Eine Millionen Elektroautos bis 2020 – laut einer aktuellen Studie des VDE ein realistisches Ziel. Investitionen in öffentliche Ladestationen oder den Ausbau der Netze und Kraftwerkskapazitäten sind nicht notwendig. Deutschland kann Innovationsführer bei der Elektromobilität werden. Doch nicht alle Experten teilen den Optimismus des Verbands.
Eine lässige junge Frau im Sommerkleid am Steuer, auf dem Beifahrersitz ein interessant frisierter Mann mit einer Tasche voller Golfschläger – die Anzeige zeigt zwei smarte, urbane Trendsetter auf dem Weg ins Freizeitvergnügen; darunter wirbt der Claim „Das ideale Auto für Stadt und Umland“ für den eleganten Zweisitzer mit Elektroantrieb. Automobilwerbung 2010 – die Branche entdeckt die Lohas? Nicht wirklich: Das Anzeigenmotiv ist exakt 100 Jahre alt und stammt von der heute längst vergessenen US-Firma Baker Electrics aus Ohio.
Mit dieser Werbung zeigte Professor Rik W. De Doncker von der RWTH Aachen jüngst auf einer Veranstaltung des Verbands der Elektrotechnik und Elektronik VDE und der Hanns-Seidel-Stiftung in München, dass der Elektromotor schon in den Kindertagen des Automobils ein Verkaufsschlager war. Auch heute sprechen viele Gründe für den Elektroantrieb: Mit zunehmendem Erneuerbare-Energien-Anteil im Strommix wird Mobilität immer klimafreundlicher; die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern sinkt; die Luft- und Lärmbelastung in den Städten wird gemindert; die Akkus der Elektroautos können helfen, Schwankungen in der Verfügbarkeit von Wind- und Solarstrom auszugleichen. Gute Gründe für die Bundesregierung, das Ziel „eine Millionen Elektroautos bis 2020“ auszurufen.
Welche technischen, ökonomischen und politischen Bedingungen müssen erfüllt sein, um dieses Ziel zu erreichen? Auf welchen Feldern muss noch geforscht werden? Wie steht es um die Entwicklung der Schlüsselkomponenten von Elektroautos? Zu diesen Fragen hat VDE jüngst eine umfassende Studie vorgelegt, die in München präsentiert wurde. Deren zentrales Ergebnis: Die Technologie ist weitgehend ausgereift, die bestehenden Netze und Kraftwerkskapazitäten reichen aus – nur die Batterien müssen noch günstiger und leistungsstärker werden.
Die Infrastruktur steht schon
Dem typischen Fahrverhalten der Autohalter entsprechend gehen die Autoren der Studie davon aus, dass die PKW vorwiegend abends und nachts in der heimischen Garage und am Arbeitsplatz an normalen, einphasigen Steckdosen aufgeladen werden, deren Leistung durch die üblicherweise verwendeten 16-A-Sicherungen auf 3,7 kW begrenzt ist. Diese Anschlüsse stehen meist bereits zur Verfügung oder können ohne größeren Aufwand nachgerüstet werden. „Zur Einführung von Elektroautos sind weder Schnellladesyssteme noch der Aufbau einer öffentlichen Ladeinfrastruktur nötig“, ist De Doncker, Co-Autor der VDE-Studie, überzeugt. Für den Aufbau von Schnellladestationen im öffentlichen Raum, etwa vor Supermärkten, sprächen nur psychologische Gründe – sie schaffen ein Gefühl der Sicherheit. „Energieversorger sollten das erst tun, wenn mehr als eine Million Elektrofahrzeuge auf den Straßen sind“, rät De Doncker. Ludwig Karg, Geschäftsführer von B.A.U.M. Consult und Leiter der Begleitforschung der Programme „E-Energy“ und „IKT für Elektromobilität“ des Bundeswirtschaftsministeriums, ist da allerdings anderer Meinung: „Damit Elektroautos ohne Einschränkung der Mobilitätsbedürfnisse ihrer Nutzer fahren können, ist schon noch etwas zu tun. Zwar werden die meisten Ladevorgänge für die Batterien zu Hause stattfinden, aber eine gewisse Zahl öffentlich zugänglicher Ladestellen werden wir brauchen.“
Um die Ladelast der Elektrofahrzeuge zu ermitteln, haben die Autoren der Studie drei Szenarien untersucht: das ausschließliche Laden am heimischen Hausanschluss, das Laden zuhause sowie gelegentlich am Arbeitsplatz sowie das flächendeckende Laden, was eine stark ausgebaute Infrastruktur voraussetzt – jeweils bei einer konstanten Ladung von 3,7 kW. Allen drei Szenarien ist gemein, dass zwischen 18 und 19 Uhr eine ausgeprägte Leistungsspitze von 350 bis 500 MW auftritt. Das entspricht allerdings weniger als einem Prozent der normalen Netzlast. „Die Ladeleistung bei einphasigem Anschluss der Fahrzeuge erscheint aus Netzsicht zumindest in der Einführungsphase (meint: bei bis zu einer Millionen Elektroautos, d. Red.) als unkritisch“, heißt es in der Studie.
