Windenergietage02Die Spreewind GmbH veranstaltete zum 20. Mal ihre Windenergietage. Über 700 Fachleute fanden sich zwischen dem 25. und 28 Oktober in Berlin Schönefeld ein.Foto: P. Roge – idw-Bildagentur
Enertrag-Vorstand Werner Diwald lies gleich drei bauen – und die liefern nun egal ob Sturm oder Flaute zuverlässig Energie: Pünktlich zur Konferenz hat der brandenburgische Projektentwickler und -betreiber das weltweit erste Wasserstoff-Hybridkraftwerk in Brandenburgs Uckermark in Betrieb genommen – der Windstromverstetigung kommt das Unternehmen mit diesem Konzept ein gutes Stück näher: Das Hybridkraftwerk nutzt den Strom aus drei Windturbinen bei geringer Nachfrage zur Herstellung von Wasserstoff. In einem Blockheizkraftwerk lässt der sich zusammen mit Biogas erneut in nutzbare Energie umwandeln. Zudem soll der Wasserstoff an speziellen Tankstellen in Berlin und Brandenburg die kohlendioxidfreie Mobilität vorantreiben.
2012 soll ein solches Hybridkraftwerk auch in Berlin Schönefeld zum Einsatz kommen: Sobald der Flughafen Berlin Brandenburg International als zweitgrößter Deutschlands seinen Betrieb aufnimmt, soll dessen Fahrzeugflotte komplett aus lokal erzeugtem Wasserstoff versorgt werden. Der Energiewende kommt die Branche damit ein Stück näher.
Energiewende braucht Direktvermarktung
Doch die wirkliche Revolution im Energiemarkt soll von anderer Seite kommen – den vielen noch unvernetzten Anlagenbetreibern: Bislang haben sich die Grünstromerzeuger nicht um den Verbleib ihrer produzierten Energie sorgen müssen. Das müsse sich nach Meinung Dietmar Goldmanns, Geschäftsführer des Energiehandelshauses Energy 2 Market (E2M), für eine erfolgreiche Energiewende ändern. „Die Grünstromerzeuger benötigen eigene Strukturen, um aktiv am Energiemarkt zu agieren“, sagt Goldmann. Er sieht den Strommarkt am Anfang einer zweiten Liberalisierung, die die Betreiber der Erneuerbaren nur in einem starken Branchennetzwerk mitgestalten können. Wenn nicht, werde der gleiche Weg wie 1998 eingeschlagen, als die Liberalisierung dazu führte, dass die vier Versorger EnBW, Eon, RWE und Vattenfall ein Energieoligopol formten.
Das nötige Druckmittel, um den dezentralen Grünstrom am Markt zu etablieren sieht Goldmann in der Direktvermarktung. Mit der Einführung eines Marktprämienmodells in der kommenden Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetztes (EEG), wird der direktverkaufte Grünstrom ab Januar mit einer Prämie bezuschusst, die die Differenz zur EEG-Vergütung ausgleicht. Als Referenz zur Berechnung des Zuschusses dienen die durchschnittlichen Stromhandelspreise an der Börse pro Monat. Gelingt es dem Erzeuger zu Nachfragespitzen seinen Strom für höhere Preise zu verkaufen, kann er diesen Bonus behalten, wodurch die Direktvermarktung finanziell attraktiver wird als die EEG-Vergütung.
Mit tagesaktuellen Daten an die Strombörse
E2M will mit einem Betreibernetzwerk die verschiedenen Anlagen zur erneuerbaren Stromerzeugung zu einem virtuellen Kraftwerk bündeln und mit eingebundener Kraft-Wärme-Kopplung aus konventionellen Quellen bedarfsgerecht Energie liefern. Mit mehrmals täglich aktualisierten Betriebsdaten aller Betreiber ließe sich die Stromlieferung zuverlässiger steuern. E2M setzt dabei auf ein reines Netzwerk von Energieproduzenten, die ohne Einfluss von anderen Interessengruppen ein Vermarktungskonzept erarbeiten sollen.
Ein ähnliches Direktvermarktungs-Konzept verfolgt die Gesy GmbH, doch holt sie mit Trianel, einem Verbund aus knapp 50 Stadtwerken, schon einen festen Kundenkreis in das Energiegeschäft. Ziel des Gesy ist eine bessere Abstimmung zwischen dem Verbrauch und der Erzeugung der Energie; dafür will es neben den aktuellen Leistungsdaten der dezentralen Anlagen auch Prognosewerte in das Handelssystem integrieren. Zudem sind Forschungs- und Pilotprojekte im Bereich Pump- und Batteriespeicher sowie Methanisierungsverfahren geplant. Von der Direktvermarktung bei Gesy sollen Anlagenbetreiber stärker profitieren als bei Anbietern der Direktvermarktung, die festen Abnahmepreise anbieten. „Wir beteiligen die Betreiber an der verkauften Energie. Damit steigt die Profitchance, wenn wir die Energie bei hoher Nachfrage am Markt zu höheren Preisen handeln“, sagt Gesy-Geschäftsführer Jörg Strese.
