Die seit Jahren in der Öffentlichkeit geführte Debatte über die Zerstörung von Regenwaldflächen für die Produktion von Palmöl für energetische Zwecke hat dazu geführt, dass in Deutschland – auf Grundlage der EU-Richtlinie 2009/28/EG – inhaltlich nahezu deckungsgleiche Verordnungen sowohl für den Strom- als auch für den Verkehrsbereich in Kraft getreten sind: die Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung (BioSt-NachV) und die Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung (Biokraft-NachV).
Präzise Übergangsregelungen
Beide Verordnungen haben einen klaren Zeitrahmen: Die BioSt-NachV ist nicht auf Biomasse anzuwenden, die vor dem 1. Januar 2010 eingesetzt wurde. Zudem gelten bei flüssiger Biomasse, die nach dem 31. Dezember 2009 und vor dem 1. Januar 2011 zur Stromerzeugung eingesetzt wird, die Anforderungen der Nachhaltigkeitsverordnung als erfüllt, wenn die Biomasse nachweislich vor dem 1. Januar 2010 geerntet wurde. Bei flüssiger Biomasse, die vor dem 1. Juli 2010 in BHKW eingesetzt wird, gilt die Biomasse als vor dem 1. Januar 2010 geerntet. Die Biokraft-NachV ist nicht auf Biokraftstoffe anzuwenden, die vor dem 1. Juli 2010 in den Verkehr gebracht werden. Zusätzlich enthalten beide Verordnungen präzise Übergangsregelungen für nach dem 30. Juni 2010 und vor dem 1. Januar 2011 in den Verkehr gebrachte flüssige Biomasse. So dürfen zur Berechnung des Treibhausgasminderungspotenzials Standardwerte herangezogen werden. Betreiber von Pflanzenöl-BHKW müssen ihre Anlagen bis spätestens 30. Juni 2010 bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) registrieren. Die für die Anerkennung von Zertifizierungssystemen und Zertifizierungsstellen zuständige BLE hat auf ihrer Internetseite unter anderem eine Verwaltungsvorschrift, Vordrucke und einen Leitfaden veröffentlicht.
Für ein wirtschaftliches Betreiben eines Pflanzenöl-BHKWs spielen die Brennstoffkosten eine entscheidende Rolle. Schließlich stellt der Brennstoff den größten Kostenfaktor dar. Wenngleich Rapsöl derzeit preisgünstig ist, so ist der Einsatz in BHKW nach wie vor nicht wirtschaftlich, so dass Anlagenbetreiber auf den Einsatz von Palmöl angewiesen sind. Aus diesem Grund nutzten in Deutschland, nach Zahlen der Organisation Rettet den Regenwald e.V., BHKW-Betreiber rund 450.000 Tonnen Palmöl in 2008. Entscheidend für die Wirtschaftlichkeit ist der Bonus für nachwachsende Rohstoffe (NawaRo-Bonus). Diesen erhalten Anlagenbetreiber bei Anlagen unter einer Leistung von 150 Kilowatt bei Inbetriebnahme ab dem 1. Januar 2009. Zuvor in Betrieb genommene Anlagen können den NawaRo-Bonus auch dann erlangen, wenn die Anlagenleistung 150 Kilowatt oder mehr beträgt. Die vom Gesetzgeber bezweckte Investitionssicherheit für Anlagenbetreiber ist jedoch durch die Sanktionsregelung der Anlage 2 VII. Nr. 2 EEG erheblich gefährdet: Danach entfällt der Anspruch auf den NawaRo-Bonus unabhängig vom Verschulden des Anlagenbetreibers bei Unvereinbarkeit des Einsatzstoffes mit den gesetzlichen Voraussetzungen endgültig; also für immer. Ein solcher Fall liegt vor, wenn der Betreiber nach dem 1. Juli nicht nach einem von der BLE akzeptierten Zertifizierungssystem wie ISCC produziertes Pflanzenöl im BHKW verwendet.
Das in der BioSt-Nach-V vorgesehene Datum des Inkrafttretens zum 1. Juli 2010 kann nun zu Schwierigkeiten führen. Viele Marktakteure sind sich einig, dass dieser Zeitpunkt von den Anlagenbetreibern kaum einzuhalten ist. Schließlich ist für ab diesem Zeitpunkt eingesetzte flüssige Biomasse eine vollständige Nachweisführung erforderlich. Wenngleich die ISCC System GmbH die erste vorläufige Zulassung als Zertifizierungssystem erhielt und bislang sieben Zertifizierungsstellen vorläufig für ein Jahr anerkannt wurden, werden bis zum 1. Juli 2010 wohl nicht annähernd ausreichende Mengen an Biomasse mit Nachhaltigkeitsnachweis verfügbar sein.
