Sarah-Juliane Starre
Im Erneuerbare-Energie-System, auf das wir zusteuern, wird der Verkehr mehr und mehr elektrifiziert. Die Sektoren Strom und Transport wachsen zusammen. Gerade auf dem Land wird deutlich, warum die Energie- und die Verkehrswende zusammengehören. Denn der Kraftstoff der Elektroautos kommt dort direkt von der Scheune oder vom Feld.
Dies ist eine riesige Chance, die im Diskurs oft untergeht. Wirft man einen Blick auf die Diskussionen in Wissenschaft, Forschung und Politik, so wird oftmals von “strukturschwachen”, “schrumpfenden” und “benachteiligten” ländlichen Regionen gesprochen. Dazu ergänzen sich “hohe Abwanderungsraten”, die sich nicht zuletzt im Begriff der “Landflucht” wiederfinden lassen.
Ländliche Räume sind aber keineswegs homogene Restkategorien, die nur mit Hilfe von Negativdefinitionen beschrieben werden können. Zeitliche Wandlungsprozesse, ausgeprägte regionale Individualitäten, Bevölkerungsgefüge sowie Siedlungsstrukturen zeigen die Diversität des ländlichen Raums. Und so unterscheiden sich auch die Anforderungen an die Mobilität der Zukunft. Denn dort, wo die öffentlichen Verkehrsmittel unzureichend ausgebaut und die Wege zu Fuß und für das Rad oftmals zu weit sind, wird das Auto auch zukünftig benötigt. Und genau hier punktet ausgerechnet das Land.
Mobilität bedeutet Teilhabe
Ein gutes Beispiel dafür ist Mecklenburg-Vorpommern. Insbesondere in den stark ländlich geprägten Regionen Norddeutschlands ist die Sicherstellung der Mobilität mit den wesentlich weiteren täglichen Wegstrecken eine größere Herausforderung als in Ballungszentren. Daher ist zu erwarten, dass weiterhin dem Individualverkehr eine zentrale Rolle bei der Daseinsvorsorge im Bereich der Mobilitätssicherung zukommen wird, denn Mobilität bedeutet Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Die Elektromobilität für den Individualverkehr, die hier in Frage kommt, ist – im Vergleich zu städtischen Räumen - aus ökologischen Gesichtspunkten äußerst vorteilhaft. Die regional nachhaltig erzeugte Energie kann eine Emissionssenkung bewirken und gleichzeitig netzdienlich sein, sofern der Strom bedarfsgerecht am richtigen Ort, zur richtigen Zeit und mit der erforderlichen Menge bereitsteht.
Exzellente Voraussetzungen für private Lademöglichkeiten
Hier kann Elektromobilität Unabhängigkeit und Individualität sichern und zugleich klimafreundlich sein, denn der Großteil der Ladevorgänge wird – im Gegensatz zu städtischen Räumen – im privaten Bereich stattfinden.
Der hohe Anteil an Ein- und Zweifamilienhäusern von 60 bis 80 Prozent bietet eigene PKW-Stellflächen und damit über Wallboxen private, kostengünstige Lademöglichkeiten – ein klarer Vorteil gegenüber Städten.
Die vorhandenen Solaranlagen, die mittlerweile jeder zweite Landwirt und fast jeder Handwerksbetrieb in den vergangenen Jahren auf den eigenen Ställen oder Werkshallen installiert hat, könnten den erneuerbaren Strom dezentral bereitstellen.
Mecklenburg-Vorpommern erzeugt dabei als erstes deutsches Bundesland mit steigender Tendenz mehr Strom aus erneuerbaren Energien, als im Bundesland verbraucht wird. Bereits jetzt entsteht der im Bundesland erzeugte Strom zu knapp 72 Prozent auf Basis von erneuerbaren Energieträgern.
Elektromobilität wird noch durch Zweifel gebremst
Dem großen Potenzial einer erneuerbaren Mobilitätswende steht derzeit entgegen, dass der Einsatz von Elektromobilität im ländlichen Raum noch immer durch starke Zweifel geprägt ist.
