„Change“ – um den Wandel, die Umbrüche in der Energiewirtschaft durch Energiewende und Klimaschutz und neue Lösungsansätze sollte es gehen, beim diesjährigen BDEW-Kongress am 8. und 9. Juni in Berlin. Zwei Pfeiler der Traditionsveranstaltung haben sich rein merklich verändert. Zum einen: der Gastgeber: Seit Mai führt Stefan Kapferer, ehemals Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, den Verband. Seine Vorgängerin Hildegard Müller, inzwischen Vorstandsmitglied bei RWE, saß im Publikum. Zweite markante Änderung: der Veranstaltungsort. Statt im gediegenen Berliner Hotel Intercontinental tanzte der Kongress im ehemaligen Postbahnhof, einer Industrieanlage des 19. Jahrhunderts, die heute – nach „Change“ im Post- und Paket-Wesen – als hipper Veranstaltungsort fungiert. Weiterer Coolness-Faktor: Essen und Getränke lieferten kleine Anbieter aus der angesagten Markhalle 9 in Kreuzberg. Burger und Bulgur von Hipstern serviert, statt Canapes und Cakes von weiß Livrierten. Angesichts so viel Lockerheit sah sich mancher Panel-Teilnehmer gar animiert, Sakko und Schlips auszuziehen. Das hätte es im Interconti-Plüsch nicht gegeben.
Also alles schön bunt jetzt? So nun auch wieder nicht. Im Programm wimmelte es zwar von Themen wie Digitalisierung, Smartness und Innovation. Doch die Vorträge machten deutlich: Ein Patentrezept hat keiner. Die meisten Unternehmen tasten sich vorsichtig vor. Der mit der Energiewende eingehende Kulturwandel steckt erst in den Anfängen. Neues Ausprobieren und Fehler zulassen – das Mantra aller Innovatoren – war der Energiewirtschaft bislang wesensfremd. Hier galten Beständigkeit und Langfristigkeit als maßgeblich. Und: Viele Unternehmen hoffen, dass sie die Energiewende ungeschadet überstehen. Schließlich, stellte der CEO eines großes Stadtwerke-Verbunds fest, habe sich Struktur der deutschen Energiewirtschaft trotz Liberalisierung und europäischem Binnenmarkt kaum gewandelt.
Dass das nicht so bleiben dürfte, blitzte in vielen Vorträgen auf. Eine Begründung: Revolutionäre Ansätze kommen nie aus einer Branche selbst, sondern von außen. Als Beispiel fiel oft der Name Elon Musk, Gründer von Tesla. Eine weitere Begründung: Die Energiewende steht erst am Beginn, mit gerade einem Drittel der Stromversorgung wie wesentlich geringeren Anteilen bei Wärme und Mobilität. Die wahren Umbrüche kommen also noch.
In der Gegenwart droht die Energiewende dagegen in zu vielen Regelwerken mit zu großer Komplexität auf der Strecke zu bleiben. Das mahnte Patrick Graichen von Agora Energiewende an. Sichtbarer Beleg für ihn: der 150-Seiten-Report der Bundesnetzagentur zur Eigenerzeugung. Für Graichen ein Fall von „Regulierungsversagen“. In der Sackgasse steht nach seiner Auffassung auch das gegenwärtige System von Abgaben und Umlagen. Es brauche hier einen „großen Befreiungsschlag“ und die Entwicklung neuer Ideen durch die Branche. Von der Politik, so der Agora-Chef, sei das angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl eher nicht zu erwarten.
Sichtbares Zeichen: Die beiden Spitzenpolitiker verteidigten die gerade erst erzielten Kompromisse zum Erneuerbare-Energien-Gesetz und anderen Regelungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sichtlich müde vor das Plenum trat, platzierte dabei einen deutlichen Seitenhieb in Richtung Erneuerbaren-Branche. Die „regelmäßigen Kassandra-Rufe“ von deren Vertretern seien „absolut falsch“. Schließlich habe man die Ausbaukorridore in den vergangenen Jahren immer überschritten. Will heißen: Von der Einführung des Ausschreibungssystems erwartet sie keine Abbrüche.
Das sieht Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, wenig überraschend, ähnlich. Der Minister erschien gut gelaunt vor den mehr als 1.000 Teilnehmern und machte in punkto Seitenhiebe da weiter, wo seine Chefin aufgehört hatte. Nach der EEG-Novelle 2014 habe es die „gleichen Überschriften“ vom drohenden Ende der Energiewende gegeben: „Nichts davon ist passiert“. Er habe inzwischen allerdings „gelernt, dass es gute und schlechte Lobbyisten gibt“. Die „guten“ vertreten die erneuerbaren Energien, die „schlechten“ die fossilen Energien. „In Wahrheit wollen beide das Gleiche: Das Geld anderer Leute“, ätzte der Minister. Eine weitere Watsche verteilte er in Richtung Windbranche, indem er die hohen Pachten kritisierte, die das bisherige EEG mit festen und kalkulierbaren Einspeisetarifen ermöglichte. „Unser Job ist nicht, weitgehend leistungslose Einkommen zu maximieren“, so Gabriel.
Mehr Verständnis bringt der Wirtschaftsminister dagegen für die Kohle-Kumpel und seine Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg auf. Gesprächsrunden zum Kohle-Ausstieg erteilte er eine Absage. Gabriel will stattdessen eine Kommission zum künftigen Wirtschaftswachstum und Modernisierung der Wirtschaft einberufen. Da kann dann auch über Kohle geredet werden. Der Minister bleibt seiner Linie treu: Die offene Konfrontation mit der Kohle-Lobby und starken Gewerkschaften wie der IGBCE meidet er. Und beim BDEW hat er jetzt einen vertrauten Gesprächspartner. Kapferer kennt er aus der Zusammenarbeit im Bundeswirtschaftsministerium. Mit Vorgängerin Hildegard Müller hat es dagegen häufiger gekracht. „Frau Müller“, begrüßte Gabriel die Ex-Präsidentin ganz offen. „Wir beiden Streithähne!“ Das hat sich nun ausgemüllert, zumindest in Sachen BDEW.
(Hanne May)