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Kommentar zu Klima/Extremsommer

Grünes Licht für Kühlwasser aus warmen Flüssen

Heute soll es nochmals richtig heiß werden in Stuttgart. Mit 34 Grad Celsius übertrifft die Höchsttemperatur bei Gewitterneigung am Nachmittag um vier Grad Celsius die Hitzespitzen der beiden Vortage. Es droht somit wieder dieselbe Rekordhitze wie am ersten Augustwochenende – und fast die vom 31. Juli, als 35 Grad gemessen wurden. Für das Umweltministerium in Stuttgart müssten nun eigentlich die Alarmglocken schrillen, weil die sich miterhitzenden Flüsse des Landes den großen Steinkohle- und Atomkraftwerken an ihren Ufern nach gewohnten Maßstäben bald nicht mehr geeignetes Kühlwasser liefern könnten. Tatsächlich wird die von einem Grünen-Minister geführte Behörde dank einer Ausnahmegenehmigung cool bleiben. Mit dieser hat der Umwelt- sowie zugleich Energieminister Franz Untersteller den zur Kühlwasserentnahme zulässigen Flusstemperatur-Grenzwert 28 Grad für sieben Kraftwerke „kurzzeitig“ auf 28,5 Grad erhöht. Den beiden großen Flüssen im Ländle hatte nämlich schon der Hitzekollaps gedroht – genauer: einigen bei diesen Temperaturen vom Hitzetod bedrohten Fischarten. Denn die europaweit empfohlene Obergrenze von 28 Grad bezieht sich auf Erfahrungen aus jüngeren Jahren, wonach ab 28 Grad das Massensterben bei Fischen droht.

Kommentar Tilman Weber | Kommentar: Tilman Weber
Kommentar Tilman Weber | Kommentar: Tilman Weber

Doch cool bleiben ist angesichts des aktuellen Extrem-Sommers ein fast unverzeihliches Fehlsignal. Der trockene deutsche Sommer ohne Niederschlag ist schließlich ein in dieser Wucht bisher hierzulande noch überraschender Bote des weltweit von der übergroßen Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft anerkannten Klimawandels. Die für Ökosysteme und Mensch gefährliche Erderwärmung zieht natürlich selbst die derzeit Energiewende-blockierende Bundesregierung nicht in Zweifel. Und natürlich tut das auch nicht die einzige von einem Ministerpräsidenten aus der Umweltschutzpartei Bündnis 90/Die Grünen geführte Landesregierung in Stuttgart. Nur scheint die Priorität des Umwelt- und Energieministers innerhalb der Koalition aus Grünen und CDU eher zur Sicherung der gewohnten Energieversorgung zu neigen als zur Bewahrung vor einer erhöhten Gefahrenlage für die Fluss-Fauna.

Insbesondere die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat die Ausnahmegenehmigung jetzt heftig kritisiert und prüft sogar eine nachträgliche Klage gegen das Bundesland. „Wir müssen prüfen, ob das Land das eventuell höhere Interesse der gesicherten Energieversorgung mit so einem gravierenden Schritt und Verstoß gegen das Umweltschutzrecht sichern durfte – oder es nicht andere Möglichkeiten zuvor hätte nutzen müssen“, erklärt die Leiterin der DUH-Rechtsabteilung Cornelia Nicklas auf Nachfrage von ERNEUERBARE ENERGIEN. „Wir müssen wissen: Gäbe es nicht auch Alternativen zu der Sondergenehmigung, um die Energieversorgung zu sichern: Zum Beispiel, anderswo erzeugte Strommengen auf dem Markt dazuzukaufen oder weniger Kühlwasser benötigende Gaskraftwerke anstelle der Kohlekraftwerke hochzufahren? Und ist vor der Sondererlaubnis die Gewässerökologie und damit die ihr drohende Gefahr ausreichend geprüft worden.“

