dieser Keimzelle mit dem Großelektrolyseur geht die Wasserstoffwirtschaft los. Erste H2- Anwender erhalten die grüne Energie dann über das Wasserstoff-Industrie-Netz. Wann genau kleinere Unternehmen ihrerseits Projekte ans Netz bringen wollen, ist zwar noch nicht genau klar, aber der Bedarf ist bereits absehbar. Schon deshalb wollen wir das Handwerk mitnehmen, sich auf die Wasserstoffwirtschaft als neues Geschäftsfeld einzustellen. Hersteller von Heizgeräten, Blockheizkraftwerken und Brennstoffzellen stehen bereits mit den ersten Produkten in den Startlöchern. Wer rechtzeitig seine Teams fit macht für diese Technologien, wird sich von Anfang an in diesem Markt einen Namen machen. Und das ist aus unserer Sicht eine wichtige Investition für das Geschäft der kommenden Jahrzehnte. Ohne das Handwerk geht nichts – diese Erfahrung hat sicherlich jeder schon mal gemacht und deshalb hoffen wir, dass wir frühzeitig gemeinsam die Weichen stellen.

In der Diskussion ist häufig auch von blauem und violettem Wasserstoff die Rede. Wodurch zeichnet sich grüner Wasserstoff genau aus?

Michael Dammann: Auch bei der Definition von „grünem Wasserstoff“ läuft derzeit noch eine EU-weite Diskussion. Großbritannien etwa will Wasserstoff klimaneutral aus Atomstrom herstellen. Aus unserer Sicht sollte man den Begriff klar einschränken: Entscheidend muss die nachweisliche Herstellung allein aus erneuerbaren Energien, also Wind- und Solarstrom sein. In einer neuen Verordnung zur Umsetzung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2021 wurde endlich definiert, wann der für die Herstellung von H2 verbrauchte Strom vollständig EEG-umlagebefreit ist. Die Definition der Anforderungen an den glaubhaften Strombezug aus erneuerbaren Energien ist wichtig für die Glaubwürdigkeit dieser wichtigen Zukunftstechnologie. Denn nur mit grüner Energie schaffen wir nachhaltig einen Ausweg aus der Klimakrise – und die nötigen Potentiale, um volatile Wind- und Solarenergie zu speichern und für fast jede Anwendung kurzfristig bereitzustellen.

Unter unseren Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Konferenz sind viele Heizungsexperten aus dem Handwerk. Welches Potenzial sehen Sie zurzeit für grünen Wasserstoff auch im Wärmemarkt? Was sind hier die Schlüsselthemen?

Michael Dammann:  Wir sehen bereits heute bei unserem mySMARTLife-Förderprojekt in Bergedorf: Der Betrieb von Erdgasgeräten mit beigemischtem Wasserstoff funktioniert. Es gab einige Hürden in der Inbetriebnahme, aber die Lösung ist eine realistische Option in der Gebäudewärme. Sie wird sicherlich nicht die einzige Option werden, die in den kommenden Jahren die Gebäudewärme klimafreundlicher macht. Dank umfassender öffentlicher Förderung lohnt ja derzeit auch die Kombination aus Gas und Solarthermie. Und ein wichtiger Ansatz wird auch die Versorgung über Quartierslösungen sein – wie wir sie ja beim Bergedorfer Projekt haben. Dadurch werden die Einzelanlagen größer und können im Rahmen von integrierten Netzen an den Schnittstellen von Gas, Strom und Wärme systemstabilisierend wirken. Wir haben ja gemeinsam mit mehreren Hochschulen und den Kollegen bei Stromnetz Hamburg und Wärme Hamburg das Projekt integrierte Netzplanung iNeP als Teil des Norddeutschen Reallabors gestartet. Dabei wollen wir gemeinsam herausfinden, wie die drei Energieträger Strom, Gas und Wärme noch besser zusammenwirken können. Neue Wege in der Zusammenarbeit von Strom, Gas und Wärme Ich bin mir sicher, dass wir mit den 2025 vorliegenden Ergebnissen viele Impulse für eine effizientere Energienutzung in unserer Stadt geben werden. Und dabei kann die Wasserstoffbeimischung ein wichtiger Teil der Lösung sein. Denn wenn ich zu viel Strom im Netz habe und keine Wärme brauche, kann eine Elektrolyse daraus Gas erzeugen, das ich speichern oder auch direkt verwenden kann. Für das Handwerk der Zukunft ergeben sich aus solchen Zusammenhängen vielfältige Aufgaben: Denn der einseitige Blick auf Gasheizungsanlagen reicht letztlich nicht aus, um Anlagen zu konzipieren und zu installieren, die dann einem integrierten Energiesystem dienen sollen. Erfahrungen mit Brennstoffzellen oder Power-to-X werden dann wichtige Schlüsselqualifikationen für diesen Markt. Ich bin mir ganz sicher, dass uns bei der Tagung housewarming die Themen nicht ausgehen werden. Die nächste Stufe der Energiewende wird eine Herausforderung für alle. Und deshalb freuen wir uns über alle Teilnehmer an der Veranstaltung, die hier einen Blick über den traditionellen Tellerrand in Richtung Energiezukunft werfen.

Auf welche Beiträge bei der Housewarming freuen Sie sich am meisten?

Michael Dammann: Ganz besonders freue ich mich, dass wir außer den Experten aus unserem Hause auch hoch erfahrene Vertreter von anderen Unternehmen und Organisationen gewinnen konnten. So wird beispielsweise Marco Henel von DBI Gas- und Umwelttechnik ins Detail gehen beim Thema Ertüchtigung der Gasnetze für die Durchleitung von Wasserstoff. Und Joachim Arnold von der Viessmann Akademie wirft ein Schlaglicht darauf, was wir bei den unterschiedlichen Geräten von BHKWs bis zur Brennwertthermen an wasserstoffspezifischen Herausforderungen haben. So werden wir ein rundes Bild mit Perspektiven von Netz, Handwerk und Geräteherstellern bieten, dass den Betrieben in Hamburg wichtige Kenntnisse und Prognosen für die Zukunft liefert.

Interview: Kai Hünemörder, der Leiter des ZEWU (Zentrum für Energie-, Wasser- und Umwelttechnik)

Wenn Sie den Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur im Blick behalten wollen, abonnieren Sie einfach unseren kostenlosen Newsletter. Hier können Sie sich anmelden.

Michael Dammann, Geschäftsführer Gasnetz Hamburg. 

GNH

Michael Dammann, Geschäftsführer Gasnetz Hamburg.