ERNEUERBARE ENERGIEN: Herr Holt, was war in jüngerer Zeit Ihr größter Erfolg bei den Vollwartungen?
Tim Holt: Offshore ist es das Projekt Butendiek in Deutschland mit 80 Windenergieanlagen mit einer Leistung von jeweils 3,6 Megawatt. Wir haben einen Vollwartungsvertrag über einen Zeitraum von zehn Jahren mit dem Projekt-Entwickler WPD abgeschlossen: der Vertrag umfasst die komplette Wartung, die Gewährleistung auf Großkomponenten und die Logistik. Wir stellen beispielsweise ein speziell für den Offshore-Einsatz entwickeltes Wartungsschiff, ein Schiff auf dem Servicetechniker wohnen und arbeiten. Wenn wir eine Komponente tauschen, sorgen wir auch für das Errichterschiff, ein Jack-Up-Vessel. Das Auftragsvolumen für die Windturbinen inklusive Service für Butendiek beträgt über 700 Millionen Euro. Davon entfällt rund ein Drittel auf den Service. Das war unser erster langjähriger Offshore-Vollwartungsvertrag weltweit. Wir hoffen, dass weitere Verträge in den nächsten Monaten folgen.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Was ist das Wegweisende daran?
Tim Holt: Wegweisend ist, dass wir für den Kunden den kompletten Leistungsumfang übernehmen. Quasi ein Rundum-Sorglos-Paket.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Mehr als 200 Millionen über zehn Jahre erhält Siemens dafür also, so lernen wir. Können Sie unter diesen Umständen sicher sein, dass Siemens dabei Geld verdient – oder hat der Vertrag für Sie in erster Linie die Bedeutung eines Türöffners in das Offshore-Service-Geschäft und überhaupt erst in das Offshore-Geschäft in der deutschen Nordsee?
Tim Holt: Wir müssen als Anbieter von Service-Leistungen sowohl das Risikomanagement als auch die Profitabilität im Auge behalten. Ausgehend von den Erfahrungen in anderen Offshore-Windparks mit Siemens-Anlagen können wir abschätzen, wie oft beispielsweise die Jack-Up-Schiffe gebraucht werden. Natürlich kann man nicht immer alles planen. Aber wir versuchen einerseits mit unseren sehr fortgeschrittenten Modellen unsere Fehlerraten zu analysieren und vorherzusagen. Andererseits haben wir uns über feste Lieferverträge für die Schiffe abgesichert.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Über eine Beteiligung Siemens´an Schiffebetreiber A2Sea …
Tim Holt: Genau
ERNEUERBARE ENERGIEN: Sollte Offshore nicht ohnehin aufgrund des hohen Risikos beim Windparkbetreiber mit Vollwartungskonzepten abgesichert sein?
Tim Holt: Das ist sehr stark vom Kunden abhängig. Große Energieversorger wie Eon, RWE, oder Dong können das Risiko in ihrer Unternehmensbilanz abbilden. Bislang sind Garantiezeiten von fünf Jahren für die Offshore-Turbinen üblich. Danach übernehmen in der Regel die Energieversorger einen großen Teil der Service-Aktivitäten selbst – einschließlich des Risikos außerplanmäßiger Stillstände.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Was war Onshore Siemens´ wichtigster Erfolg bei Vollwartungsabschlüssen?
Tim Holt: Onshore hat Siemens Anfang April den ersten Vollwartungsvertrag, der über eine Laufzeit von 15 Jahren geht, in den USA abgeschlossen. Der Kunde hatte bereits einen Service-Vertrag über fünf Jahre. Es geht hier um zwei Windkraftwerke in Texas des Entwicklers RES: Hackberry und Whirlwind mit Anlagen der 2,3 MW-Klasse. Dieser Abschluss ist ein wichtiger Erfolg für uns, da die USA bisher kein typischer Markt für Langzeitverträge waren. Viele US-amerikanische Kunden möchten das Risiko noch selbst managen. Das verändert sich allerdings seit zwei Jahren zunehmend. Nach dem 2008 gestarteten Windboom in den Vereinigten Staaten steht das Ende der Garantiezeit bei vielen Kunden an. Im Gegensatz dazu verkaufen wir in Europa bereits mehrheitlich Vollwartungsverträge für neue Anlagen – mit Laufzeiten von bis zu 20 Jahren.
