Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Energienetz wird durch Simulation gesteuert

Eine Stärke der Energiewende ist die dezentrale Versorgung von Gebäuden und ganzen Quartieren. Doch wie dezentral sollte diese Versorgung vor allem innerhalb von Quartieren sein? Sollte sich dort jedes Gebäude möglichst selbst mit Energie versorgen oder ist der Aufbau einer zentralen Versorgung innerhalb des Quartiers die wirtschaftlich und anlagentechnisch bessere Lösung? Unter anderem diese Fragen standen bei der Entwicklung eines klimaneutralen Stadtquartiers im nordrhein-westfälischen Nettetal auf der Tagesordnung. Für das neue Quartier planen und errichten die Stadtwerke Nettetal ein zum Teil autarkes Versorgungsnetz. Das Herzstück sind Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Gebäude. Sie versorgen nicht nur die einzelnen Wohneinheiten mit Strom, sondern liefern auch die Energie für Wärmepumpen.

Teilautarkes Mikronetz im Wohnquartier

Diese bringen die Wärme über ein kaltes Nahwärmenetz in die einzelnen Haushalte. Überschüssiger Solarstrom wird in einem Quartierspeicher zwischengelagert und als Puffer beim Laden von Elektrofahrzeugen zur Verfügung gestellt, um den Netzanschluss zu entlasten. Insgesamt entsteht ein teilautarkes Mikronetz, das Häuser, Erzeugungsanlagen und Mobilitätsstationen miteinander verbindet. Die Stadtwerke Nettetal vertreiben die Energie über ein Contractingkonzept an die Bewohner des neuen Quartiers. Dadurch bleibt die gesamte Anlagentechnik in der Verantwortung des Versorgers und die Haushalte müssen sich nicht selbst um ihre Energieversorgung kümmern.

Dezentrales Konzept im Gewerbe

Ein anderes Konzept verfolgt der Immobilienmanager Green Rock in Oberbayern. Dort entsteht ein Gewerbegebiet, das möglichst zu einem hohen Anteil mit Solarstrom versorgt werden soll, der vor Ort produziert wird. Grundlage sind hocheffiziente Gebäude, ausgestattet mit großflächigen Photovoltaikanlagen. Um eine möglichst komplett strombasierte Wärmeversorgung zu erreichen, wird ein dezentrales Wärmekonzept mit Luftwärmepumpen in jedem Gebäude umgesetzt. Dabei wird der üppige Solarstromüberschuss im Sommer in Form von Wasserstoff eingelagert. Dieser kann dann im Winter in Brennstoffzellen wieder rückverstromt oder für die Mobilität genutzt werden. Zur Wahl stand unter anderem noch ein Nahwärmenetz. Das dezentrale Konzept hat sich aber durchgesetzt. Der Grund: niedrigere Investitionskosten und kürzere Amortisationszeiten sowie bessere Renditen. Das dezentrale Szenario hat zudem den Vorteil, dass sich die einzelnen Liegenschaften besser zeitlich versetzt vermarkten lassen.

Geschäftsmodelle mit betrachten

Aus diesen beiden Beispielen ließe sich schlussfolgern, dass in Wohnquartieren ein Versorgungsnetz die bessere Lösung ist, während Gewerbequartiere mehr auf eine gebäudeautarke Versorgung setzen sollten. Dies ist mit Blick auf den Energieverbrauch durchaus begründbar. Denn während in Wohnquartieren die Bewohner vor allem dann Energie verbrauchen, wenn die Photovoltaikanlagen weniger Strom produzieren, passt die Lastkurve im Gewerbe mit der Ertragskurve der Solargeneratoren auf den Gebäudedächern gut zusammen. „Doch so pauschal kann man das nicht sagen“, erklärt Karsten Schmidt, Geschäftsführer von Ampeers Energy.

Das Unternehmen hat sowohl das Konzept in Nettetal als auch in Nordbayern geplant. Ob ein zentrales Quartiersnetz oder eine separate Energieversorgung der einzelnen Gebäude die bessere Lösung sei, hänge von den Gegebenheiten vor Ort ab und davon, welche Ziele der Immobilieneigentümer verfolgt, erklärt Karsten Schmidt. „Denn wir schauen uns die Konzepte nicht nur von der technischen Seite an, sondern werfen auch einen Blick auf die Investitionskosten und auf die Betriebskostenseite.“ Hier geht es vor allem um die möglichen Geschäftsmodelle, mit denen der Immobilieneigentümer die Mehrkosten bei der Sanierung oder beim Neubau wieder amortisieren kann.