Stets angeführt wird das Argument der zu geringen Reichweite der sich gegenwärtig auf dem Markt befindlichen Elektrofahrzeuge bei den im ländlichen Raum zurückgelegten Wegstrecken, denn durchschnittlich fahren die Bewohner auf dem Land täglich ca. 42 Kilometer. Zu hoch sei darüber hinaus der technische und finanzielle Aufwand für den Aufbau einer öffentlichen Ladeinfrastruktur, die sich bei der zu geringen Nutzung nicht rentieren würde. Zudem seien Elektrofahrzeuge in der Anschaffung derzeit noch zu teuer, heißt es oftmals..
Das zeigt sich auch in den Zulassungszahlen: Die Anschaffung eines Elektrofahrzeuges in Mecklenburg-Vorpommern kommt bisher nur für wenige Menschen in Frage: Von den im Jahr 2017 insgesamt 38.760 neu zugelassenen Kraftfahrzeugen waren lediglich 150 reine Elektroautos vertreten. Das entspricht einem Anteil von knapp 0,4 Prozent – in Berlin sind es hingegen schon 2,4 Prozent.
Aber es gibt auch Leuchttürme, die zeigen, dass E-Mobilität auf dem Land sich durchsetzen kann. Ein Beispiel ist das schleswig-holsteinische Sprakebüll - das Dorf mit der deutschlandweit höchsten Dichte an Elektrofahrzeugen. Auf 250 Fahrzeuge kommen mehr als 20 Elektrofahrzeuge. Würde man dieses Verhältnis auf ganz Deutschland projizieren, so wären bereits heute 3,76 Millionen Fahrzeuge elektrisch unterwegs. Angrenzende Bürgerwindparks speisen erneuerbaren Strom ins Netz ein und die Erträge aus den Anlagen fließen zurück zu den Sprakebüller Einwohnern.
Akzeptanz ist die größte Herausforderung
Lösungen im Verkehrssektor sind vor dem Hintergrund der notwendigen CO2-Einsparungen zweifellos eine große Herausforderung für die kommenden Jahre. Was für den ländlichen Raum benötigt wird, sind mehr und bessere Informationen, mehr Interesse und aktive Entscheidungen der öffentlichen Hand und der Energieversorger. Man braucht Leuchtturmprojekte und ein klares Bekenntnis zum Klimaschutz. Weiter könnte ein Förderprogramm für private Ladestationen bewirken, dass jeder Haushalt eine eigene Wallbox bekommt.
Die Politik muss einerseits die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Auf der anderen Seite hängt der Erfolg der Verkehrswende aber auch vom Willen der Bevölkerung ab, am Umdenkprozess teilzunehmen. Schließlich dauert es seine Zeit, bis die Akzeptanz für einen Paradigmenwechsel in der Mehrheit der Köpfe ankommt.
Die Chancen des Zusammenwirkens von Energie- und Verkehrswende sollten gerade auf dem Land besser betont werden. Mit dem Leitspruch „MV tut gut“, wirbt Mecklenburg-Vorpommern gerne für sich. „Solar- und Windstrom fahren gut“ wäre die richtige Botschaft der Verkehrswende vor Ort.
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Dieser Beitrag ist in der Kolumne der Reiner Lemoine Stiftung zur EnergieSystemWende erschienen. Darin kommen regelmäßig Autorinnen und Autoren zu Wort, die für die Reiner Lemoine Stiftung (RLS) sowie das Reiner Lemoine Institut (RLI) aktiv sind oder gemeinsam mit RLS und RLI an Projekten zur Transition des Energiesystems arbeiten.
Sarah-Juliane Starre ist seit Oktober 2018 studentische Mitarbeiterin des Forschungsbereiches Mobilität mit Erneuerbaren Energien am Reiner Lemoine Institut. Sie studierte im Bachelor Geographie an der Humboldt-Universität zu Berlin und untersuchte im Rahmen ihrer Mitarbeit sowie Abschlussarbeit die Mobilität im ländlichen Raum von Mecklenburg-Vorpommern.