Nur der Wind fehlt noch
Wenn die Konzepte der Direktvermarktung in größeren Netzwerken ab nächstem Jahr fruchten, könnten dezentrale Energieerzeuger und Stadtwerke schrittweise mehr Kontrolle am Energiemarkt erlangen. Von Seiten der Betreiber bleibt dann nur noch die Frage, wann der Wind nach drei Jahren der Flaute wieder stärker weht, damit auch genügend Strom zum Verkauf bereitsteht. Diesem Thema widmeten sich auf den Windenergietagen verschiedene Wetteranalysten – und machten deutlich, dass sichere Prognosen auf die Windverhältnisse der kommenden Jahre mit heutigen Mitteln unmöglich zu treffen sind. Jon Meis, Geschäftsführer des Windanalysten EWC Weather Consult erklärte der Wind in Deutschland hängt von der Nordatlantischen Oszilliation (NAO) ab: Ist der Tiefdruck über Island und das Hoch über den portugiesischen Azoren stark ausgebildet, bildet sich eine starke Westdrift, die für viel Wind in Deutschland sorgt. In den 90er Jahren führte das zu überdurchschnittlich guten Windverhältnissen; in den 60ern hatte es hingegen schon langanhaltende Windflauten gegeben.
Windenergietage03Enertrag-Vorstand Werner Diwald wagt sich am Abend der Windenergietage an die Fernsteuerung eines Modell-Zeppelins. Im Oktober nahm Enertrag ein Kraftwerk in Betrieb, das Strom in Wasserstoff speichert. Bald will das Unternehmen auch eine Fahrzeugflotte mit H2 versorgen - das Luftschiff flog aber mit Helium.Foto: P. Roge – idw-Bildagentur
Meis prognostiziert vorsichtig, dass die Windverhältnisse im Norden Deutschlands auf lange Sicht wieder zunehmen könnten, während ihr Niveau im Süden der Republik eher stagniert. „Aber diese Annahmen sind mit hohen Unsicherheiten verknüpft.“ Die Wettermodelle müssten noch besser werden. Zwar würden in die Berechnung der Wettersimulationen mittlerweile neben Ozeanen auch Flüsse, CO2-Zyklen, Vegetation und Vulkanaktivität einfließen, doch können auch diese Parameter noch keine verlässliche Auskunft über die Klimazukunft geben.
Eine Versicherung für die Flaute
Der Versicherer Swiss Re hat die Vorhersage-Not indes zur Tugend gemacht und arbeitet derzeit an einer Absicherung der Betreiber gegen Produktionsausfälle durch Windflauten. Zurzeit werde dieses Versicherungskonzept für drei große Windparks entwickelt – bald soll ein Produkt für kleinere Betreiber folgen. Das Unternehmen will auf Basis der Daten des geplanten Standortes und der geplanten Windturbine die durchschnittlichen Ertragsdaten errechnen. Die Versicherung greift in einem Korridor zwischen der für die Finanzierung nötigen Mindeststromproduktion und der erwarteten Stromproduktion und gleicht fehlende Beträge zum prognostizierten Wert aus. Fällt der Ertrag jedoch unter ein bestimmtes Limit, wird nicht die gesamte Differenz ausgezahlt. „Die Ausschüttung erfolgt unabhängig von der Anlagenverfügbarkeit und von Netzengpässen. Entscheidend sind die Windverhältnisse“, sagt Thomas Kammann, Leiter des Bereichs Umwelt und Rohstoffmärkte bei Swiss Re. Die Versicherung dient in erster Linie einer Verstetigung der volatilen Geldeinnahmen. So könnten große Unternehmen ihre künftigen Einnahmen aus der Windstromeinspeisung fest im Budget einplanen und kleineren Betreibern würden höhere Sicherheiten für die Fremdkapitalfinanzierung geboten.
Einen großen Teil ihrer Hausaufgaben hat die Windbranche damit schon erledigt. Nicht zuletzt auch die Ingenieure, die mit ertragsoptimierten Turbinen oder Blättern aufwarten, verschleißmindernde Nanoöle vorstellen und ihre Systeme zur permanenten Turbinenüberwachung von technischen Defekten auf kriminelle Übergriffe ausweiten. So durften die Branchenteilnehmer ihren Fokus am Abend der Windenergietage auf windfremde Themen, wie eine 25 Meter entfernte Scheibe beim Eisstockschießen oder auf das sichere Lenken ferngesteuerter Luftschiffe, richten. Und von Kopfzerbrechen war dann – zumindest bis zum nächsten Morgen – keine Spur mehr.
Denny Gille