Als gestern Abend der designierte Präsident der Europäischen Kommission seine Mannschaft vorstellte, ging ein Raunen durch die Republik. Günther Oettinger – noch vor wenigen Wochen im Gespräch als Wettbewerbskommissar – wurde auf den wenig respektablen Posten eines Kommissars für digitale Infrastruktur abgeschoben. Ob die europäischen Datenautobahnen jetzt in Gefahr sind, mag dahingestellt sein. Doch die Kritik kommt aus allen Ecken. Die Einen werfen der Kanzlerin vor, dass sie sich mit einem schwachen Amt für Deutschland in der Europäischen Kommission abspeisen ließ. Die Anderen kritisieren, dass Oettinger mit der Materie überhaupt nicht vertraut ist. Doch man mag einwenden, von Energie hatte er auch kaum Ahnung und hat trotzdem viel Schaden angerichtet. Jedenfalls seine ständigen Seitenhiebe gegen die Energiewende haben wenig dazu beigetragen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien voran kommt und Europa seine selbst gesteckten Klimaschutzziele erreicht.
In die Kommission weggelobt
Das könnte sich jetzt ändern. Zumindest was den Zuschnitt des Energiekommissariats in Brüssel angeht. Schließlich ist der neue designierte Energiekommissar nicht mehr nur für Strom und Wärme, sondern auch für die europäische Klimapolitik zuständig. Das hat für den Vorteil, dass der neue Kommissar den Druck hat, nicht nur Lobbypolitik für die alte Energiewirtschaft zu betreiben, wie es Oettinger gern praktizierte, sondern sich auch um die Klimaschutzziele der EU kümmern muss. Versagt er bei der Umsetzung der Energiewende in Europa, versagt er auch auf dem Feld des Klimaschutzes. Die Aufgabe ist mit der richtigen Politik zu bewältigen. Ob der ehemalige spanische Minister für Landwirtschaft und Ernährung Miguel Arias Cañete der richtige Mann für diese Aufgabe ist, bleibt abzuwarten. Cañete ist schon lange im politischen Geschäft unterwegs und kein Mann, der hinterm Berg hält. So manches Fettnäpfchen hat er schon zielsicher getroffen. Nicht zuletzt sein überhebliches Auftreten im spanischen Europawahlkampf hat ihm den Sieg gekostet. Dafür wurde er von der konservativen spanischen Regierung in die Europäische Kommission weggelobt.
Wirtschaft gegen Umweltschutz
Cañete gilt aber auch als Hardliner, wenn es darum geht, die ökonomischen Belange über den Umweltschutz zu stellen. Bei Greenpeace ist er deshalb nicht gut gelitten. Außerdem ist Cañete ein ausgesprochener Verfechter der Energieproduktion aus Kohlenwasserstoffen – sprich: Erdöl und Erdgas. Zwar hat er die Geschäftsführung von Ducar, einem Unternehmen, das sein Geld mit dem Verkauf von Schiffsdiesel verdient, niedergelegt. Doch bezeichnet man ihn in Spanien deshalb nicht weniger als einen Geschäftsmann der Kohlenwasserstoffe. Während seiner Amtszeit in Madrid unterstützte er die konservative spanische Regierung bei ihrem Vorhaben der Erdgasförderung durch Fracking. Die Risiken für die Umwelt waren ihm egal.
Spanien ist kein Vorbild
Zumindest für die Solarbranche ist es auch kein gutes Zeichen, dass sich ausgerechnet ein ehemaliges Mitglied der spanischen Regierung die Geschicke der Energiewende in Europa lennken soll. Immerhin ist Spanien – neben der Tschechischen Republik – das einzige Land der EU, das die Förderung der Photovoltaik komplett gestrichen hat. Madrid hat den Schritt zwar mit den Belastungen des Staatshaushaltes aufgrund der Finanzkrise begründet. Doch dieser Schritt hat das Vertrauen der Investoren in die Stabilität der politischen Rahmenbedingungen in Spanien komplett zerstört.
Europäischer Strommarkt im Blick
Gleichzeitig rückt das Thema Energiewende stärker in den Mittelpunkt der Europäischen Kommission. Denn in Brüssel entsteht ein neues Kommissariat für Energieunion. Dort wird die ehemalige slowenische Ministerpräsidentin Alenka Bratušek das sagen haben. Der Europäische Verband der Windbranche (EWEA) ist zumindest zuversichtlich, dass das eine gute Entscheidung des Kommissionspräsidenten war. „Wir freuen uns darauf, mit Vizepräsidentin Bratušek und Kommissar Cañete zusammenzuarbeiten beim Aufbau einer neuen Energieunion in Europa, die auf die erneuerbaren Energien gestützt ist”, sagt Thomas Becker, Geschäftsführer der EWEA. “Um einen echten Binnenmarkt in Europa zu entwickeln, muss die Energiepolitik eine Domäne der EU-Gesetzgebung werden und sollte nicht an der Fessel von 28 unterschiedlichen Ministerien, Regelungen und Vertretungen auf dem nationalen Niveau hängen. Die Ankündigung Bratušek zur Vizepräsidentin zu ernennen, die für die Energieunion zuständig ist, zeigt das Verständnis von Kommissionspräsident Juncker, große Schritte in Richtung eines einheitlichen Elektrizitätsmarktes zu machen, dessen Herz die erneuerbaren Energien sein werden.” Zwar ist Alenka Bratušek Vize-Kommissionspräsidentin und steht damit in der Hierarchie weit über Cañete. Doch bleibt abzuwarten, ob die linksliberale Slowenin dem polternden konservativen Spanier Einhalt gebieten kann. Schließlich hat Cañete schon während des Europawahlkapfes klar gemacht, was er von Frauen in der Politik hält. Nach einem verlorenen Fernsehduell gegen seine sozialistische Gegnerin Elena Valenciano erklärte er, er habe sich in der Debatte zurückgehalten, um sie zu schonen, weil sie eine Frau sei. „Eine Debatte zwischen Mann und Frau ist sehr kompliziert, denn wenn der Mann seine intellektuelle Überlegenheit ausspielt, dann sieht es so aus, als sei er ein Macho, der eine wehrlose Frau in die Enge treibt”, begründete er die Niederlage. Da bleibt für die Branchen der erneuerbaren Energien nur zu hoffen, dass sie beim Wechsel von Oettinger zu Cañete nicht vom Regen in die Traufen kommt. (Sven Ullrich)