Das Wunder von Saerbeck hat eine Vorgeschichte. Darauf legt Andreas Fischer Wert. Der Bauamtsleiter verweist auf die 1990er Jahre, als die 7.000-Seelen-Kommune im Nordwestzipfel von Nordrhein-Westfalen (NRW) kostenlos die Dächer öffentlicher Liegenschaften für Bürgersolaranlagen freigab. Beraten wurde sie dabei von der Fachhochschule Steinfurt. Seit 2009 heimst sie einen Titel nach dem anderen ein, wurde NRW-Klimakommune der Zukunft, Trägerin des European Energy Award des deutschen Nachhaltigkeits- und des deutschen Solarpreises. 2013 ehrte sie die Berliner Agentur für Erneuerbare Energien als Energiekommune des Jahres.
Solche seit einigen Jahren ausgelobten Ehrungen zielen darauf, kommunale Energiewunder zur Normalität werden zu lassen. Das ist nicht vermessen, denn wie fast jedes ökonomische Wunder hatte auch Saerbeck seine materiellen Gründe – und professionelle Dienstleister. Beispiele wie Saerbeck haben zudem eine Dienstleisterszene zum Leben erweckt, die den Einstieg in erneuerbare Energien für Kommunen heute zum Tagesgeschäft macht.Saerbeck lieferte die Blaupause dafür: So erwarben die Westfalen ein ehemaliges Munitionsdepot der Bundeswehr. Auf der 90-Hektar-Fläche richtete die Kommune einen Energiepark ein: eine Photovoltaik-Freiflächenanlage mit 5,8 Megawatt (MW), zwei Ein-MW-Biogasanlagen und zuletzt sieben Windturbinen mit 21 MW. Als weitere Investoren traten Bürger, ein eigens neu gegründeter Energieversorger und örtliche Unternehmen auf. Rein rechnerisch versorgt sich Saerbeck so vollständig selbst, will im nächsten Schritt sogar mit Stromspeichern autark werden. Doch wie kann eine kleine Gemeinde so pannenfrei die Energiewende vorantreiben? Klar, die örtliche Volksbank und die Sparkasse übernahmen als Fremdkapitalgeber einen Teil der planerischen Kontrolle. Außerdem schrieb Saerbeck die Windparkprojektierung aus und „fand Herrn Keßler aus Billerbeck“, wie Bauamtsleiter Fischer sagt.
Stärkung von Kommunen
Oliver Keßler ist ein Spezialist. Seiner Firma Windinvest schreibt er die „Stärkung von Kommunen“ als Aufgabe zu. Für die bisher 40 von ihm projektierten Windturbinen ging Keßler betont partnerschaftlich vor. Sein Prinzip: Wo er Bauflächen für ein oder zwei Anlagen gepachtet hat, bietet er den jeweiligen Kommunen an, für sie zum Selbstkostenpreis mitzuprojektieren. „Eine Win-win-Situation: Wenn ich meine Anlagen zur Genehmigung bringe, kann ich das fast ohne Mehraufwand für weitere Anlagen der Kommune mitleisten.“ Zudem kann er beispielsweise statt zwei gleich fünf Anlagen einkaufen und beim Hersteller günstigere Preise aushandeln. Die Kommune bejahe dann auch sein Vorhaben, rechnet Keßler vor.
In Saerbeck ließ er sich die Dienstleistung erstmals bezahlen, weil er dort keine eigene Anlage plante. Keßler richtete allen Beteiligten eine jeweils individuelle Gesellschaft für ihre Anlagen ein. Das garantiere hohe Betriebswirtschaftlichkeit, sagt er.
Die Energieagentur NRW hat ermittelt, wie groß der Bedarf an solchen Dienstleistungen bereits ist: Demnach will schon ein Viertel aller Kommunen des Landes selbst in Erneuerbaren-Projekte investieren. Dasselbe wollen 60 Prozent der Stadtwerke. Und 80 Prozent der 396 NRW-Gemeinden versuchen, den Bau von Bürgersolar- oder Bürgerwindparks in ihren Gemarkungen anzuregen.
Im NRW-Nachbarland Hessen gründete sich für diesen Bedarf schon vor zehn Jahren ein Branchennetzwerk. Der von Wiesbaden finanzierte Firmenzusammenschluss DeENet ist einer von fünf Veranstaltern des Jahreskongresses „100 Prozent Erneuerbare-Energien-Regionen“, der seit 2009 regelmäßig tagt. Ansonsten erarbeitet DeENet im Auftrag von Kommunen so genannte Klimaschutz-Masterpläne. Gut 60 Unternehmen sind darin organisiert: Solartechnik-Zulieferer, Architekten, beratende Ingenieurbüros oder auch große Projektierer der Branche wie Juwi und WPD.
