Die Welt der Produzenten von Polysilizium für Solarzellen scheint paradox. Trotz sinkender Preise und teilweise still gelegten Fertigungsstandorten erwarten die Marktforscher von NPD Solarbuzz in San Jose, Kalifornien, für die nächsten Jahre steigende Produktionskapazitäten. Bis 2016 prognostizieren sie eine Verdopplung der jährlichen Kapazitäten zur Herstellung des Rohmaterials für Solarzellen.
Kapazitäten übersteigen Nachfrage weiter um das Doppelte
Die Möglichkeiten zur Produktion wird wie bisher mehr als das Doppelte der Nachfrage auf den internationalen Märkten betragen. Für 2013 erwarten die Analysten eine Produktionskapazität von etwa 70 Gigawatt. Die Nachfrage wird bei etwa 30 Gigawatt liegen. Zwar wird diese bis 2016 auf über 50 Gigawatt steigen, doch im gleichen Zeitraum steigt auch die Produktionskapazität auf etwa 135 Gigawatt. Dabei haben die Unternehmen jetzt schon erhebliche Probleme. So hat unter anderem der niedrige Preis für Polysilizium dem Münchner Chemiekonzern Wacker im vergangenen Jahr die Bilanz verhagelt. Das Geschäft lief so schlecht, dass Wacker zwischen Anfang Oktober 2012 und Mitte Februar 2013 seine Mitarbeiter in der Polysiliziumproduktion in Burghausen in Kurzarbeit geschickt hat.
Energieverbrauch ist Kostentreiber
Die Kostentreiber in der Polysiliziumproduktion sind die Rohmaterialien sowie die Lohnkosten. Aber vor allem der hohe Energieverbrauch treiben die Produktionskosten in die Höhe. Deshalb stellen die Marktführer derzeit auch auf neue Verfahren wie die Hydrochlorierung um, um den Produktionsprozess zu optimieren und den Ausstoß zu maximieren. Als einer der ersten hat Schmid mit Sitz in Freudenstadt das Verfahren in einem neuen Werk im brandenburgischen Schwarze Pumpe angewendet, bei dem metallisches Silizium zusammen mit Wasserstoff und Siliziumtetrachlorid zu Trichlorsilan reagiert. In einem weiteren Prozessschritt wird das Trichlorsilan zu Monosilan disproportioniert. In einem chemischen Gasphasenabscheidungsverfahren entsteht ein Polisiliziumingot. Der Vorteil dieses Verfahrens ist der vergleichsweise niedrige Druck von nur zehn bar. Bei älteren Verfahren zur Polysiliziumproduktion erreichte man ein gutes Produktionsvolumen erst bei etwa 50 bar. Der niedrige Druck führt dazu, dass erheblich weniger Energie zur Herstellung von Polysilizium eingesetzt werden muss.
Vertikale Integrationsstrategien
Als zweiten Grund für die prognostizierte Erhöhung der weltweiten Polysiliziumproduktion nennen die amerikanischen Marktforscher die Errichtung von neuen Produktionsstätten als Teil der vertikalen Integrationsstrategien der Hersteller. „Ihr Ziel ist es, den Preisverfall aufzuhalten, indem sie einen größeren Prozentsatz des Polysiliziumbedarfs selbst herstellen“, erklärt Charles Annis, Analyst bei NPD Solarbuzz. „Aber der Hauptgrund, dass die Polysiliziumkapazität weiter gesteigert wird, ist die lange Vorlaufzeit beim Bau der Fabriken und die Schwierigkeit, die einmal getätigten Investitionen zu stoppen.“ Mindestens zwei bis drei Jahre veranschlagen die Produzenten für den Bau eines Werkes. Dazu kommt noch wenigstens ein Jahr Planungszeit. „Tatsächlich ist es politisch und finanziell schwierig, ein solches Projekt aufzugeben, wenn das Grundstück schon gekauft ist, der Bau begonnen hat und die Ausrüstung bereits bestellt und angeliefert ist“, bestätigt Charles Annis.
Hoffnung auf steigende Preise
„Es bleibt aber noch unklar, ob und wann diese ganze neue Polysiliziumkapazität realisiert wird“, gibt sich Annis trotzdem vorsichtig. Tatsächlich haben Wacker und auch der japanische Hersteller Tokuyama schon bekannt gegeben, dass sie zwar die neuen Werke bauen werden, sie aber erst in Betrieb nehmen, wenn die Marktbedingungen wieder besser werden. Ob und wann das der Fall sein wird, ist bisher noch unklar. Zwar hat Henning Wicht vom Marktforschungsinstitut IHS iSupply im vergangenen Jahr prognostiziert, dass der Abwärtstrend bei den Polysiliziumpreisen im nächsten Jahr gestoppt wird und die Nachfrage wieder steigt, doch bleibt zumindest die Unsicherheit, was passiert, wenn die Europäische Union Strafzölle auf chinesische Solarmodule erhebt. Das könnte nicht nur für die Installateure gefährlich werden, sondern auch die Rohstofflieferanten in Mitleidenschaft ziehen. Außerdem haben die Polysiliziumhersteller Angst, dass ihnen der lukrative chinesische Markt wegbrechen könnte, wenn Peking im Gegenzug ausländische Rohstoffe mit Strafzöllen belegt. Eine entsprechende Klage der Konkurrenz im Reich der Mitte ist beim Handelsministerium in Peking schon eingegangen. (Sven Ullrich)