Reinhard Purzer
Nicht erst seit der IPCC am 8. Oktober 2018 den Sonderbericht zum Weltklima veröffentlicht hat, ist klar: Der Kohlendioxidausstoß muss sinken und dafür ist die Energiewende ein absolutes Muss, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Der Sonderbericht zeigt, welche Folgen bereits eine Erwärmung der Erde um 1,5 Grad Celsius hat, insbesondere im Vergleich zu einer Erderwärmung um 2 Grad Celsius. Um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten, sollte laut des aktuellen IPCC-Berichts der weltweite Kohlendioxidausstoß 2020 seinen Höhepunkt erreichen und danach deutlich abnehmen. Außerdem muss bis 2050 die Treibhausgasneutralität erreicht sein. Dafür sind drastische Maßnahmen notwendig. Die Kosten allein für den Umbau des Energiesektors betragen laut IPCC bis 2035 etwa 2,1 Billionen Euro. Wenn jetzt nicht gehandelt wird, werden die Kosten zur Bewältigung der Klimafolgen noch erheblich höher. Laut Hochrechnung bleibt nur ein Jahrzehnt für den weiteren Umbau.
Herausforderungen der Energiewende
In Deutschland beträgt der Anteil der erneuerbaren Energien im deutschen Strommix aktuell rund 40 Prozent und soll laut Bundesregierung bis zum Jahr 2030 auf einen Anteil von 65 Prozent steigen. Vor allem Wind- und Solarkraftwerke sind hierzulande noch ausbaufähig. Die Stromproduktion aus Wind- und Solaranlagen stieg laut dem Internationalen Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR) allein bis Ende September 2018um 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Doch es gibt Hürden: Da ist einerseits die fehlende Verteilung von Offshore-Windstrom von der Nordsee in den Süden des Landes. Denn die Akzeptanz der Bevölkerung von Hochspannungsleitungen vor der eigenen Haustür ist gering. Andererseits liefern Solar- und Windkraftwerke wetterabhängig und daher sehr schwankend Energie.
Künftig mehr Engpässe?
Könnte es deswegen künftig vermehrt zu Engpässen, teilweiser Unterversorgung oder gar Ausfällen in Zeiten hohen Energieverbrauchs kommen, wenn Atom- und Kohlekraftwerke im Rahmen der Energiewende nach und nach von Netz genommen werden? Denn Energieverbrauch und -erzeugung müssen sich zur Aufrechterhaltung der benötigten Netzfrequenz von 50 Hertz die Waage halten. Wird zu wenig Energie erzeugt und die Frequenz sinkt auf unter 49,8 Hertz, braucht es Reserve- oder Regelleistung zum Ausgleich. Fällt die Frequenz unter 49 Hertz, muss stufenweise Netzlast abgeworfen werden. Ab 47,5 Hertz müssen Kraftwerke vom Netz genommen werden und der Blackout tritt ein.
Kreative Energiespeicher sind gefragt
Um diese Szenarien auszuschließen, braucht es Energiespeicherung zu Zeiten hoher Stromerzeugung und die Einspeisung von Regelleistung ins Netz bei wenig Wind und Sonne – zur Stabilisierung des Netzes. Batteriebetriebene Unterbrechungsfreie-Stromversorgung(USV)-Anlagen werden bereits in großem Stil in jedem Rechenzentrum aber auch in sonstigen kritischen Infrastrukturen wie Krankenhäusern, Telekommunikationsunternehmen, Produktionsanlagen oder bei Ver- und Entsorgungsunternehmen eingesetzt. War ihre Funktion in der Vergangenheit, die Stromversorgung bei Netzausfällen als Back-up aufrecht zu erhalten sowie empfindliche Geräte und Anlagen vor Spannungsschwankungen zu schützen, können sie im Rahmen der Energiewende neue Aufgaben übernehmen. Statische USV-Systeme verfügen bereits über Batterien, um Strom zu speichern und bei Bedarf abzugeben. Mit der entsprechenden Modernisierung und ggf. Batterieerweiterung lassen sie sich so steuern, dass sie Strom bei viel Wind und Sonne speichern und bei ungünstigen Wetterkonditionen entweder im eigenen Unternehmen nutzen oder ins öffentliche Netz einspeisen – dabei bleibt die Back-up Funktion erhalten. Die USV-Anlage bekommt so eine zusätzliche, gewinnbringende Funktion.
Unternehmen werden vom Stromverbraucher zum Stromerzeuger
Ein lukrativer Markt: Insgesamt soll der Markt für Energiespeicherung mittels USV laut Navigant Research im Jahr 2026 weltweit 3,5 GW umfassen beziehungsweise einen Umsatz von mehr als 2,5 Milliarden US-Dollar generieren. Energieunternehmen treten in diesem Zusammenhang als virtuelle Kraftwerke auf, bilden die Schnittstelle zum Energiemarkt und garantieren Unternehmen den Erlös aus ihrer USV-Anlage – wobei diese selbst bestimmen, wann sie wie viel Strom ins öffentliche Netz einspeisen wollen, um Flexibility-Services abzubilden. Im Rahmen einer Simulation errechnete ein Rechenzentrum in Irland für seine USV mit einer Leistung von 20 MW, einer adressierbaren Last von 9600 kW und einer verfügbaren USV-Energie von 320 kWh im Rahmen eines Fünfjahresvertrages mit einem Energieunternehmen, das als virtuelles Kraftwerk auftritt, pro Jahr 1.400.000 Euro Umsatz durch die Nutzung der USV-Anlage als Energiespeicher.
Lithium-Batterien ermöglichen mehr Lade-Entladezyklen
Doch nicht jede USV-Anlage ist für den Einsatz als flexibler Energiespeicher geeignet. USV-Anlagen mit Lithium-Batterien sind für den Einsatz am Energiemarkt besser geeignet als solche mit bleihaltigen Vorgängern. Lithium-Batterien sind kleiner, leichter und ermöglichen eine größere Anzahl von Lade-Entladezyklen. Neben einer längeren Lebensdauer erreichen Lithium-Batterien auch eine höhere Energiedichte und funktionieren in einem breiteren Temperaturbereich. Ist das USV-System zudem modular und im laufenden Betrieb einfach skalierbar, kann die Anlage jederzeit erweitert werden. Das ist insbesondere von Vorteil, wenn man die USV als Energiespeicher erst einmal ausprobieren und später erweitern möchte, ohne dass es dabei zu Ausfallzeiten kommt. Je höher der Wirkungsgrad, vor allem auch bei geringen Lasten, desto besser ist die Energieeffizienz einer USV-Anlage und desto geringer die Verluste beim Speichern und wieder Einspeisen ins Netz. Last but not least: Je weniger Stellfläche in Quadratmeter je MW eine USV benötigt, umso mehr Energie kann im Rahmen des verfügbaren Platzangebotes gespeichert werden.
Chancen nutzen
Auch wenn USV-Anlagen allein die Herausforderungen der Energiewende in puncto Energiespeicherung nicht stemmen werden: Sie können mit wenig Aufwand einen wichtigen Anteil zu den erforderlichen Energiespeicherkapazitäten beitragen. Denn die Kosten für die Nachrüstung amortisieren sich schnell und danach lassen sich zusätzliche Umsätze und Gewinne erzielen. Jetzt liegt es an allen Unternehmen, die USV-Anlagen nutzen oder ihre Nutzung planen, dieses neue Einsatzszenario für sich zu entdecken. Gemäß dem Motto: Viele kleine Beiträge können Großes bewirken.
Autor Reinhard Purzer ist Vice President & Managing Director Firma Vertiv