Bedarf im Quartier decken

ßen vor allem natürlich die Erzeugungs- und die Lastprofile auf Strom- und Wärmeseite ein. Um die passende Energieversorgung sowohl mit Blick auf die Versorgungssicherheit als auch auf die mögliche Refinanzierung zu sichern, bauen die Entwickler bei Ampeers Energy zunächst einen digitalen Zwilling auf. „Wir modellieren dabei die Verbrauchs- und die Erzeugungsseite“, beschreibt Karsten Schmidt die Vorgehensweise. „Wir simulieren dann die verschiedenen anlagentechnischen Konzepte, die geeignet sind, die Versorgung zu übernehmen.“ Dabei schauen sich die Entwickler das gesamte Jahr an. „Wir zerlegen das Jahr in 8.760 Stunden und schauen uns für jede dieser Stunden an, wie das Anlagenkonzept jeweils geeignet ist, um den Bedarf im Quartier oder im Gebäude zu decken“, erklärt Schmidt. Bei Sanierungen ist das noch einfacher als im Neubau. Denn bei Bestandsbauten sind die Verbrauchsprofile weitgehend bekannt.

Komplettes Konzept simuliert

Beim Neubau hingegen kalkuliert Ampeers Energy mit einem Normjahr, das beispielsweise die gängigen Witterungsverhältnisse in der Region oder das Standardlastprofil eines Haushaltskunden in der Umgebung abbildet, in der das Quartier entsteht. „Aus dieser Simulation entwickeln wir dann ein ganzheitliches Geschäftsmodell. Dabei schauen wir uns die Investitionskosten an, die mit der jeweiligen Anlagenkonfiguration verbunden sind, wir schauen uns die Betriebskosten, aber auch die Erlöspotenziale auf Basis der gesamten Energieflüsse an“, erklärt Schmidt. Der Immobilieneigentümer oder Bauherr bekommt dann als Simulationsergebnis ein komplettes technisches und wirtschaftliches Konzept, das nicht mehr wie bisher auf kategorisierten Gebäudeprofilen, sondern auf tatsächlichen Energieflüssen basiert. Dadurch kann Ampeers Energy ein solches Quartier näher am realen Betrieb auslegen, als es mit Konzepten der Fall ist, die nach bisherigen Normen erarbeitet wurden. „Auf Basis der Simulation kann der Immobilieneigentümer dann eine sehr präzise Entscheidung über seine Investition treffen“, betont der Ampeers-Energy-Chef.

Richtig priorisieren

Wichtig dabei sind immer die Prämissen des Eigentümers der Immobilien, vor allem was die dahinterliegenden Geschäftsmodelle betrifft. Karsten Schmidt nennt hier unter anderem Mieterstrom, mit dem zusätzliche Erlöse generiert werden können. Damit kommt eine Refinanzierungsquelle hinzu, die in die Simulation miteinfließt. So ist es durchaus möglich, das gesamte Energiekonzept anhand von Erlöspotenzialen zu optimieren. Wenn der Bewohner nicht zu Hause ist, wird mit dem überschüssigen Solarstrom die Wärmepumpe betrieben, statt den Strom ins Verteilnetz einzuspeisen. Wenn der Bewohner aber zu Hause ist, wird der Strom in Form von Mieter- oder Ladestrom genutzt, die höherwertig sind. Ist eine Ladesäule installiert, gibt es keine Regularien hinsichtlich des Strompreises wie beim Mieterstrom. Dann kann es durchaus sein, dass die Ladesäule priorisiert wird. Diese energiewirtschaftlich nur zweitbeste Lösung kann aber durch die Prämissen des Immobilieneigentümers verändert werden. Wenn dieser sein Quartier attraktiv für Mieter halten will, wäre die Priorisierung der Mieterstromversorgung sogar die wirtschaftlich bessere Lösung. Dies kann Ampeers Energy mittels der Simulation in das Konzept einarbeiten.

Hybride Konzepte für den Übergang

Bei Quartieren ist die Herausforderung, dass sie nicht aus dem Boden gestampft werden. Sie entwickeln sich Gebäude für Gebäude. Deshalb passt Ampeers Energy das Energiekonzept während der Entwicklung des Quartiers immer wieder an. Wenn in der Endausbaustufe beispielsweise drei Wärmepumpen geplant, aber in einer Zwischenstufe nur zwei davon installiert sind, weil sich die dritte noch nicht rechnet, wird durchaus noch ein elektrischer Heizstab in den Pufferspeicher gesetzt, um zwischenzeitlich die Spitzenlasten abzudecken, bis die dritte Wärmepumpe installiert ist. Auch bei der Sanierung von Quartieren geht Ampeers Energy schrittweise vor. Dann sind übergangsweise auch hybride Konzepte aus konventioneller und regenerativer Anlagentechnik möglich. „Dann bekommen wir die erneuerbaren Energien schneller in das Quartier, als wenn erst alle Gebäude gedämmt werden und danach die neue Anlagetechnik installiert wird“, begründet Schmidt den Ansatz. Für den Immobilieneigentümer hat dies einen Vorteil: Er bekommt die Sicherheit, dass die Nutzung der erneuerbaren Energien genauso sicher funktioniert wie vorher die konventionellen Anlagen.