Enercon habe eine „Delle“ erlebt, räumte der Geschäftsführer des Auricher Unternehmens, Hans-Dieter Kettwig, vergangene Woche in Hannover ein. „Aber die Delle wird nicht so groß sein“, sagte er mit Verweis auf 2015 deutlich zurückgegangene Kennziffern. Weltweit hatte Enercon binnen eines Jahres 800 Megawatt (MW) weniger Leistung neu installiert als noch 2014 sowie ein um etwa eine halbe Milliarde Euro reduziertes Geschäftsvolumen erzielt. Für 2016 peile sein Unternehmen in beiden Kenngrößen wieder das Niveau von 2014 an, erklärte Kettwig. Die neuen Windparkinstallationen des Unternehmens aus dem ersten Quartal 2016 wiesen darauf hin, dass Enercon schon in die bisherige Erfolgsspur zurückgekehrt sei, argumentierte der Enercon-Chef.
Verloren hatte der Hersteller getriebeloser Windenergieanlagen sowohl bei den Marktanteilen, als auch am Installationsvolumen – und zwar gleichermaßen im Hauptmarkt Deutschland und in Summe auf seinen internationalen Märkten. Nach einer Aufbauleistung von rund 3.900 MW im Jahr 2014 fiel Enercon 2015 auf 3.100 MW zurück. In Deutschland errichteten die Aufbauteams der Ostfriesen 2015 noch 1.376 MW – nach gut 2.000 MW im deutschen Rekord-Installationsjahr 2014. Enercons Marktanteil am deutschen Windparkneubau an Land war zudem von 43 auf 37 Prozent zurückgegangen. Auch sank die Marktquote für Europa inklusive der Türkei auf 24,5 Prozent – bei einem Zubau von Enercon-Windparks um rund 2,6 Gigawatt (GW). Zwar gab Kettwig bei der Bilanz in Hannover keine Vergleichszahlen aus dem Vorjahr an. Doch Marktanalysedienst Make Consulting hatte im März für Enercon in der Großregion EMEA – EMEA: Europa, Mittlerer Osten, Afrika – einen Rückgang um 1,2 GW auf das ähnliche Niveau von 2,5 GW attestiert.
Erster Rückgang der Betriebsleistung seit zehn Jahren
Wie immer bilanzierte das Unternehmen anstelle von Umsatzzahlen eine sogenannte Betriebsleistung. Damit vermeidet das mittelständisch geführte Enercon, dass seine Geschäftsdaten von der Konkurrenz genau nachvollzogen werden können, lässt aber zugleich die geschäftliche Entwicklung nachvollziehen. Was im Detail zur Betriebsleistung gehört, verrät Enercon nicht. Doch die Betriebsleistung geht mit den Umsätzen einher. Laut der von Kettwig präsentierten Bilanz sank die Betriebsleistung auf 4,4 Milliarden Euro – nach 4,9 Milliarden Euro im Jahr 2014. Dies war in den vergangenen zehn Jahren der erste Rückgang überhaupt. Selbst in seinem bisher einzigen Stagnationsjahr 2011 dieses Zehn-Jahres-Zeitraums hatte Enercon die Betriebsleistung um wenigstens noch rund 100 Millionen Euro erhöht.
Jahresanfang 2016 belegt Rückkehr auf Wachstumskurs
Allerdings sieht Enercon-Chef Kettwig das Unternehmen auf Wachstumskurs zurück. Bis 2019 ist nun ein Anstieg der Betriebsleistung auf 5,4 Milliarden Euro geplant. In dieser Prognose trägt Enercon einer erwarteten zunehmenden Konkurrenz der Turbinenbauer Rechnung. Ebenso berücksichtigt ist der erwartete Rückgang im Heimatmarkt durch die neue Ausbaubremse im Erneuerbare-Energien-Gesetz. Der Anteil der in Deutschland installierten Enercon-Erzeugungskapazität am von Enercon seit Bestehen des Unternehmens global errichteten Leistungsvolumen wird so bis 2020 auf etwas mehr als 35 Prozent von 60 GW sinken. Heute macht die kummulierte Leistung aller errichteten Enercon-Turbinen in Deutschland noch 45 Prozent der insgesamt von den Aurichern errichteten 41,1 GW aus. Gewinnen muss demnach Enercon vor allem beim Volumen seiner internationalen Installationen. Für 2018 und 2019 sieht Enercon allerdings auch eine Stagnation der Betriebsleistung voraus.
