Greenmatch übersetzt die für eine Investition in Erneuerbare-Energien-Projekte interessanten Informationen in die Finanz-Sprache des Investors, richtig?
Stettler: Ja, alle Annahmen werden einheitlich aufgenommen. Und das ist zentral: Das Finanzmodell (das von Greenmatch vertriebene digitale Werkzeug zur Vereinbarung und Organisation einer Investition, ERNEUERBARE ENERGIEN) liegt wie ein Übersetzungswerkzeug zwischen den Akteuren in der Mitte. Und diese vier Segmente (die Wirtschaftssegmente die an einer Erneuerbare-Energien-Projektierung beteiligt sind: Projektierer, Banken, Investoren, Berater, ERNEUERBARE ENERGIEN), die schieben das Finanzmodell als einheitliche und zertifizierte Sprachregelung hin und her.
Das schiebt der Projektentwickler zum Investor, der schiebt es zur Bank, die es zum Investor schiebt, der es dem Berater weiterreicht!?
Stettler: Und jeder ergänzt dann wieder mit seinen eigenen Annahmen. Nehmen wir eine Strompreisprognose: Da hat jeder Investor seine eigene Sicht. Dann pflegt er diese Erwartungswerte wiederum ein und kann diese Version wiederum mit dem Verkäufer teilen, wenn er möchte. Damit vereinfachen wir die Kommunikation zwischen den Akteuren über diese Prognosen.
Isik: Wie Sie ja sagten, haben die Projektentwickler angefangen, die Sprache der Investoren zu sprechen. Damit sie die Sprache der Investoren verstanden haben, hatten sie in der Vergangenheit eigene Modelle entwickelt. Nun wollen wir mit dieser Plattform eine gemeinsame Sprache bieten.
Nutzt die Plattform auch bei der übergeordneten Pflege des gesamten Erneuerbare-Energien-Anlagen-Portfolios: der Überwachung der Wertentwicklung der Einzelprojekte und des Portfolios?
Stettler: Ja, diese Ebene ist natürlich auch ganz wichtig, weshalb wir für das Portfoliomanagement das Modul GM Portfolio entwickelt haben. Weil wir unten auf Ebene der Einzelprojekte alles standardisiert haben, machen wir alle Projekte auf übergeordneten Portfolio-Ebenen vergleichbar und nachvollziehbar. Stellen Sie sich noch einmal vor, dass früher individualisierte Excel-Tabellen jedes Projekt anders berechneten. Wir können hingegen alles gleich berechnen und damit vergleichbar darstellen und das unabhängig von Technologie und Land.
Lassen sich so tatsächlich Renditen steigern? Zum Beispiel, indem sie Ihr Portfolio von Windparkanteilen neu zusammensetzen!?
Isik: Ihre Frage zielt darauf ab, die finanzielle Entwicklung im laufenden Betrieb zu prüfen: Was hat man ursprünglich angenommen? Wo stellen sich die effektiven Zahlen dar? Oder innerhalb eines Fonds: Wie lassen sich bei der Zusammensetzung eines Fonds jeweilige Diversifikationseffekte berechnen? Was wir aktuell schon machen, das sind die laufenden wiederkehrenden Bewertungen der Einzelprojekte bis auf Portfoliolevel – quartalsweise müssen Sie das beispielsweise tun. Aber dass in das System Echtzeit-Betriebsdaten eingespeist werden, ist derzeit noch nicht möglich. Wir haben eine entsprechende Entwicklung noch vor. In einem nächsten Schritt wird man historische Finanzabschlussdaten eingegeben können, die dann mit den Planzahlen verglichen werden können. Dann kann man auch herausfinden, wo ist etwas falsch gelaufen, wo muss man optimieren?
Stettler: Es ist aber dennoch wichtig zu verstehen, dass der größte Verhandlungshebel bei erneuerbaren Energien immer bei der Transaktion liegt. Dort müssen Sie trotz enormem Zeitdruck und Wettbewerb durch weitere Interessenten am gleichen Kraftwerk korrekt rechnen und gut verhandeln. Bei Infrastrukturinvestitionen im Allgemeinen und bei Erneuerbaren-Investitionen im Besonderen ist die Preisbestimmung bei Übergabe vom Projektentwickler zum Investor enorm wichtig. Wenn Sie zu viel bezahlen zum Transaktionszeitpunkt oder wesentliche Vertragsparameter falsch strukturiert haben, können Sie während der Laufzeit des Kraftwerks diese überhöhte Anfangsinvestition nicht mehr korrigieren. Sie können einem Windpark nicht eine neue Strategie oder ein neues Marketingkonzept verpassen. Haben Sie sich verrechnet, haben Sie eben zu viel bezahlt. Damit müssen Sie bis Projektende leben, es sei denn Sie finden einen neuen Käufer, der den gleichen Kaufpreis bezahlt.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Isik: Ein einfaches Beispiel: Sie rechnen ein Projekt durch und haben es so abgebildet, wie die Verträge daherkommen. Dann berechnet Ihnen das Modell allenfalls eine Liquiditätslücke im sechsten Betriebsjahr. Und wenn Sie das ja von vornherein wissen in x Szenarien, dass da eine Liquiditätslücke entsteht, können Sie die Verträge dementsprechend anders strukturieren.
