Erstmals seit dem Absturz des deutschen Windenergiemarktes in den Jahren 2018 und 2019 haben die Windenergieunternehmen hierzulande wieder mehr neue Erzeugungskapazitäten ans Stromnetz angeschlossen als im Drei-Gigawatt-Jahr 2013. Damals hatte die Branche einen Neuzubau von 2.998,4 Megawatt (MW) verzeichnet, um diesen in den dann nachfolgenden vier historischen Boomjahren des bundesweiten Windkraftzubaus an Land, 2014 bis 2017, um regelmäßig knapp ein bis mehr als zwei Gigawatt (GW) noch zu toppen.
In den vergangenen zwölf Monaten errichteten die Branchenunternehmen zwischen Alpen und Küste 745 Windturbinen mit einer Gesamtnennleistung von 3.567 MW, wie die Branchenverbände VDMA und BWE am Dienstag bilanzierten.
Unerwartet starke Erholung des deutschen Windenergiemarktes
Die Erholung des deutschen Windenergie-Onshore-Marktes – im Unterschied zum Offshore-Markt der 2023 noch immer stark gebremsten deutschen Meereswindkraft – war dabei unerwartet stark, wie Vertreter beider Verbände in ihrer Präsentation der Zubauzahlen übereinstimmend erklärten. Deren Prognosen hatten zu Beginn des Vorjahres noch 2,7 bis 3,2 GW vorausgesagt. Der Bruttozubau nahm somit im Vergleich zum Bruttozubau von 2022 um rund 48 Prozent – um die Hälfte zu. Die Aufwärtskurve des Marktes seit dessen Tiefpunktjahr 2019 folgte bisher geringeren Wachstumsraten mit jährlich ein Viertel bis ein Drittel mehr neu installierter Leistung.
Repoweringhoch mit 1,1 Gigawatt Brutto- und 0,5 Gigawatt Nettozubau
Auch der Nettozubau fällt im historischen Rückblick schon wieder stark aus: So war das Wachstum des Windmarktes 2023 zu einem Gutteil auch dem Repoweringgeschäft zu verdanken. Der Austausch alter leistungsschwächerer und nun abgebauter Windenergieanlagen durch viel leistungsstärkere neu hinzugebaute Turbinen brachte 2023 genau 225 neue Anlagen mit zusammen knapp 1,1 GW ans Netz. Dieses Repoweringvolumen entspricht etwa dem des Rekordjahres des deutschen Onshore-Windenergie-Marktes 2017, als der Bruttozubau rund 5,5 GW betragen hatte.
Netto nahm die Windenergieleistung nach einer Stilllegung von 534 MW im vergangenen Jahr noch um 3.033 MW zu, der sechstbeste Nettowert der deutschen Windkraftgeschichte. Die hierzulande insgesamt installierte Onshore-Windkraft kann dadurch seit Ende 2023 mit bis zu 61 GW (61.010 MW) einspeisen.
Starker Norden, starke Turbinen
Die starke Entwicklung des Windenergieausbaus im vergangenen Jahr war vor allem einer sehr guten Marktentwicklung in den norddeutschen Bundesländern sowie der raschen Zunahme der Anlagennennleistungen zu verdanken. So kletterte der Wert der durchschnittlich installierten Erzeugungskraft pro neu installierte Turbine von 4,362 MW noch 2022 auf nun 4,788 MW.
Und alleine in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern errichteten die Windparkbauteams fast drei GW: knapp 84 Prozent der 2023 neu installierten Windkraft. Die fünf Bundesländer sind in dieser Reihenfolge auch die fünf führenden deutschen Ausbauregionen des vergangenen Jahres. Sie gehören alle zur geografischen Nordhälfte des Bundesgebiets. Ihr Anteil fiel mit Hinzunahme der ebenfalls zur Nordhälfte gehörenden Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin sowie vom ebenfalls noch überwiegend nördlich der geografischen Mittellinie gelegenen Sachsen-Anhalt leicht höher aus. Doch mit 87 MW lag Sachsen-Anhalt klar hinter den südlicheren Bundesländern Hessen und Rheinland-Pfalz, den beiden süddeutschen Spitzenregionen mit 163 und 139 MW. Und die kleinen Stadtstaaten spielten mit je einer Vier-MW-Turbine in Hamburg und Bremen keine statistische Rolle.
Dabei war die Spreizung des Ausbaus unter in den Nordländern selbst enorm. Sie reichte von 184 MW in Mecklenburg-Vorpommern bis 1.210 MW in Schleswig-Holstein. Hier nördlich der Elbe, herrscht nach mehreren Jahren eines Moratoriums gegen eine Nutzung zusätzlicher Flächen für Windkraft seit 2021 starker Nachholbedarf.
Gebremste Wachstumserwartungen auch für 2024
Anhand der neuen Genehmigungen für die Errichtung zukünftiger Windparks von 7,5 GW und anhand der 2023 erfolgten weiteren Zuschläge für Vergütungsrechte der Windparkprojekte erwarten die Windenergieverbände für 2024 erneut einen starken, aber immer noch gebremsten Zuwachs des Windenergiemarktes. Bei „gleichbleibender Realisierungsgeschwindigkeit und mit vergleichbaren Ausfallquoten“ seien neue bundesweite Installationen der Windkraft an Land mit 3,6 bis 4,1 GW zu erwarten, prognostizierten BWE und VDMA.