Die drohende Folge wäre möglicherweise eine Pleitewelle insbesondere unter BHKW-Betreibern. Diese sind auf den Einsatz von preiswerten Pflanzenölen angewiesen und würden ihre Wärmeabnehmer verlieren, die gezwungen wären, sich andere Vertragspartner zu suchen. Dadurch ginge den Betreibern auch der Bonus für Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) verloren. Der volkswirtschaftliche Schaden wäre erheblich.
Viele Marktakteure können nicht verstehen, weshalb die Bundesregierung in der Verordnung den Termin 1. Juli wählt. Schließlich setzen alle anderen EU-Mitgliedstaaten außer Deutschland die entsprechenden Verpflichtungen aus der Richtlinie 2009/28/EG erst zum 5. Dezember 2010 um. Dieses Datum entspricht dem in Artikel 27 Absatz 1 der Richtlinie 2009/28/EG genannten Umsetzungsdatum.
Rechtsunsicherheiten bestehen fort
Von daher bestehen erhebliche rechtliche Risiken. Vertreter des BMU äußerten bei einer Verbände-Anhörung die Ansicht, dass bei einem Betrug des Plantagenbetreibers eine Unwirksamkeit des Nachhaltigkeitsnachweises zu erwarten sei. Von daher müssen zur Aufklärung der Anlagenbetreiber alle möglichen Gründe für eine Unwirksamkeit bei der Zertifizierung durchleuchtet werden.
Zur Vermeidung erheblicher Rechtsunsicherheiten in Bezug auf rückwirkende Rechtsfolgen behördlicher Maßnahmen wäre zudem eine Klarstellung des Verordnungs- oder Gesetzgebers hilfreich. Betreiber haben diese Unsicherheiten bereits jetzt bestätigt. Eine solche Klarstellung des Verordnungs- oder Gesetzgebers müsste zum einen vorsehen, dass ein Nachhaltigkeitsnachweis nicht nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit unwirksam werden kann. Zudem müsste klargestellt werden, dass die Anerkennung als Zertifizierungsstelle oder Zertifizierungssystem nicht mit Wirkung für die Vergangenheit entzogen werden kann.
Eine solche Klarstellung würde zu einem stärkeren Vertrauen der Marktakteure in das Zertifizierungssystem führen, weil diese ansonsten stets in der Sorge leben müssten, dass die von ihnen trotz aller Sorgfalt ausgesuchte Zertifizierungsstelle oder das entsprechende Zertifizierungssystem nicht ordnungsgemäß arbeitet mit der Folge, dass ihnen die Anerkennung mit Wirkung für die Vergangenheit entzogen werden kann.
Das größte Risiko besteht, wenn Pflanzenöl ohne Nachhaltigkeitsnachweis nach der BioSt-NachV in BHKW eingesetzt wird. Dies betrifft derzeit auch Pflanzenöle, die lediglich einen Nachhaltigkeitsnachweis nach dem System des Roundtable of Sustainable Palm Oil (RSPO) vorweisen können. Weiterhin hat der Anlagenbetreiber die formalen Vorgaben der Nachhaltigkeitsverordnung einzuhalten.
Fraglich ist, ob Anlagenbetreiber auf die Wirksamkeit des Nachhaltigkeitsnachweises vertrauen dürfen oder ob ihnen Konsequenzen drohen, falls einem Zertifikat, einem Nachhaltigkeitsnachweis, einem Zertifizierungssystem oder einer Zertifizierungsstelle rückwirkend die Wirksamkeit oder Anerkennung abgesprochen oder entzogen wird.
Es bestehen damit vier Anknüpfungspunkte für eine Rückwirkung: Zu unterscheiden sind zunächst die an die Schnittstellen verliehenen Zertifikate von dem gemäß § 15 Abs. 1 BioSt-NachV von der Schnittstelle ausgestellten Nachhaltigkeitsnachweis, welchen der Anlagenbetreiber gemäß § 11 BioSt-NachV dem Netzbetreiber vorlegen muss. Ein solcher Nachweis kann gemäß § 59 Abs. 1 BioSt-NachV bei bis zum 31. Dezember 2011 eingesetztem Pflanzenöl auch die Bescheinigung eines Umweltgutachters sein.
