Tilman Weber
Erstmals bezogen die Deutschen unabhängig von der Wahl des Stromversorgers ein Vierteljahr lang mehr als die Hälfte ihrer Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen. Das haben jetzt der Energieversorger-Branchenverband BDEW und das Stuttgarter Solarenergie- und Wasserstoffforschungszentrum ZSW berechnet. Sonnen-, Wind-, Biomasse- und Wasserkraftanlagen speisten demnach zusammen 77 Terawattstunden (TWh) ins Netz. Das waren rund 10 TWh mehr als im Anfangsquartal 2019. Weil zugleich der Stromverbrauch im Land aufgrund der wirtschaftlichen Abkühlung durch die derzeitige globale Corona-Pandemie von 151 auf 148 TWh leicht rückläufig war, erhöhte sich der Grünstromanteil am innerdeutschen Bruttostromverbrauch von 44,5 auf 52 Prozent.
Reduzierte konventionelle Erzeugung wegen Coronakrise, sonniger März
BDEW und ZWS führen den schnellen Bedeutungszuwachs der Grünstromanlagen in der nationalen Versorgung vor allem auf sonniges Wetter im März und auf Coronaeffekte zurück. Diese Effekte erklären sich demnach so: Im Zusammenhang mit dem gesetzlich abgesicherten Einspeisevorrang der Erneuerbaren erfolgte eine massive Reduzierung der Einspeisung aus konventionellen Kraftwerken.
So speisten Deutschlands Kraftwerke von Januar bis März nur noch 20 Prozent weniger und damit 81 statt wie im Vergleichsquartal 2019 noch 102 TWh ein. Denn den Corona-Konjunktur-bedingten nationalen Rückgang im Stromverbrauch begleitete viel stärkerer Rückgang im Stromexport aufgrund des Konjunktureinbruchs in stärker von der Coronakrise beeinträchtigten Nachbarländern. Denn in diesem ersten Quartal speisten konventionelle wie Erneuerbaren-Kraftwerke im Saldo für den Export nur noch 10 TWh exportierbaren Überschuss ins Netz – nach 18 TWh im Vergleichszeitraum 2019. Aber auch die Abschaltung des Kernkraftwerks Philippsburg II mit 1,4 Gigawatt (GW) Erzeugungskapazität sowie weiterer nun in ein Reserveleistungs-Stand-By geschickter 0,76 GW Braunkohleleistung trugen zu dem jetzigen Bedeutungszuwachs der Erneuerbaren bei. Gemessen an der Bruttostromerzeugung mitsamt des Exportanteils erhöhte sich der Erneuerbaren-Anteil immerhin auf 49 Prozent – und damit auf ebenfalls fast schon die Hälfte.
Grüne Nettostromerzeugung sogar über 50 Prozent
Auf der Plattform Energy-charts.de des Instituts Fraunhofer Ise hingegen finden sich die Daten der Nettostromerzeugung. Diese beinhalten nur, was tatsächlich ins deutsche Stromnetz eingeflossen ist, abzüglich des von den Kraftwerken selbst verbrauchten Stroms. Danach erhöhte sich der Erneuerbaren-Anteil auf einen ähnlichen Wert. Von umgerechnet 45 Prozent nahm das Grünstromsegment auf eine Größe von 53,9 Prozent zu. Die Nettostromerzeugung der Erneuerbaren im Vergleich beider Quartale stieg hiernach von 66,15 auf jetzt 71,58 TWh.
Effizientere Windkrafternte
Zugenommen hat die Grünstromversorgung auch dank immer effizienterer Windturbinenbestände. So ist der Zubau neuer Windparks in Deutschland zwar aufgrund einer gegen die Erneuerbare-Energien-Branche gerichteten Blockadepolitik von 2017 bis 2019 um gut zwei Drittel eingebrochen. Doch seit 2018 verzeichnet die Windkraft in Deutschland einen deutlich überproportionalen Ertragszuwachs. Von 33,99 im Jahr 2018 explodierte die Windstromeinspeisung gemäß Energy Charts auf 42,81 TWh im vergangenen Jahr und auf nun 51,25 TWh – um jährlich stabile acht bis neun TWh.
Das erste Quartal lässt allerdings keinen Eins-zu-Eins-Rückschluss auf die zu erwartende Grünstromerzeugung im Gesamtjahr zu. Denn mehr als die Tatsache, dass sich das Wetter des kommenden Neun-Monats-Zeitraums nicht vorhersagen lässt und damit auch nicht die weitere wetterabhängige Sonnen- und Windstromeinspeisung, zählt hier die saisonale Wirkung: Das erste Quartal ist vielleicht sogar noch vor dem letzten Jahresquartal das ertragreichste für die erneuerbaren Energien, weil die Windkraft hier das stärkste Luftströmungsaufkommen vorfindet. Die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung beim BDEW, Kerstin Andreae, warnte zudem vor der Erwartung einer starken weiteren Zunahme der Stromeinspeisung auch in Zukunft: „Die Rekordzahlen stehen in scharfem Kontrast zur dramatischen Situation beim aktuellen Ausbau von Wind- und PV-Anlagen: Werden die Hemmnisse und Deckel hier nicht zügig beseitigt, ist das 65-Prozent-Ziel bis 2030 kaum zu erreichen. Die wirtschaftlich schwierige Situation verschärft den Handlungsdruck zusätzlich: Es muss sichergestellt werden, dass weiterhin in den Ausbau der Erneuerbaren investiert wird, damit sie die Energieversorgung von morgen gewährleisten können.“