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Europäische Kommission regelt Primärleistung – ein Kommentar

Große Chancen für große Stromspeicher

Die Entscheidungen der Europäischen Kommission bezüglich der Energiewende waren in den vergangenen Monaten immer zumindest kontrovers für die Branchen. Erinnert sei hier unter anderem an die Anforderung, Einspeisevergütungen nur noch über Ausschreibungen zu vergeben – zumindest für große Anlagen. Doch jetzt hat sich die Brüsseler Kommission offenbar der Realität gestellt, dass die Energiewende ohnehin nicht aufzuhalten ist.

Wie der Bundesverband Energiespeicher (BVES) mitteilt, hat Brüssel entschieden, dass die Primärregelleistung nur für 15 Minuten bereitgestellt werden muss, um an dem Markt für diese Dienstleistung für das Netz teilnehmen zu können. So steht es in den einheitlichen europäischen Regeln für die Haltung der Netzfrequenz, die noch im November dieses Jahres veröffentlicht werden sollen. Wann sie tatsächlich in Kraft treten, ist allerdings bisher noch nicht klar. Sollten die Vorgabe von 15 Minuten für die Bereitstellung der Primäregelleistung aber tatsächlich umgesetzt werden, wäre dies eine riesige Chance für Geschäftsmodelle mit großen Stromspeichern.

Jahrelang an Regeln getüftelt

Denn diese 15 Minuten verändern komplett die Wirtschaftlichkeitsanalysen solcher Speicher in Deutschland. Denn hierzulande müssen die Stromspeicher eine halbe Stunde lang mit voller Leistung ins Netz einspeisen können, um am Markt für Primärregeleenergie teilnehmen zu dürfen. So legen es die Präqualifizierungsregeln fest, die die deutschen Übertragungsnetzbetreiber mit allen Mitteln verteidigen wollte. So auch in Brüssel. Dort scheint man aber auf die eigenen Experten von der Enso-E, dem gemeinsamen Gremium der europäischen Übertragungsnetzbetreiber, zu hören. Diese Experten haben in den vergangenen Jahren an der Festlegung der einheitliche Regelungen für den Zugang zum Primärregelleistungsmarkt getüftelt. Schon im Jahr 2013 haben sie beklagt, dass die Regelung, dass die Speicher 30 Minuten Primärregelleistung bereitstellen müssen, als viel zu sperrig erachtet. Der Zeitraum ist viel zu lang. Die sogenannten Network Codes on Load Frequency Control and Reserves (LFCR), in denen die Regelungen zum europäischen Recht werden, liegen derzeit zur Abstimmung auf den Schreibtischen der Beamten in Brüssel.

Bisher halten vor allem die rotierenden Massen der alten fossilen Kraftwerke das Netz stabil, wenn die Frequenz ins Schwanken gerät. Für die Netzbetreiber ist das eine bequeme Lösung. Sie wissen genau, wie sich diese Kraftwerke verhalten und haben lange Erfahrungen damit gemacht. Geht es nach ihnen, sollte das auch so weitergehen. Nur widerwillig wollen sie große Stromspeicher in dieses System einbeziehen. Der Grund: Die Netzbetreiber sind in der Regel auch Betreiber großer Kraftwerke. Wenn sie jetzt auch noch den Markt für Regelenergie mit den Ökokraftwerkern teilen müssen, wird es noch enger als ohnehin schon, wenn es um die eigene wirtschaftliche Zukunft geht.

Irrwitziger Zeitraum

Deshalb haben die deutschen Übertragungsnetzbetreiber die Europäische Kommission aufgefordert, dass nur Anlagen für den Regelleistungsmarkt zugelassen werden sollen, die eine halbe Stunde lang mit voller Leistung ins Netz einspeisen können. Ein irrwitziger Zeitraum. Denn in der Regel werden diese Zeiten überhaupt nicht gebraucht. Zumindest für die Primärregelleistung ist dieses Kriterium komplett überflüssig. Denn sie muss innerhalb von 30 Sekunden erbracht werden. In diesem Zeitraum müssen die Anlagen ihre Leistungsabgabe linear erhöhen oder verringern, um die Schwankungen der Netzfrequenz abzufangen. Hier haben die Speicher einen riesigen Vorteil gegenüber den trägen fossilen oder atomaren Anlagen. Denn sie können innerhalb von wenigen Sekunden diese Vorgabe erfüllen.

Innerhalb von fünf Minuten wird die Primärregelleistung aber ohnehin durch die Sekundärregelleistung abgelöst, so dass die Primärregelleistung wieder zur Verfügung steht. Die Sekundärregelleistung muss derzeit für eine Zeitdauer von 15 Minuten erbracht werden, dann springen die Kraftwerke ein, die Tertiärregelleistung – die sogenannte Minutenreserve – erbringen. Dieses System ist einigermaßen durchdacht und gilt in ganz Europa – außer für Stromspeicher in Deutschland.

Chancengleichheit wieder hergestellt

Denn die Regeln der deutschen Übertragungsnetzbetreiber – in der Regel Tochterunternehmen der großen Stromkonzerne – legen fest, dass Stromspeicher nur für den Markt der Primärregelleistung zugelassen werden, wenn sie diese über einen Zeitraum von 30 Minuten erbringen. Damit legen sie die Hürden so hoch, dass das Geschäftsmodell für die großen Stromspeicher in Deutschland möglichst unwirtschaftlich wird. Den Netzbetreibern kommt das gerade recht. Denn sie können jetzt auf den teuren Netzausbau beharren, statt das gesamte System hin zur Dezentralität weiterzuentwickeln

Sollten die neuen Regelungen so wie geplant in Kraft treten, ist die Chancengleichheit zwischen konventionellen Altkraftwerken und modernen Energiespeichern wieder hergestellt. Schließlich müssen die Speicher jetzt im Verhältnis zur Leistung nicht mehr so groß ausfallen, um am Regelleistungsmarkt teilnehmen zu können. Das hebt die Wirtschaftlichkeit solcher Speicher mit dem Geschäftsmodell der Erbringung von Systemdienstleistungen auf ein ganz neues Niveau. Sollte Brüssel die Regelungen tatsächlich so verabschieden, müssten die deutschen Übertragungsnetzbetreiber ihre Präqualifizierungsregeln entsprechend ändern.

Noch sind die neuen Netzwerk-Codes für die Frequenzhaltung aber nicht in Kraft. Doch die Zeichen sind eindeutig: Zumindest wenn es darum geht, das Gesamtsystem in Richtung Energiewende weiterzuentwickeln, setzt Brüssel auf möglichst niedrige Hürden. Die Europäische Kommission hat aber auch gar keine andere Möglichkeit. Schließlich werden die großen rotierenden Massen mittelfristig wegfallen. Dann muss ein System von Anlagen stehen, die die Aufgabe übernehmen, das Netz stabil zu halten. Mit steuerbaren Lasten allein wird das nicht gehen. Dafür braucht Europa die Stromspeicher. (Sven Ullrich)