"Neuentwicklung auch für Europa"
ERNEUERBARE ENERGIEN: Aber so lange Wartungszeiträume sind doch eine Neuentwicklung auch für Europa?
Tim Holt: Ja und nein. Seit drei Jahren leite ich den Service für die Erneuerbaren bei Siemens. Die erste Vollwartung überhaupt haben wir bereits im Jahr 2000 über eine Laufzeit von 15 Jahren abgeschlossen. Dann haben wir bis 2004 keine neuen Verträge für Vollwartung abgeschlossen, bevor das Geschäft mir der Vollwartung langsam an Fahrt aufgenommen hat. Als ich vor drei Jahren die Service Renewables Einheit übernommen habe waren schon rund zehn Prozent aller Service-Vereinbarungen Langzeit-Vollwartungsverträge. Inzwischen sind wir bei rund 50 Prozent.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Warum ist für Sie Vollwartung so wichtig?
Tim Holt: Vollwartungsverträge sind ein langfristiges Geschäft. Damit sind wir bis zu 20 Jahre lang mit einem Kunden verbunden. Über diesen Zeitraum hinweg können wir mit einem planbaren Umsatz rechnen. Beim Neuanlagengeschäft gibt es immer wieder Schwankungen. Im Service können wir dank Vollwartungsverträgen schon Anfang des Jahres abschätzen, welcher Umsatz am Ende in unseren Büchern stehen wird. Somit stellen wir die Auslastung von Kapazitäten und Mitarbeitern sicher. Eine auf 20 Jahre angelegete Kundenbeziehung können wir außerdem besser langfristig optimieren und ausbauen.
Gleichzeitig investieren wir in die Entwicklung von Modernisierungen und Upgrades für Windturbinen. Ziel ist es, die Anlagen immer auf dem neuesten Stand zu halten und die Leistung zu steigern.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Sie haben zuletzt gesagt, dass Sie „both efficient and cost effective“ einen Service anbieten wollen. Vor dem Hintergrund, dass Vollwartung drittens Interessengleichheit zwischen Betreiber und Windturbinenzulieferer herstellen soll: Kann man wirklich immer alle drei Dinge gleichzeitig erfüllen?
Tim Holt: Hier geht es sicherlich um eine Balance. Ich geben Ihnen ein Beispiel: Bei variablen Modellen erhalten wir einen bestimmten Betrag pro Kilowattstunde, die der Kunde erzeugt und verkauft. Wenn die Anlage des Kunden aber keinen Strom generiert, schmilzt auch unser Anteil. Konzentrieren wir uns also nur auf die Kosteneffizienz und warten eine Turbine angenommen nur alle fünf Jahre, würden größere Schaden wahrscheinlicher. Steht die Turbine erst einmal sind wir in der Pflicht, die Komponenten zu tauschen. Dies wirkt sich in letzter Konsequenz natürlich auch auf unseren Umsatz aus.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Wie ist denn aktuell der Preis in Cent pro Kilowattstunde?.
Tim Holt: Der Preis hängt von der erwarteten Jahresproduktion ab und in welchem Markt sich der Windpark befindet. In Europa liegen die Preise derzeit schätzungsweise zwischen 0,6 und 1,0 Euro Cent.
International starker Preisdruck
ERNEUERBARE ENERGIEN: Das ist niedriger als das, was bisher von manchen Turbinenherstellern gemeldet wurde, nämlich Preise um die 1,2 oder 1,3 Cent in Deutschland …
Tim Holt: In den letzten Jahren hat sich der Wettbewerb im Service-Markt verschärft. Die Verhandlungsposition des Kunden hat sich mit der Kombination von Neuanlagenkauf und Abschluss von Vollwartungsverträgen verbessert. Der Kunde kann unterschiedliche Angebote besser vergleichen und entsprechend verhandeln. Der von mir genannte untere Preisbereich findet sich in Märkten, in denen die Arbeitskosten geringer sind wie beispielsweise in Rumänien oder in der Türkei.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Was ist denn das Hauptargument für Sie dafür, dass jemand einen Vollwartungsvertrag abschließen sollte?
