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Windrecht

Vogelschutz versus Windkraft: Schützen statt schätzen

Tilman Weber

Rechtsanwalt Oliver Frank kann die Ausdauer seines Mandanten nicht genug loben. Zudem beeindruckt ihn das Interesse des höchsten deutschen Gerichts an einer Befriedung des im Windparkzubau zunehmend heißer schwelenden Konflikts: „Das ist schon ein Ding, dass wir mit einer Verfassungsbeschwerde so weit gekommen sind.“ Die Aussichten, in der Terminplanung der deutschen Spitzenjuristen einen Eintrag zu finden, sind gering.

Im November hatte das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss veröffentlicht, der sich gegen eine herrschende Genehmigungspraxis bei Anträgen zum Bau neuer Windparks richtet. Denn jahrelang hatten sich Genehmigungsbehörden mit Billigung durch Verwaltungsrichter in Zweifelsfällen auf eine schwammige „naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative“ gestützt. Eine Verfassungsbeschwerde des niedersächsischen Windpark-Entwicklers Hartwig Schlüter aus dem Jahr 2013 ließ die höchste deutsche Rechtsinstanz nun reagieren. Schlüter sah sein Unternehmen Enerplan aufgrund der bisherigen Praxis der Behördenwillkür ausgesetzt und sich im Grundrecht auf Berufsausübungsfreiheit behindert.

Zum Verständnis: Wenn untere Naturschutzbehörden zu den Auswirkungen eines geplanten Windparks auf Vogel- und Fledermausarten zu wenig fundierte Erkenntnisse vermuten, greifen sie nicht selten auf das vermeintliche Einschätzungsvorrecht zurück: Durch ein wie immer geartetes behördliches Grundverständnis wollen sie die Stimmigkeit der Positionen streitender Parteien erkennen. Auf wissenschaftliche Artenschutz-Gutachter verzichten sie dann.

Die eigentliche Beschwerde, die auf der 2011 und 2013 erfolgten Ablehnung zweier Windparkprojekte aufbaute, wiesen die Verfassungsrichter zurück. Doch die Einschätzungsprärogative bedachten sie trotz Juristendeutsch kaum verhohlen mit Kritik: Die Genehmigungsbehörden dürften über Windparkanträge nach ihrem Ermessen urteilen, wenn Datenlage und Argumente keine wissenschaftliche Klarheit ergäben. Doch sei „eine gewillkürte Verschiebung der Entscheidungszuständigkeit vom Gericht auf die Behörde“ unrecht, es gebe nur „eine nach Dauer und Umfang vom jeweiligen ökologischen Erkenntnisstand abhängige faktische Grenze verwaltungsgerichtlicher Kontrolle“.

Verfassungsrichter: Politik soll nun handeln

Von der Politik forderten die obersten Richter eine Anleitung: Diese dürfe nicht „auf Dauer Entscheidungen im fachwissenschaftlichen ‚Erkenntnisvakuum‘ übertragen“. Sie müsse „für eine zumindest untergesetzliche Maßstabsbildung sorgen“.

Der Rechtsanwalt der Lippstädter Sozietät Engemann und Partner hält den Beschluss aus Karlsruhe zwar für keinen Sieg. Dass die Prärogative gekippt werde, sei so leider nicht gesagt worden, erklärt er: Das Gericht habe „die Beschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit naturschutzfachlicher Entscheidungen in bestimmten Fällen bestätigt. Aber im Detail betonten die Richter, Auswirkungen auf den Artenschutz seien immer „naturschutzfachlich zu prüfen und fachwissenschaftlich zu begründen“. Frank sieht die Politik nun unter Zugzwang: „Jetzt muss der Gesetzgeber etwas tun.“

Urteil zum Landschaftsschutz kam hinzu

Der Verfassungsgerichtsbeschluss zur Einschätzungsprärogative könnte auch deshalb die Genehmigungspraxis verändern, weil er zeitlich mit einem ähnlichen Richterspruch zum Landschaftsschutz zusammenfällt.

So entschied das Oberverwaltungsgericht Lüneburg Anfang Dezember, dass es in Landschaftsschutzgebieten keine grundsätzlichen Bauverbote für Windparks mehr geben dürfe, was gegen das sogenannte Übermaßverbot verstieße. Vielmehr müssen die Behörden klären, ob und wo in einem Landschaftsschutzgebiet die geplanten Turbinen die Landschaft nicht wirklich verändern oder keinem der Schutzziele für dieses Gebiet widersprechen. Vor allem in größeren Landschaftsschutzgebieten eröffneten sich nun Teilflächen für Windparks, erklärt Martin Maslaton, der die Lüneburger Landschaftsschutzentscheidung erstritten hat.

Der Leipziger Jurist hält aber auch den Verfassungsgerichtsbeschluss für „extrem wichtig“. Ihn beeindruckt die Wortwahl der Karlsruher Richter vom „Erkenntnisvakuum“: „Brutaler hätten sie es im Juristendeutsch nicht ausdrücken können, dass die Verantwortlichen an der jahrelang im Blindflug operierenden Genehmigungspraxis nicht mehr alle Tassen im Schrank gehabt haben mussten.“

Hilft eine TA Artenschutz?