Die Ausnahmegenehmigung hatte nur bis zum 6.August gegolten, so hieß es zunächst. Doch in einem Bericht des regionalen Radiosenders SWR vom 7. August war weiterhin von einer gültigen Ausnahmegenehmigung für Baden-Württemberg zu erfahren. Ein dort zitierter Ministeriumssprecher erklärte demnach allerdings wohl an die Adresse von Klima- und Umweltschützern gerichtet, dass das Limit bisher noch nirgendwo überschritten wurde. Am 6. August hatte das Ministerium dann doch selbst vermeldet, es hätten "das Großkraftwerk Mannheim, GKM, am Freitag und zum anderen das Kernkraftwerk Philippsburg am Samstag die Ausnahmegenehmigung genutzt". Außerdem hätten mehrere Kraftwerke eine weitere Ausnahmegenehmigung beantragt. Und diese werde wohl auch nun noch bis kommenden Montag erteilt. Allerdings sei die Überschreitung des Grenzwertes aufgrund einer nun zu erwartenden Abkühlung des Wetters - das Minsterium bezog sich dabei auf den heutigen Donnerstag - nicht zu erwarten. Und: "Weder am Rhein noch am Neckar haben sich bislang ökologische Schäden gezeigt", schreibt es.

Überschritten worden ist es aber mit 28,3 Grad bereits zuvor andersow wie im Rhein bei Mainz, wo das örtliche Gas- und Dampfkraftwerk seine Produktion deshalb drosseln musste. Und auch anderswo in Deutschland, selbst im von Minister Untersteller zuletzt mit der 28,5-Grad-Ausnahmegenehmigung ausgestatteten Rheinhafen-Dampfkraftwerk in Karlsruhe, war es vor Ende Juli schon zu vereinzelten Kraftwerksdrosselungen gekommen.

Auf eine schriftliche Anfrage von gestern Nachmittag reagierte die Pressestelle zunächst nicht - womöglich auch aus Überlastung durch ohnehin sich häufender Anfragen zum Hitzesommer. Auf telefonischen Anruf bestätigte sie dann aber, dass die Frist nun bis Montag gilt, auch wenn weiterhin nicht mehr mit einer Temperaturüberschreitung über das 28-Grad-Niveau zu rechnen sei. Am Neckar werde wohl der 27-Gad-Pegel das Höchste sein, am Rhein werde das 28-Grad-Limit gerade so nur von unten touchiert.

Leider ist aber die Informationsfreudigkeit des baden-württembergischen Umweltministeriums derzeit offenbar nicht groß genug, um den nötigen Druck auf die sich weiter verschleppende Verabschiedung des Bundes-Klimaschutzplanes zu erhöhen. Diesen haben die Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD bei Antritt der neuen Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel im März versprochen. Keine Mitteilungen auf der Homepage des Ministeriums über die Lage für die Fische im Detail und über die weiteren Pläne für die Energieversorgung aus den konventionellen Kraftwerken bei eventuell nun noch zunehmender Wasserknappheit. Wer mit vielen Dutzenden von Klicks die Wassertemperaturen an den Messstellen entlang von Rhein und Neckar der vergangenen Wochen studiert, sieht eine knappe Annäherung an die 28-Grad-Grenze an einigen Stellen – und eine Überschreitung an der Messstelle Guttenbach am 5. August. Danach reißt ausgerechnet dort aber die Messkurve ab – möglicherweise prüfen Sachbearbeiter, ob die Messstelle nicht doch falsche Daten liefert.

Ein Umweltminister und zumal ein Politiker aus einer Umweltpartei müsste die Situation an Rhein und Neckar hingegen doch eher als Gelegenheit begreifen, die sich einer Klima- und Energiewendepolitik derzeit verweigernde schwarz-rote Koalition in Berlin gewaltig unter Druck zu setzen. Es gäbe da ja auch zumindest ein historisches Vorbild, das sich hier aufdrängt: Der hessische Grünen-Umweltminister Joschka Fischer hatte in den 1990er Jahren die Betreiber des Kernkraftwerks Biblis damit gepiesackt, einen nicht ganz den Standards genügenden Block abzuschalten und Nachrüstungen nicht zu genehmigen – bis der Bundesumweltminister ihm, Fischer, das verboten hatte. Die Sofort-Abschaltung von Biblis hatte Fischer nicht durchgesetzt, aber die Technologie weiter diskreditiert und den Rückenwind der Anti-Atomkraft-Bewegung gestärkt.

Die Lichter ausgehen zu lassen, muss auch ein von Umweltschützern geführte Landesregierung nicht ernsthaft riskieren. Aber mehr widerständiges Engagement in so einer im Wortsinne klimatisch und klimapolitisch bedrohlichen Situation wie in diesen Hitzesommer-Tagen, in denen sich auch weltweit die Katastrophenmeldungen zum Treibhauseffekt zu ballen scheinen wie selten, darf erwartet werden.   

(Tilman Weber)