Damit verbliebe der Markt weiterhin deutlich unter seinem Zielhorizont. Der von der Politik anvisierte Windparkbau müsste 2024 eigentlich zu Neuinstallationen von sieben GW führen.
Langwierige Genehmigungsverfahren, schleppende Transportgenehmigungen
Dass es nicht schneller voran geht, ist der von beiden Verbänden angedeuteten schlechten „Realisierungsgeschwindigkeit“ und Ausfällen beispielsweise aufgrund zu schleppender Transportgenehmigungen zuzuschreiben. So braucht es teilweise weiterhin Jahre, bis Projektanträge eine Genehmigung der Behörden erhalten, und manchmal ebenfalls Jahre, bis aus einer Genehmigung ein Windpark entsteht.
Dies trifft insbesondere auf Hessen zu, wie BWE-Sprecher Frank Grüneisen ERNEUERBARE ENERGIEN erklärte: Das Bundesland zählte trotz einer bundesweit immer noch vorbildlichen Ausweisung von zwei Prozent der Landesfläche als Windkrafteignungsgebiete 2023 nur Ausschreibungszuschläge für die Vergütung künftiger Windparks mit 176 MW, obwohl das Bundesland im vergangenen Jahr noch einen Energie- und Wirtschaftsminister aus den Reihen der Energiewendepartei Bündnis 90/Die Grünen hatte.
Von den Flächenbundesländern war dieser Wert nur in Bayern, Thüringen und Sachsen sowie dem sehr kleinen Saarland schlechter. Dabei blockiert in Bayern noch immer die restriktive bundesweit weitreichendste Abstandsvorgabe für neue Windparks rings um Siedlungen den Ausbau, wofür die lange Zeit windkraftfeindliche Regierungspartei CSU verantwortlich ist. In Sachsen lässt die Bremswirkung der bisher windkraftfeindlichen Regierungspartei CDU seit dem Regierungseintritt der Grünen und der SPD von 2019 erst langsam nach. Und in Thüringen blockiert der Zustand einer Minderheitsregierung den versprochenen Ausbaukurs.
Klagen verzögern Windparkprojekte in Hessen
Hessen bleibe immer noch durch die bundesweit längste durchschnittliche Genehmigungsdauer für Windkraftprojekte mit 36 Monaten geprägt, sagte Grüneisen. Zudem seien dort 100 Prozent der Flächenkulisse – also alle Windparkprojekte betreffend – beklagt. Laufende Gerichtsverfahren verlangsamen also hier die Baurechtsvergabe für die Projekte, die eine Bedingung auch für die Teilnahme an neuen Ausschreibungen ist.
Auch die schleppenden Transportgenehmigungen haben 2023 möglicherweise gravierende Wirkungen gezeigt. Um eine Transportgenehmigung für große Windturbinenkomponenten zu erhalten, benötige es in Deutschland im Mittel drei bis vier Monate. Hinzu komme, dass zu wenig logistische Infrastruktur durch zu knappe Hafenkapazitäten den Ausbau beschränke. Weil in Deutschland inzwischen keine Rotorblattfertigung mehr stattfindet, importieren die Windturbinenhersteller die gewaltigen oft 70 bis 80 Meter langen Bauteile in der Regel über Schiffstransporte nach Deutschland. 80 Prozent der Rotorblätter müssten aber aktuell über nur einen Hafen, die Kais in Cuxhaven, ins Land gelangen, teilte BWE-Präsidentin Bärbel Heidebroek mit.
Ausschreibungen verfehlen Ziel, bringen aber Rekordzuschläge
Ebenfalls noch deutlich hinter den politischen Vorgaben waren im vergangenen Jahr auch die Ausschreibungen geblieben. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hatte die Vergabe von Vergütungsrechten für 12,8 GW vorgesehen. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hatte die Volumen der vier Auktionstermine von ursprünglich vorgesehenen jeweils 3,2 GW in den Tendern zwei, drei und vier gekürzt. Das EEG sieht eine Reduzierung des Ausschreibungsvolumens vor, wenn die BNetzA als Ausschreibungsbehörde anhand der genehmigten Projekte zu wenig Potenzial für den Tender sieht.
Deshalb hatte die Behörde insgesamt nur 9,8 GW ausgeschrieben. Die Projektentwicklungsunternehmen und Investoren hatten dann sogar nur etwas mehr als sechs GW angeboten. Und davon konnte die BNetzA am Ende noch 6,4 GW bezuschlagen, was gleichwohl einem Rekordvolumen gleichkommt.
Benötiges Ausbautempo ließe sich erreichen
Dennoch sehen die Windenergieorganisationen das politisch anvisierte Ausbauniveau der Windenergie an Land mit jährlich zehn GW nun als nicht mehr unerreichbar an. Würden alle Bundesländer wie schon heute die führenden Nordländer bei den Neugenehmigungen nachziehen, wäre der deutsche Markt auf dem richtigen Kurs, sagte Heidebroek.
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