Dass Enercon 2016 an der Wegmarke in den Wachstumspfad wieder einbiegen wird, an welcher das Unternehmen 2015 davon abgekommen war, sieht Kettwig durch Erfolge im ersten Quartal 2016 belegt. So habe Enercon bis März weltweit schon 733 MW neu installiert. Im Vergleichszeitraum 2015 hatte der Turbinenbauer nur 445 MW errichtet. Und selbst im bisherigen Enercon-Rekordjahr 2014 waren es mit 752 MW nur kaum mehr als in den laut Enercon wieder vielversprechenden ersten Monaten dieses Jahres.
Erst Trendverweigerer, jetzt größte Binnenlandturbine
Als wesentliche Voraussetzung für das baldige Knacken der Vier-GW-Grenze im weltweiten Jahreszubau sieht Kettwig für sein Unternehmen technische Innovationen an. 2014 hatte die Unternehmensführung der Auricher diese Marke als Ziel für 2015 ausgegeben. Mit der Anlagenplattform EP4, deren erster Prototyp seit Anfang April installiert ist, sei Enercon „zurück im Rennen“, sagte Kettwig in Hannover vor Journalisten. Dies gelte gerade auch für die europaweit ins Visier der Projektierer geratenen küstenfernen Binnenlandstandorte. Ein vor zwei bis drei Jahren begonnener Innovationsprozess werde sich nun auszahlen.
Kettwig verweist so auf die Teilnahme Enercons an einem Branchentrend: Seit rund sieben Jahren stellen die Turbinenbauer in zunehmend dichtem Takt Windenergieanlagen mit immer längeren Rotorblättern vor. Diese sollen vor allem an Binnenlandstandorten verlässlicher und stetiger Windstrom ernten. Mit der Einführung der Drei-Megawatt-Anlagen E-101 und E-115 im Enercon-Anlagenportfolio 2011 und 2014 hatten die Auricher erstmals die Teilnahme an diesem Trend bewiesen. Doch erst die 2015 vorgestellte Anlagenplattform EP4 mit einer Leistung von 4,2 MW lässt Enercon zu den charakteristischen technischen Daten dieses Trends aufschließen. Ende 2016 soll der Prototyp der EP4-Anlage E-141 ans Netz gehen. Er wird den bis dahin größten Rotor einer Windenergieanlage an Land tragen und leistungsstärkste Turbine für Schwachwindstandorte sein. Das Verhältnis der Leistung zur überstrichenen Rotorfläche wird mit 269 Watt pro Quadratmeter dicht an den Kenndaten der Konkurrenz liegen. Je weniger Watt pro Quadratmeter diese neuen Turbinen einstreichen müssen, desto gleichmäßiger und länger erzeugen sie im Jahresverlauf aus unstetem Wind im Binnenland ihren Strom – so lautet die Faustregel. Zum Vergleich: Die ersten spezialisierten Binnenlandanlagen derselben Leistungsklasse ab drei MW und größer kamen noch auf rund 300 Watt pro Quadratmeter. Zur EP4-Plattform gehört auch eine Version mit einem Rotor von 127 Metern Durchmesser für mittlere Windstandorte. Deren Prototyp ging im April ans Netz.
Schnelle Markteinführungszyklen
Genauso entscheidend ist die Fähigkeit zur immer schnelleren Bereitstellung spezialisierter Anlagen für Schwach-, aber auch für Stark- und Mittelwindstandorte. Dabei lässt der Trend die Anlagenhersteller auch auf einzelne Märkte, Stromnetzsituationen, Straßenverhältnisse zum Antransport, Landschaftsschutz oder Investorenmöglichkeiten zugeschnittene Turbinenserien entwickeln. Enercon habe hier mit der Einrichtung seines Innovationszentrums am Standort Aurich vor zwei bis drei Jahren entscheidende Weichen gestellt, betonte Kettwig.
Nun produziert das Unternehmen Anlagen-Plattformen, aus denen heraus es immer neue Anlagengrößen mit einer hohen Zahl von Gleichteilen sehr schnell entwickeln kann. Auf der Hannovermesse etwa präsentierte Enercon auch einen neuen Hybridturm aus Beton und Stahl. Er sieht eine Art Lego-System vor: mit Betonturmringen in Zylinder- und in Trichterform lassen sich unterschiedlichste Anlagenhöhen und verschieden starke Verjüngungen im Turmdurchmesser für jeden Anlagentyp und Standort erzielen. Dagegen fällt das Berechnen und Auslegen spezieller Turmteil-Größen für die Nabenhöhen neuer Anlagen weg.
(Tilman Weber)