Die Politik müsse nun mit der Branche einen verbindlichen Maßstab für Artenschutz wie die sogenannten Technischen Anleitungen (TA) beim Lärm- oder Luftreinheitsschutz entwickeln, fordert Maslaton. „Eine TA Artenschutz ließe Windparkprojektierer endlich ausreichend sauber unter den härteren Wettbewerbsbedingungen der Ausschreibungen planen.“ In zwei Gremien des Bundesverbands Windenergie (BWE) – in der neu gegründeten Länderkammer und im BWE-Arbeitskreis Naturschutz – will Maslaton dafür eintreten. Wichtig wird hier die Länderkammer sein – ein Format zum Austausch mit Vertretern der Bundesländer. Denn die Bundesländer sind für die Vorgaben zum Artenschutz zuständig.

Vorher könnte aber der Branche ein Konflikt drohen. Beim BWE nennt Geschäftsführer Wolfram Axthelm die Enerplan-Beschwerde „wertvoll“, warnt aber vor vorschnellen Schlüssen: „Eine von manchen jetzt eingeforderte bundeseinheitliche Regelung zum Artenschutz aufzustellen, klingt im ersten Moment gut, wird die Probleme kaum kurzfristig lösen.“ Allein aufgrund unterschiedlicher Wissenschaftsverständnisse der Akteure werde es Zeit kosten, sich über die wissenschaftlich fundierte Anleitung zur Genehmigungspraxis zu verständigen. Windkraftvertreter wie er dürften sich davor fürchten, dass im Zweifelsfall daher nur die jeweils härtesten Vogel- und Fledermausschutz­vorgaben in eine solche Normierung einfließen könnten.

Genehmigungsnotstand

Andererseits ist das Genehmigungsproblem für die Windbranche zu groß geworden, um bloß der Konfliktvermeidung wegen die Füße stillzuhalten: Jedes zweite Windparkprojekt wird laut Schätzungen inzwischen nach der ersten Behördengenehmigung beklagt. Fast immer nutzten die Kläger dafür „das Vehikel artenschutzrechtliche Beurteilung“, sagt Axthelm. Bis endgültig grünes Licht leuchte, dauere es schnell mehr als drei Jahre. Projektentwickler fürchten laut BWE inzwischen, nach Ausschreibungen ihre Netzanschlussfrist zu verpassen und die Rechte an einer Einspeisevergütung wieder zu verlieren. Nicht wenige schöben ihre Teilnahme an Ausschreibungen daher bis zum Abschluss von Gerichtsverfahren hinaus.

Immer häufiger kippen – anders als früher – auch Vorhaben noch nach langen Genehmigungsverfahren. Das bestätigt Alexander Koffka vom Wiesbadener Projektentwickler Abo Wind: „Es treibt die Kosten hoch.“

Koffka lehnt eine TA-Sammlung von Artenschutzregeln ab – und sieht den Anstoß für eine Problemlösung durch die Richter anderswo: Die Einschätzungsprärogative habe Behörden und Verwaltungsgerichte in Phasen mit besserer politischer Unterstützung oft zugunsten der Windprojekte den Daumen heben lassen. Weil nun viele Länderregierungen politische Signale gegen weitere Windparkgenehmigungen setzten, sei das Pendel seit zwei Jahren umgeschlagen. Das Verfassungsgericht signalisiere, Projekte wieder eher zuzulassen.

Pilotprojekt: Radarturm für Vogelschutz

Das bayerische Projektentwicklungsunternehmen Ostwind befürwortet hingegen die Initiative Maslatons. Der Leiter der Projektentwicklung, Andreas Scharf, verweist auf unklare Vorgaben des Naturschutzgesetzes. Zwar verbiete es Windturbinen dort, wo diese für die Vögel ein signifikantes Tötungsrisiko bedeuten. Jedoch dürfe die Genehmigungsbehörde auch Ausnahmen zulassen. Nur: Ohne wissenschaftlichen Standard sei die Handhabung damit schwer.

Scharf weiß, wovon er spricht. So versuchen die Planer von Ostwind seit fünf Jahren vergeblich, ein ostdeutsches Windfeld in Einklang mit den wechselnden Flugräumen eines Seeadlers zu bringen. Konkret scheitert es nicht an der Einschätzungsprärogative. Schließlich würde die Genehmigungsbehörde den Windpark gerne genehmigen. Doch der wenig verlässliche Vogel zwang Ostwind mehrfach zum Umplanen der Anlagenzahl und ihrer Standorte – und auch die Behörde weiß keine Antwort. Daher installiert Ostwind nun einen 37 Meter hohen Turm in dem Windfeld mit einem Spezialradar obenauf. Die Flughafen-Technologie soll im Umkreis von acht Kilometern heranfliegende Seeadler erkennen, damit der Betreiber den Windpark notfalls zu ihrem Schutz abbremsen kann. Rentabel wird dieser Radar ab einer Parkgröße von drei bis vier Anlagen.

Beschwerdeführer Schlüter selbst ist von manchen ausweichenden Formulierungen der Richter in Karlsruhe enttäuscht. Doch er warnt davor, das Signal der Karlsruher Richter nicht wahrzunehmen: „Ergreift die Branche diese Chance nicht, werden die Gerichte weiter vor sich hinwurschteln und ihre Entscheidungen werden herrschende Rechtsprechung.“

-Lesen Sie im Interview, was Beschwerdeführer Hartwig Schlüter nun von der Branche erhofft.

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