Tim Holt: Wir sprechen hier von einem Rundum-Sorglos-Paket. Das ist inbesondere für unsere deutschen Kunden interessant. Sie können mit vorhersehbaren, jährlich gleich bleibenden Ausgaben für die nächsten 20 Jahre rechnen und ihre Gewinne kalkulieren. Ein wichtiges Argument auch, wenn Kunden mit Banken oder Versicherungen sprechen.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Wie viel besser ist denn momentan das Geschäft mit dem Service als das Geschäft mit den Neuanlagen. Branchenanalysten beobachten Margen von bis zu 17 Prozent heute und vielleicht noch 10 Prozent im Jahr 2020. Ist das alles realistisch?
Tim Holt: Siemens veröffentlicht keine Geschäftszahlen für den Service. Aber wir sind profitabel unterwegs. Die Service-Margen liegen bei vielen Anlagenherstellern im zweistelligen Bereich.
Wie vorhersehbar ist Schadensentwicklung?
ERNEUERBARE ENERGIEN: Doch wird es auch ein Erfolgsmodell bleiben? Wird hier nicht ein neuer Problemballon aufgeblasen, der aufgrund zunehmender Wartungsanfälligkeit neuer Serien und Plattformen plötzlich platzen und die Hersteller mit hohen Gewährleistungskosten in einigen Jahren umso mehr belasten kann?
Tim Holt: Es gibt zwei Faktoren, die die Zukunft des Service-Geschäfts beeinflussen: der Preisdruck und ein relativ hohes Produktivitätspotenzial. Beispielswiese müssen unsere Service-Teams bei immer mehr und dichter stehenen Windenergieanlagen kürzere Wegestrecken zurücklegen. Zudem optimieren wir kontinuierlich den Service. Dabei kommen auch Methoden aus der Automobilbranche zum Einsatz. Bessere Instrumente helfen festzustellen, ob Service-Mitarbeiter beispielsweise jedes Jahr alle Schrauben nachziehen müssen oder ob künftig ein Einsatz alle zwei Jahre ausreichend wäre. Des Weiteren gehen mit der fortschreitenden technischen Entwicklung auch die Ausfallraten der Komponenten zurück.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Mit der besseren Technik steigen aber auch die Erwartungen Ihrer Kunden, was dann wieder zu neuem Preisdruck führt …
Tim Holt: Das ist richtig. Beispiel USA: Hier haben die Kunden bestimmte Erwartungen, was der Service maximal kosten darf. In den USA prüfen unabhängige Ingenieurbüros das Angebot und die Kunden teilen uns dann schnell mit, wo ihre Schmerzgrenze liegt.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Welche Rolle spielen die technischen Nachbesserungen mit so genannten Upgrades – also der nachträgliche Einbau immer wieder neuer und verbesserter Komponenten – in Ihrem Konzept?
Tim Holt: Die Bedeutung von Modernisierungen und Upgrades nimmt zu. Seit etwa drei Jahren stocken wir unsere Investitionen in die Forschung und Entwicklung auf, wenn es darum geht, bereits installierte Anlagen auf den neuesten Stand der Technik zu bringen.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Nutzen Sie bereits Schadensdatenbanken um die Wartung von Komponenten zu steuern?
Tim Holt: Ja, die nutzen wir. Wir investieren massiv in Diagnostikverfahren. Dies umfassst die Einstellung qualifizierter Ingenieure sowie entsprechende Investitionen in die Zustandsüberwachung und Analytik selbst. Die zustandsorientierte Wartung mit Hilfe der aufgezeichneten und analysierten Daten – Stichwort Turbine Condition Monitoring – ist für mich eine der wichtigsten strategischen Ausrichtungen für die Zukunft. Wenn unsere Ingenieure mit Diagnostikverfahren kleine Abweichungen in den aufgezeichneten Daten einer Anlage erkennen, können wir Serviceeinsätze frühzeitig planen und Schäden vermeiden. Auf Englisch formulieren wir das gerne wie folgt: More smarter services less boots on the ground.
Das Gespräch führte Tilman Weber