Die Ernährungssituation in den armen Ländern verschlechtert sich zunehmend. Am diesjährigen Welternährungstag, den 16. Oktober 2010, müssen 925 Millionen Menschen hungern. "Selbst unter den besten aller denkbaren und realistischen Umstände werden die armen Länder in den kommenden Jahrzehnten nicht einmal annähernd in der Lage sein, ihre rasch wachsenden Bevölkerungen aus eigener Produktion ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen", sagt Harald von Witzke, Präsident des Humboldt Forums für Ernährung und Landwirtschaft, einem internationalen Think Tank mit Sitz in Berlin. Die rasch wachsende Nahrungslücke der armen Länder würde sich nur schließen lassen, wenn auch die reichen Länder selbst mehr Nahrung produzierten und exportierten. Die Europäische Union habe dieses Problem bisher weitgehend ignoriert und heute einen großen Nachholbedarf, der auch in der Öffentlichkeit bisher unbekannt sei.
Die EU habe die Agrarforschung allzu lange vernachlässigt. Unter anderem dadurch sei die Europäische Gemeinschaft heute zum weltgrößten Nettoimporteur von Agrargütern geworden. Rechne man die Nettoimporte der EU in die zu ihrer Produktion notwendigen Flächen um, ergäbe sich ein Import an virtuellem Boden von etwa 35 Millionen. Hektar, so von Witzke weiter. Denn die EU nutze in anderen Ländern Flächen von einer Gesamtgröße, die dem Territorium Deutschlands entspräche, um ihren eigenen Bedarf an Nahrung, Naturfasern, Bioenergie oder anderen Agrarprodukten zu decken. Nach dieser Berechnung habe sich allein in den letzten zehn Jahren der Nettoimport an virtuellem Ackerland um 10 Millionen Hektar erhöht.
"Die EU ist zu einem 'virtuellen' Landnutzer außerhalb ihres Territoriums geworden," so von Witzke. Die Ausdehnung der von der EU in anderen Ländern genutzten Flächen führe dort zur Entwaldung und trage dadurch außerdem zum Klimawandel bei. "Auch die EU muss in der Landwirtschaft wieder auf Innovation und hohe Produktivität setzen, wenn es gelingen soll, den Hunger in der Welt zu besiegen, dem Klimawandel Paroli zu bieten und natürliche Lebensräume zu erhalten,"fordert von Witzke. (Quelle: Humboldt Forum for Food and Agriculture)