Ein Lastmanagement, mit dem die Ladezeiten auf die nachfrageschwachen Nachststunden verschoben werden, sei nur nötig, wenn es bei einer lokal großen Fahrzeugdichte und bei hohen Ladeleistungen zu Problemen im Mittel- und Niederspannungsnetz kommt. Das sieht auch Ludwig Karg so: „Wenn alle Fahrzeuge zu unterschiedlichen Zeiten und schön verteilt übers Land geladen werden, gibt es keine Probleme. Aber wenn sich zwanzig Autos in meiner Straße gleichzeitig für ein Schnellladen entscheiden, wird das der Ortsnetztrafo nicht mitmachen. Dafür muss die entsprechende Infrastruktur entwickelt werden. Irgendwie müssen sich die Ladestationen abstimmen: Wer darf zuerst laden? Und wer darf mit welcher Leistung, also wie schnell laden? Zugleich muss garantiert sein, dass bei allen die Batterie geladen ist, wenn sie fahren wollen.“ Erst ab einer Millionen Fahrzeuge sei laut der VDE-Studie ein durchgängiges netzseitiges Lademanagement notwendig. Ebenso ist ein Netzausbau überflüssig – zumindest im Namen der Elektrofahrzeuge: „Die Anforderungen an die Stromnetze durch die Elektromobilität sind gering im Vergleich zu denen durch den Ausbau regenerativer Energien“, meinen die VDE-Autoren.
Auch der Mehrbedarf an Strom hält sich in Grenzen, wenn eine Million Elektroautos durch die Straßen rollen: Bei einer durchschnittlichen Tagesfahrstrecke von 30 Kilometern und einem Verbrauch von 20 Kilowattstunden pro 100 Kilometer haben die Autoren einen Jahresenergieverbrauch von etwa 1,4 Terawattstunden errechnet, was weniger als 0,5 Prozent des in Deutschland pro Jahr verbrauchten Stroms entspricht. „Die benötigte Energie zur Versorgung von Elektrofahrzeugen ist aus Erzeugungssicht als unproblematisch einzustufen“, fassen sie zusammen.
Rollende Speicher
Skeptischer sind die Autoren dagegen bei den Netzdienstleistungen, die die E-Mobile erbringen sollen. Kaum eine Darstellung des Smart Grid kommt ohne die Akkus der Elektrofahrzeuge aus, die bei Sturm oder starker Sonneneinstrahlung Wind- und Solarstrom aufnehmen und bei einer Flaute oder grauem Himmel wieder abgeben. So sollen die rollenden Speicher helfen, Energieangebot und -nachfrage ins Gleichgewicht zu bringen. Die VDE-Autoren warnen jedoch vor zu großen Hoffnungen: „Die Erbringung von Netzdienstleistungen sollte bis auf Weiteres von Elektrofahrzeugen nicht erwartet werden, da der Aufwand gegenüber dem Nutzen sehr hoch ist.“ Die Integration in ein Smart Grid sei nicht wirtschaftlich, weil eine extrem große Zahl von Fahrzeugen zu Pools zusammengeschlossen werden müssten. Zudem seien durchgängige Kommunikationsverbindungen nötig, die das Be- und Entladen steuern. Ludwig Karg teilt diese Einschätzung: „Das Einspeisen von Strom aus Autobatterien ins Netz ist grundsätzlich möglich. Doch in absehbarer Zeit ist das keine wirtschaftlich attraktive Option.“
Batterien sind noch viel zu teuer
Der Knackpunkt für den Durchbruch der Elektroantriebe ist also nach Meinung des VDE nicht die Infrastruktur – es sind die Batterien, die bislang noch viel zu teuer sind. „Die Batteriekosten sind entscheidend für die Markteinführung“, sagt De Doncker. Heute liegen die Kosten der Lithium-Ionen-Batterien – die die Autoren der Studie für die nächsten zehn Jahre und länger für die einzige wesentliche Technologie halten – bei etwa 1000 Euro pro Kilowattstunde. Um eine Reichweite von 100 Kilometern zu ermöglichen, müssen mindestens 10.000 Euro in die Batterie investiert werden. Diese Kosten sind der wichtigste Faktor, der den Radius der Elektroautos limitiert. Eine größere Reichweite wäre auf keinen Fall wirtschaftlich. Was nach Meinung der Studienautoren aber kein größeres Problem sein sollte, denn 97 Prozent aller Fahrten sind kürzer als 100 Kilometer. Bei einer Lebensdauer von zehn Jahren benötigt eine solche Fahrleistung 1080 Lade-Vollzyklen. Das können die Akkus problemlos bewältigen: sie schaffen schon heute etwa 3000 Vollzyklen. Damit bliebe auch noch „Luft“ für die Übernahme von Netzdienstleistungen, die ja mit dem Be- und Entladen die Batterien beanspruchen.