Zertifizierungsstellen sind gemäß § 26 Abs. 4 BioSt-NachV für die Ausstellung von Zertifikaten an die Schnittstellen zuständig. Schnittstellen sind insbesondere Ölmühlen. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 BioSt-NachV ist der dem Netzbetreiber vorgelegte Nachhaltigkeitsnachweis unwirksam, wenn das Zertifikat der ausstellenden Schnittstelle zum Zeitpunkt der Ausstellung des Nachhaltigkeitsnachweises nicht oder nicht mehr gültig war. Zertifikate sind nach § 29 Bio-St-NachV zwölf Monate gültig. Anlagen-betreiber müssen sich also stets über die Gültigkeit des Zertifikats im Zeitpunkt der Ausstellung des Nachhaltigkeitsnachweises vergewissern. Jedes Zertifikat muss das Datum seiner Ausstellung tragen.
Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BioSt-NachV sind Nachhaltigkeitsnachweise auch unwirksam, wenn der Nachhaltigkeitsnachweis oder das Zertifikat in einem Zertifizierungssystem oder von einer Zertifizierungsstelle ausgestellt worden ist, das zum Zeitpunkt der Ausstellung nicht oder nicht mehr nach dieser Verordnung anerkannt war. Wird also die jeweilige Anerkennung rückwirkend entzogen, so können auch der Nachhaltigkeitsnachweis und das Zertifikat mit Wirkung für die Vergangenheit unwirksam werden.
Es sind zahlreiche Fälle denkbar, wonach die Anerkennung als Zertifizierungssystem rechtswidrig sein kann. Denkbar ist, dass das Zertifizierungssystem von Anfang an nicht ausreichend verlässlich war. Die Anerkennung stellt einen Vewaltungsakt dar. Die Rechtswirkungen von Widerruf und Rücknahme von Verwaltungsakten richten sich nach den Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), sofern keine abschließenden Sonderbestimmungen bestehen. Aus den Bestimmungen der BioSt-NachV selbst ergibt sich keine Rückwirkung für die Vergangenheit. Die Vorschriften des VwVfG über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten bleiben nach § 38 Satz 4 BioSt-NachV aber unberührt. Somit ist die BioSt-NachV keine abschließende Sonderbestimmung, welche die Anwendbarkeit des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts insofern ausschließen würde.
Gemäß § 48 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Als begünstigender Verwaltungsakt darf die Anerkennung nur unter den Einschränkungen des § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG zurückgenommen werden. Für die Zulässigkeit der Rücknahme von rechtswidrigen, begünstigenden Verwaltungsakten, die wie die Anerkennung nicht Geld- oder Sachleistungen betreffen, gilt zunächst § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG. Danach steht die Rücknahme im Ermessen der Behörde. § 48 Abs. 3 VwVfG sieht eine finanzielle Entschädigung für den Betroffenen für den Fall schutzwürdigen Vertrauens vor. Auch deshalb wird die zuständige Behörde eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit allenfalls in Ausnahmefällen aussprechen. Für die Anerkennung als Zertifizierungsstelle gelten die obigen Ausführungen gemäß §§ 44, 47 Satz 3 BioSt-NachV ent-sprechend. Für die Rechtswidrigkeit der Anerkennung sind andere Gründe vorstellbar, so der Fall, dass die Zertifizierungsstelle entgegen § 43 Abs. 1 Nr. 2 c) BioSt-NachV von Anfang an nicht frei von jeglichem Interessenkonflikt war.
Was ist zu tun?
Was kann nun der Anlagenbetreiber vor diesem Hintergrund machen? Zunächst sind die formalen Vorgaben der BioSt-NachV genau einzuhalten. Anlagenbetreiber müssen die Gültigkeit des Zertifikats der Schnittstelle regelmäßig prüfen. Auf den Entzug der Anerkennung als Zertifizierungssystem oder -stelle haben Anlagenbetreiber grundsätzlich keinen Einfluss. Schutzwürdiges Vertrauen der Anlagenbetreiber kann aber insofern eine Rolle spielen, als es in dem Ausnahmefall einer Aberkennung mit Wirkung für die Vergangenheit um eine mögliche finanzielle Entschädigung für Anlagenbetreiber geht. Deshalb sind alle Maßnahmen zu unterlassen, die schutzwürdiges Vertrauen beseitigen könnten. Hat zum Beispiel ein Anlagenbetreiber Zweifel an der Zuverlässigkeit seines Lieferanten in Bezug auf die Einhaltung der Verordnung, so sollte kein Pflanzenöl dieses Lieferanten eingesetzt werden. BHKW-Betreiber soll-ten weitere Maßnahmen zur Erhöhung ihrer Rechtssicherheit prüfen, zum Beispiel durch Haftpflichtversicherungen und entsprechende Vertragsgestaltungen mit Lieferanten.
Michael Herrmann
Dr. Thorsten
Gottwald
Luther Nierer Rechtsanwälte Partnerschaft
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