Stettler: Aber das setzt auch voraus, dass die Verträge kündbar sind und das ist meistens nicht so. Die meisten Verträge werden langfristig vereinbart. Darum haben wir den Fokus auf den Zeitraum, bevor oder während die wesentlichen Verträge geschlossen werden. Denn die großen Brocken holt man danach nicht mehr raus.
Haben die deutschen Ausschreibungen für Windkraft an Land schon zusätzliche Nachfrage erzeugt?
Isik: Sie sind sicherlich nicht nachteilig für Greenmatch. Je komplexer die Projekte werden, was jetzt die Ausschreibungen bewirken, desto größer ist die Nachfrage nach Lösungen, welche die steigende Komplexität für jedermann verständlich macht. Wir gehen davon aus, dass die Anlagen künftig noch stärker in den Markt integriert werden, weshalb eine wesentliche Variable mit Unsicherheiten behaftet sein wird: Der Abnahmepreis für den produzierten Strom. Simulationen werden dabei umso wichtiger also typische Was-wäre-wenn-Simulationen. Oder performante Analysen, bei denen Sie eine oder mehrere Annahmen wie beispielsweise den Strompreis, die Produktion, die Betriebskosten oder Finanzierungskosten variieren. Für ein besseres Verständnis der Projektrisiken bieten wir hochperformante Monte-Carlo-Simulationen an. Der Nutzer kann ein Projekt mehrere Tausend Mal durchrechnen lassen, wobei die Annahmen in bestimmbaren Bandbreiten variiert werden. Als Resultat erhält der Nutzer ein Histogramm der Renditen, er erkennt dadurch mit welcher Wahrscheinlichkeit eine gewisse Rendite erreicht werden kann.
Ist denn eine weitgehend vollautomatisierte wirtschaftliche Betriebsführung oder Finanzbewirtschaftung mit Ihren Instrumenten machbar?
Isik: Grundsätzlich ja. Der Trend geht hier in Richtung einer Blockchain-Lösung. Gemeint sind damit die Abbildungen sämtlicher Transaktionen in der Investitionswertschöpfungskette und zwar unwiderrufbar. Dabei kann man immer nachvollziehen, wann welche Transaktion von wem durchgeführt wurde. Das können Sie in einer Blockchain abbilden und digital zur Verfügung stellen. Bei uns könnte man sich hierzu eine Projektlebensakte vorstellen: Jedes einzelne Gutachten, das der Windpark einmal hatte, Finanzzahlen, die Buchhaltung und mehr werden unwiderrufbar dem Projekt und seinen Annahmen zugeteilt. Doch was bedeutet vollautomatisiert? Es wird natürlich immer noch Leute geben, die auf die Turbine steigen müssen um sie zu warten und dabei irgendwelche Protokolle ausfüllen müssen. Aber für die Finanzbewirtschaftung sehen wir klare Möglichkeiten.
Stettler: Es geht auch darum, Investitionsprozesse zu demokratisieren beziehungsweise jedem zu ermöglichen solche Projekte ohne viel Spezialwissen bewerten und strukturieren zu können. In der alten Welt brauchten Sie teure Experten mit spezialisiertem Wissen. Wenn man Transaktionen organisieren oder verwirklichen will, einen Windpark entwickeln, kaufen oder verkaufen möchte, so sorgen wir mit der Plattform gleichzeitig für einen Know-how-Transfer. Damit wird theoretisch auch ein nicht so Finance-bewanderter Investor oder Projektentwickler dazu befähigt, dies mit einigen wenigen Klicks zu tun. Diese Story verfolgen wir vor allem mit Blick auf das globale Geschäft. Damit sind wir Teil der Lösung, um die globale Infrastruktur-Lücke zu überwinden. Dabei handelt es sich um ein Überangebot an Kapital, was bisher nicht den Weg in globale Infrastruktur findet. Das Ungleichgewicht verläuft zum Teil natürlich auch entlang der globalen Nord-Süd-Achse und ist immerhin jährlich eine Billion US-Dollar groß. Mit webbasierter Standardisierung können Sie viel dazu beitragen, diese Kapitallücke zu schließen.
Das Gespräch führte Tilman Weber.
(Lesen Sie den ersten Teil des Telefoninterviews mit den gelernten Finanzwirtschaftlern Matthias Stettler und Moris Isik im neuen Heft ERNEUERBARE ENERGIEN, das in wenigen Tagen erscheint. Darin erklären die Greenmatch-Geschäftsführer auch, warum das Einfädeln und Abschließen klassischer Erneuerbare-Energien-Investitionen bisher nicht selten mit großer Ineffizienz verbunden waren.)