Mit der Massenproduktion könnten die Kosten binnen fünf Jahren um bis zu 70 Prozent sinken, erwarten die Autoren. Henrik Hahn, Geschäftsführer der Evonik-Tochter Litarion, die in Sachsen und im Ruhrgebiet Elektroden und Separatoren für die Akkus von Elektrofahrzeugen fertigt, ist allerdings nicht ganz so optimistisch: „Eine Halbierung der Kosten erscheint kurz- bis mittelfristig über die Realisierung entsprechender Serienfertigungsprozesse machbar. Eine weitere Annäherung an die aus dem Konsumgüterbereich bekannten Preisvorstellungen, etwa eine weitere Halbierung, ist erst langfristig zu erwarten, wenn auch der Leistungsumfang klar auf die relevante Anwendung abgestimmt ist und geeignete Massenproduktionsprozesse greifen.“
Deutschland als Leitmarkt?
Deutschland könne nach Meinung des VDE zum Leitmarkt und Innovationsführer für Elektromobilität werden: „Mit wenigen Ausnahmen, wie zum Beispiel den Batterien, haben wir bei den meisten Basistechnologien eine Spitzenposition und auch bezüglich der Infrastruktur ist unsere Ausgangsposition ausgezeichnet“, so der VDE. Allerdings sind die Batterien die Schlüsselkomponente der Elektro-PKW, denn sie machen inklusive des elektrische Antriebssystems 70 Prozent der Wertschöpfung aus. „Bei der Lithium-Ionen-Batterie liegen deutsche Unternehmen weit hinten“, hat der Geschäftsführer der Münchener Unternehmensberatung Technomar Andreas Varesi beobachtet.
Er befürchtet deshalb, die heimische Automobilbranche könne bei der Elektromobilität ins Hintertreffen geraten: „Insbesondere Schwellenländer wie China und Indien besetzen diesen zukünftigen Markt für Automobile. Allein in China sind mittlerweile 70 bis 80 Millionen Elektrofahrzeuge, hauptsächlich noch Zweiräder, unterwegs. Bereits 2012 sollen in der Volksrepublik jährlich eine Million E-Autos vom Band rollen. Im Autoland Deutschland hingegen wird bisher nur an Ankündigungen, Konzeptstudien und Kleinstserien gearbeitet. Lediglich einzelne Mittelständler zeigen derzeit ernsthafte Aktivitäten zum Bau eigener E-Autos. Doch auch diese sind auf Batterien aus Fernost angewiesen.“ Auch Hahn sieht die asiatischen Hersteller bei der Batterietechnologie in der Pole Position – doch dies bedeute noch lange nicht, dass sie tatsächlich als erste die Ziellinie überqueren: „Asiatischer Vorsprung und Erfahrung mit kleinen Lithium-Ionen-Akkus für Handys und Camcorder mag sicherlich vorhanden sein – ist aber keine Erfolgsgarantie. Es reicht nämlich sicherlich nicht, Klein-Akkus einfach größer zu bauen. Das Thema ‚Hochleistungsbatterien für Elektroautos’ erfordert in vielen technischen Bereichen neue Ansätze und Konzepte.“
Rückstand hat strukturelle Gründe
Varesi nennt für den Rückstand der heimischen Autoindustrie strukturelle Gründe: „Was deutsche Autobauer die letzten 100 Jahre ausgezeichnet hat – überlegene Verbrennungsmotoren und hochpräzise Getriebetechnik –, wird für Elektroautos in Zukunft nicht mehr benötigt. Doch genau auf der alten Technologie basieren die wichtigsten Assets der deutschen Autobauer: Fabriken, Patente, Zulieferindustrie und nicht zuletzt das Know-how der Mitarbeiter.“ Ein rascher Schwenk auf das Elektroauto sei den heimischen Herstellern schlicht nicht möglich. Ganz anders die neuen Automobilfirmen aus Fernost, so der Technomar-Chef: „Firmen wie BYD oder Tata können unbelastet vom etablierten Bestandsgeschäft im neuen Markt der E-Autos eine dominierende Position aufbauen.“ Immer mehr europäische Traditionsmarken könnten verschwinden oder in indische oder chinesische Hand übergehen, prognostiziert Varesi. Seine Warnung: „Hierzulande droht ein massiver Verlust an Wertschöpfung und Arbeitsplätzen!“
Ob Andreas Varesi recht behält oder nicht, ob die strombetriebenen Fahrzeuge in Zukunft aus Wolfsburg, München und Ingostadt oder aus Shaoguan, Sanand oder Oppama kommen: Elektroautos werden in zehn Jahren ein gewohntes Bild auf unseren Straßen abgeben. Zum Wohle der Umwelt, wird es mit dem Elektromotor doch zum ersten Mal möglich, erneuerbare Energien direkt für den Antrieb eines Fahrzeugs zu nutzen. Der Traum von der emissionsfreien Massenmobilität wird damit endlich Realität.
RALPH DIERMANN