Das EEG ist hier eindeutig. Das Gesetz gibt den erneuerbaren Energien den Vorrang; soweit die Theorie. Die Praxis sieht ganz anders aus. Im Zweifel werden die Erneuerbaren-Energien-Anlagen abgeregelt. Die konventionellen Kraftwerke, die ihre Betreiber weiter laufen lassen wollen, lassen sich den Must-Run-Status verleihen. Dafür reicht es gemeinhin schon, Wärme auszukoppeln oder Regelenergie bereit zu stellen. Folglich reicht es für ein Kraftwerk oder sei es auch nur eine Kraftwerksscheibe, am Regelenergiemarkt teilzunehmen und schon hat der Kraftwerksbetreiber den Nachrang zum Vorrang umgedreht.
So erklärt sich dann auch, weshalb in Netzengpassgebieten Windparks und Biogasanlagen abgeregelt werden, während die Atom- und Kohlekraftwerke munter weiter laufen. Der Wille des Gesetzgebers ist damit auf den Kopf gestellt. Volkswirtschaftlich ist die Praxis ineffizient, weil die Grenzkosten von Windstrom deutlich unter denen von Kohlestrom, ja selbst Atomstrom liegen. Vor allem aber ist die Praxis klimaschädlich und führt zudem zu zusätzlichem Anfall von Atommüll.
In den vergangenen Jahren spielte die Zahl der abgeregelten Kilowattstunden noch eine untergeordnete Rolle. Der Trend weist aber weiter nach oben. Schrittweise entwickelt sich damit die Abregelungspraxis zu einem Problem für den Klimaschutz. Jede Abregelung regenerativer Anlagen führt zu zusätzlichem CO2-Ausstoß. Überflüssigen CO2-Ausstoß können wir uns nicht mehr erlauben. Spätestens mit den Vorgaben der COP21 von Paris ist klar, dass die Energiewirtschaft sehr schnell dekarbonisiert werden muss. Das gilt für alle Sektoren: Strom, Wärme und Verkehr. CO2-Verschwendung ist mit den Zielen schlicht nicht vereinbar. Daher dürfen wir keine Kilowattstunde durch Abregelung von erneuerbaren Energien mehr verloren geben.
Wie kann das Problem gelöst werden? Es bieten sich vor allem zwei Lösungsstrategien an:
1. Durchsetzung des Vorrangs für erneuerbaren Energien
2. Nutzung des „überzähligen" Erneuerbare-Energien-Stroms
Durchsetzung des Vorrangs für erneuerbare Energien
Die energiewirtschaftliche Praxis muss an die Erfordernisse des Klimaschutzes angepasst werden. Kohlekraftwerke müssen als erstes abgeregelt werden und es darf auch nicht sein, dass die verbleibenden Kernkraftwerke gegenüber erneuerbaren Energien bevorzugt werden. Folglich müssen die Systemdienstleistungen, die bislang von Großkraftwerken bereitgestellt werden, künftig von erneuerbaren Energien und Speichern erbracht werden. Die vorgesehene Flexibilisierung der Regelenergiemärkte bietet hier auch bessere Zugänge, da die erneuerbaren Energien sich dann einfacher an den Regelenergiemärkten beteiligen können. Biogasanlagen haben bereits seit längerem einen festen Platz im Sekundärleistungsmarkt. Die ersten Windparks wurden jüngst für die Minutenreserve präqualifiziert. Im Primärleistungsmarkt könnten große Batterien sehr schnell die Hauptrolle spielen. Allerdings fahren hier die Übertragungsnetzbetreiber noch eine Blockadestrategie und versuchen über die Regelung beim europäischen Grid-Code Batterien gegenüber Kraftwerken zu benachteiligen. Offenbar gibt es hier immer noch eine unheilige Allianz zwischen Kraftwerksbetreibern und Übertragungsnetzbetreibern.
Nutzung des „überzähligen“ Erneuerbare-Energien-Stroms
Wird ein Windpark abgeregelt, weil die sonst erzeugte Energie auf Grund von Netzengpässen nicht abtransportiert werden kann, heißt das noch lange nicht, dass der Strom nicht genutzt werden könnte. Der Verbrauch oder die Speicherung müsste lediglich vor dem Netzengpass erfolgen. Noch können nur relativ kleine Energiemengen zwischengespeichert werden. Doch die Durchdringung des Versorgungssystems mit Speichern wächst in großen Schritten. Auch so manche Solarbatterie wird dann in stürmischen Zeiten Windstrom aufnehmen. Und auch die E-Mobilität wird in Zukunft einen bedeutenden Beitrag zu den Speicherkapazitäten leisten.
Vor allem kann der Strom aber in anderen Energiesektoren genutzt werden und dort fossile Energieträger ersetzen und damit CO2 einsparen und zugleich die Abhängigkeit von Energieimporten verringern. Eine elektrische Heizpatrone kann in Zeiten hohen Stromangebotes einen fossilen Heizkessel ersetzen. Ein besonderer Clou ist die Kombination mit Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Diese erzeugen bisher auch dann Strom (Must Run), wenn bereits Windkraftanlagen abgeregelt werden müssen. Würden hier Heizpatronen oder Wärmepumpen eingesetzt, könnte der Engpass sowohl durch den nicht erzeugten Strom als auch durch den zusätzlichen Verbrauch entlastet werden. Dabei wird fossiler Brennstoff eingespart und die Entstehung von CO2 verhindert. Zudem wird das Netz wieder frei für mehr Windstrom.
16 Jahre nach Einführung des Einspeisevorrangs beim EEG ist die Praxis noch immer weit entfernt von den Zielen der Gesetzgeber. Die Netzbetreiber scheinen wenig Anreiz zu haben, die gesetzgeberischen Vorgaben gegenüber den Betreibern konventioneller Anlagen durchzusetzen. Es ist offensichtlich, dass hier die Bundesregierung und die Netzagentur ihre Hausaufgaben noch machen müssen. Dabei ist es hilfreich, dass die technologische Entwicklung der erneuerbaren Energien und der Speichertechnologien immer mehr Optionen eröffnet. Es ist aber nicht zu verkennen, dass der Kampf um den Einspeisungsvorrang für erneuerbare Energien ein zähes Geschäft bleibt, ganz so wie die Durchsetzung des Vorrangs für den Klimaschutz insgesamt.
Autor: Carsten Pfeiffer, Leiter Strategie und Politik, Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE)
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