Bisher gilt grüner Wasserstoff noch als teure Möglichkeit, überschüssigen Strom aus volatil produzierenden Ökostromanlagen langfristig zwischenzuspeichern. Doch das könnte sich bald ändern. Denn die Analysten von IHS Markit gehen davon aus, dass die Produktionskosten für grünen Wasserstoff bis 2030 unter zwei US-Dollar pro Kilogramm sinken werden. „Dieser Preis ist der heilige Gral für die Elektrolyse“, sagt Soufien Taamallah, Leiter der Abteilung Energietechnologien und Wasserstoff bei IHS Markit. Denn dann ist der Wasserstoff aus Ökostromanlagen wettbewerbsfähig ist mit Wasserstoff, der in Anlagen hergestellt wird, die mit Erdgas betrieben werden – den sogenannten blauen Wasserstoff.
Stromkosten sind entscheidend
Damit geht die Kostensenkung im Bereich Wasserstoff weiter. Dieser ist nach Angaben der Analysten von HS Markit in den vergangenen fünf Jahren um 40 Prozent gefallen und wird bis 2025 eine ähnliche Lernkurve hinlegen. Voraussetzung ist, dass der Bau von Ökostromanlagen voran kommt und der Grünstrom von den Regierungen in Europa nicht durch Abgaben künstlich verteuert wird. „Denn die Stromkosten sind der entscheidende Faktor“, betont Ad van Wijk während seines Vortrags auf der diesjährigen Konferenz des italienischen Solarverbands Italia Solare. Der Professor für zukünftige Energiesysteme an der Uni im niederländischen Delft beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Thema Wasserstoff. „Die Senkung der Stromkosten machen zwei Drittel der Kostensenkung für den grünen Wasserstoff seit 2015 aus“, haben die Analysten von IHS Markit herausgefunden.
Wenn die Stromkosten weiter sinken und die Effizienz der Elektrolyse steigt – derzeit liegt sie nach Angaben von Ad van Wijk bei etwa 80 Prozent – sieht der Niederländer sogar die Möglichkeit, dass der Preis für in Europa produziertem Wasserstoff auf einen Euro pro Kilogramm sinken kann. Dazu kommen noch Skalierungseffekte. „Denn bis 2025 wird der Haupttreiber für die Reduzierung der Kosten die Umsetzung großer Elektrolyseprojekte“, erwartet IHS Markit.
Projektpipeline gut gefüllt
Dafür gibt es gute Anzeichen. Derzeit sind weltweit Elektrolysekapazitäten mit einer Leistung von 82 Megawatt aufgebaut. Doch laut IHS Markit sind weltweit üppige neue Elektrolysekapazitäten für grünen Wasserstoff angekündigt, schon konkret geplant oder sogar schon im Bau befindlich. „Die Investitionen in die Elektrolyse boomt derzeit überall in der Welt. Die Pipeline bis 2030 ist mit Projekten mit einer Gesamtleistung von mehr als 23 Gigawatt gefüllt – mehr als das 280-fache der derzeitigen Kapazität“, fasst Catherine Robinson, Leiterin der Abteilung Wasserstoff und erneuerbare Gase bei IHS Markit, die Ergebnisse des aktuellen Power-to-X-Trackers der Londoner Marktbeobachter zusammen.
Ein Milliarde Dollar Investitionsvolumen
Tatsächlich ist das ein riesiges Wachstum der Projektplanung in diesem Jahr. Denn Ende 2019 war die Projektpipeline für grünen Wasserstoff nur mit acht Gigawatt Gesamtleistung gefüllt. Ende 2018 waren Elektrolyseprojekte mit einer Gesamtleistung von fünf Gigawatt angekündigt, geplant oder im Bau. Mit der jetzigen Pipeline von 23 Gigawatt steigt das Investitionsvolumen auf eine Milliarde Dollar, die bis 2023 in Elektrolyseprojekte zur Produktion von grünem Wasserstoff fließen werden.
Unterstützung durch die Regierungen
Diese Investitionen werden derzeit auf sichere Beine gestellt. Denn grüner Wasserstoff und eine langfristige Klimaschutzstrategie ist derzeit ein Hauptbestandteil der Wiederbelebungspläne für die Wirtschaft nach der Covis-19-Pandemie in vielen Ländern. So haben seit Mai 2020 sechs europäische Länder, die Europäische Kommission, Russland und Chile Wasserstoffstrategien beschlossen und veröffentlicht. Diese Strategien beinhalten konkrete Produktionsziele von grünem Wasserstoff und Ziele für den Aufbau einer Elektrolyseinfrastruktur. Zudem werden sie die deren Aufbau unterstützen, was den Projektplanern Sicherheit gibt.
Grüner Wasserstoff aus Afrika bleibt umstritten
Umstritten bleibt die Idee, unter anderem Europa mit grünem Wasserstoff aus Afrika zu versorgen. So stößt die deutsche Bundesregierung mit ihrer Idee auf heftige Kritik, den Strom aus einem neuen Wasserkraftwerk am Kongo für die Herstellung von Wasserstoff für Europa zu nutzen. Denn der dort produzierter Strom wird dringend für die Versorgung der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa gebraucht. Weitere afrikanische Länder wie Südafrika, Nigeria und Angola haben schon ihr Interesse bekundet, den Strom abzunehmen.
Nordafrika als Lieferant identifiziert
Abgesehen davon ist es extrem teuer, den Wasserstoff aus dem Südwesten Afrikas nach Europa zu transportieren. Damit wären die Kostenvorteile wieder dahin. Da scheint die Idee attraktiver, den Wasserstoff mit Strom zu erzeugen, der mit Solarkraftwerken in der nordafrikanischen Wüste erzeugt wird. Entsprechende Pläne gibt es bereits. Doch angesichts des Scheiterns der Desertec-Initiaitve, die dereinst Strom mit solarthermischen Kraftwerken in Nordafrika für Europa produzieren wollt, wirft das viele Fragen auf. Immerhin ist die Transportfrage schon mal rudimentär vorhanden.
Kapazitäten in Europa nutzen
Ad van Wijk schlägt dafür die Nutzung des vorhanden Erdgas- und Erdölnetzes vor, durch das derzeit die fossilen Brennstoffe aus Nordafrika und dem Nahen Osten nach Europa kommen. Zusätzlich müssten dann aber noch weitere Rohre gebaut werden, um die Menge an Wasserstoff auch von Nordafrika und aus dem Nahen Osten nach Europa zu transportieren. Das wäre – unter Einbeziehung der Transportkapazitäten – preiswerter als zusätzliche Stromautobahnen, die im Falle der ersten Desertec-Initiative notwendig gewesen wären. Van Wijk verweist zudem darauf, dass unbedingt auch die in Europa vorhandenen Möglichkeiten genutzt werden müssen. Zudem steht noch die Frage, wo in der Wüste das Wasser für die Elektrolyse herkommen soll. Die Idee, dafür Wasser aus dem Mittelmeer zu nehmen, treibt den Wasserstoffpreis nach oben, denn das müsste dann erst noch – bestenfalls mit Ökostrom – entsalzt werden.