Liegt der Rückgang in Ihren Geschäftszahlen 2015 auch daran, dass bei Enercon neue Binnenlandanlagen wie die E-101 und E-115 zu spät auf den Markt gekommen sind?
Hans-Dieter Kettwig: Das ist doch schon drei bis vier Jahre her. Das würde ich nicht so sehen. Ich sehe eher, dass die Wettbewerber jetzt im deutschen Markt richtig massiv auftreten. Alle sind sie in den Markt eingeströmt, weil Deutschland als Markt eine Panikattacke erlebt.
2016 wollen Sie auf das Niveau des 2014 unterbrochenen Wachstums zurückkehren. Dabei haben Sie jetzt auch ein beeindruckendes Tempo bei der Entwicklung neuer Anlagentypen erreicht. Ist das nun der Innovationstakt, den der Markt offenbar verlangt?
Hans-Dieter Kettwig: Positiv ist für uns, dass die Delle von 2015 für uns letztendlich nicht dramatisch war. Unsere neue Plattformstrategie führt dazu, dass wir in Ergänzung der neuen 4,2-Megawatt-Anlage E-126 EP4 schneller zu neuen Produkten kommen. Vor zwei bis drei Jahren hatten wir in diesem Zusammenhang angefangen, unsere Windenergieanlage neu zu durchdenken. Es geht dabei um Herausforderungen, die die Hersteller annehmen müssen.
Honoriert der Markt die schnelle Innovationsfolge der neuen Anlagenplattform schon jetzt, auch wenn die als nächstes geplante Anlage dieser Plattform, die E-141, wohl nicht mehr rechtzeitig für umfangreiche Installationen nach den vorteilhaften Vergütungsregeln des EEG 2014 kommt?
Hans-Dieter Kettwig: Der Markt honoriert das. Die große Herausforderung ist aber, dass man als Turbinenhersteller die letzte Dokumentation, das letzte Zertifikat zur richtigen Zeit bereit haben muss. Wer heute eine Windenergieanlage installieren will, braucht zwei, drei Jahre Vorlaufzeit. Dann ist es schön, wenn Sie als Anlagenhersteller ein Produktportfolio haben wie wir. Wenn wir im deutschen Binnenland jetzt punkten wollen für die ersten Ausschreibungsprojekte, die 2019 gebaut werden – müssen Sie dem Betreiber heute schon sagen: „Du kannst eine E-141 kaufen“. Der Markt honoriert das. Aber letztendlich müssen wir alle Anforderungen komplett haben. Wir brauchen einen schon vermessenen Prototyp. 60 Prozent der Zeit für die Entwicklung einer neuen Windenergieanlage wird für die Zertifizierung sowie sonstige vorbereitende Arbeitenbenötigt: Wir trainieren so heute schon Leute auf die Modulbauweise der 4,2-Megawatt-Plattform EP4, damit die sofort den Service machen können.
Wann ist die Zeit reif dafür, dass Enercon einen großen Teil des Geschäfts als System-Lösungsanbieter und nicht mehr nur als Windkraftausbauer bestreitet? Wann verdienen Sie an den von Ihnen vorangetriebenen Entwicklungen bei Systemdienstleistungen wie Batteriespeichern?
Hans-Dieter Kettwig: Nicht vor 2020. Davor stehen im Produzieren und in der Wertschöpfung im Produktionsprozess noch große Herausforderungen. Zum Beispiel die halbautomatisierte Fertigung – aber auch noch vieles mehr. Von Vorteil für uns ist, dass die Komponenten, die in der Schnittstelle zur Anbindung von Speichern – unserem Smart-Container – zum Einsatz kommt, Kerntechnologie ist, die in allen Enercon-Windenergieanlagen verbaut ist. Aber auch bei diesen Produkten werden wir nicht sofort von 0 auf 100 loslegen. Dafür ist das Thema zu komplex.
Das Gespräch führte Tilman Weber auf der Industrieschau Hannover Messe