In Süddeutschland wächst Bedarf
Auch Veranstalter anderer Kongresse oder Messen in Deutschland wie energieautonome Kommunen in Freiburg oder die Renexpo in Augsburg verweisen gerne auf sich spezifisch für die Zusammenarbeit mit Kommunen empfehlende Unternehmen: etwa auf die als kommunale Energieberater firmierende Green Energy City aus München, auf das Projektentwicklungsunternehmen Vensol im bayerischen Babenhausen oder die Regenerativ-Tochter des Energieunternehmens Steag und den Beratungsdienst der Hamburger Großkanzlei Becker, Büttner, Held. In diese Reihe gehört auch der von bayerischen landwirtschaftlichen Handelsgenossenschaften abstammende Konzern Baywa RE, der Energieprojekte für Kommunen und Bürgergenossenschaften entwickeln will.
Insbesondere in Süddeutschland scheint an ihnen Bedarf. Hier haben Landesregierungen die regionale Beteiligung zu einer Fast-Pflicht gemacht. Zudem luden sie große Energieversorger wie die EnBW quasi ein, landesweit von Kommunen initiierte Windparks oder Solaranlagen in einem frühen Planungsstadium aufzuspüren, förmlich unter die Konzernregie abzusaugen und so eigene Erneuerbaren-Kapazitäten mit auszubauen. Das setzt auch andere Entwickler unter Druck. Sie müssen so die Kommunen nicht mehr nur als von Gewerbesteuern und Pachten profitierende Partner, sondern auch als Kunden ansprechen.
Das Singener Unternehmen Solarcomplex begrenzt seinen Radius auf den südbadischen Raum, um sich dort einen Vertrauensbonus aufzubauen. Als alternatives Geschäftsmodell zu herkömmlichen Projektierern will Firmenchef Bene Müller das nicht verstanden wissen. Dass er zuletzt an drei Ausschreibungen für kommunale Energieparks teilgenommen hatte, aber nie zum Zuge kam, bedauert er freilich ganz speziell. Sieht er seinen Vorteil doch darin, bei Durststrecken im Projektentwicklungsprozess sich zugunsten seiner regionalen Kunden auch mal ganz auf ein Projekt konzentrieren zu können.
Interkommunales Windparkprojekt
Das hätte vielleicht im interkommunalen Windparkvorhaben von Meßkirch und Leibertingen geholfen. Beide Orte wollten bis zu 20 Windenergieanlagen der 2,3-MW-Plattform von Hersteller Enercon errichten lassen. Die Projektierungs-Ausschreibung hatte Energieversorger EnBW gewonnen. Das war aus Sicht der Gemeindeverwaltungen praktisch, weil das örtliche Netz von EnBW betrieben wird, wie Meßkirchs Stadtbaumeister Thomas Kölschbach einräumt. EnBW gab auf, als Messungen in einer Nachbarregion nur eine durchschnittliche Windgeschwindigkeit von unter fünf Meter pro Sekunde ergaben. Der vom Land 2011 herausgegebene Windatlas hatte diese Region mit 5,5 Metern pro Sekunde gerade noch als geeignet eingestuft. Auf denselben nun zweifelhaften Wert taxiert der Windatlas die Potenzialfläche bei Meßkirch und Leibertingen.
„Wir müssen nun bei uns direkt den Wind messen lassen“, sagt Kölschbach jetzt. Allerdings warte seine 8.200-Einwohner-Kommune ab, wie die Bundesregierung im Frühjahr die Windstromvergütung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes reformiere. Erwartet werden Vergütungsrückgänge. Man habe jetzt ein kleines Lehrgeld zahlen müssen, resümiert Kölschbach. „Künftig wissen wir mehr“.
Viele größere Städte organisieren sich ganz gut selbst. So schlossen sich Kommunen 1999 im Aachener Stadtwerkebündnis Trianel zusammen, um im verschärften liberalisierten Energiemarkt weiterhin Gas und Strom handeln zu können. Trianel investiert auch in die Grünstromerzeugung. Anfangs habe der Verbund auf Berater und regionale Projektierer gesetzt, erklärt Pressesprecher Elmar Thyen. Trianel will aber nach dem schon gestarteten Bau eines 400-Megawatt-Windparks in der Nordsee bis zu 150 MW an Land installieren – entweder als Verbund oder auch als bezahlter Dienstleister im Auftrag einzelner Städte. Ob Selbsthilfe oder fremde Projektierungshilfe: Beide Wege können Kommunen zum Ziel führen, wenn sie nicht zu früh aufgeben. ( Tilman Weber)