Nicole Weinhold
Das wäre praktisch ein zweiter Güterbahnverkehr - nur auf der Autobahn: Mit einem Oberleitungs-Basisnetz von 3.200 Kilometern Länge für Lkw auf intensiv befahrenen deutschen Autobahnabschnitten könnten ab 2030 jährlich bis zu 9,2 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Das wären immerhin 20 Prozent der Gesamtemissionen des deutschen Straßengüterverkehrs. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Ifeu-Studie. An dem Verbundvorhaben wirkten neben dem Ifeu die PTV Transport Consult, das Fraunhofer IEE sowie das Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität mit.
Würde die Infrastruktur künftig auch durch internationalen Lkw-Verkehr genutzt, ließen sich die CO2-Emissionen weiter senken. Ein Oberleitungs-Lkw (O-Lkw) kann im Jahr 2030 die CO2-Emissionen gegenüber einem Diesel-Lkw fast halbieren, Fahrzeug- und Infrastrukturherstellung und Stromerzeugung mit eingerechnet. Da die Schiene genau wie die Autobahnen schon jetzt überlastet ist, wäre eine schnelle Verlagerung von Gütern im großen Stil auf die Schiene kaum machbar. Zusätzliche Schienennetze in gewaltigem Umfang müssten verlegt werden. Neue Infrastruktur bekommt die Bahn ohnehin, aber das wird lange nicht ausreichen für eine Explosion des Bahngüterverkehrs. Daher ist die Oberleitung eine interessante Option.
Wirtschaftlich tragfähig?
Eine Kernfrage des Vorhabens war, ob sich ein O-Lkw-System mittelfristig wirtschaftlich tragen kann. Um dies konservativ abzuschätzen, wurden für die Berechnung möglicher Markthochläufe von O-Lkw nur diejenigen Transporte betrachtet, die als Pendelverkehre organisiert werden können und daher besonders geeignet sind.
Die notwendigen Mittel für ein Oberleitungs-Basisnetz von 3.200 Kilometern schätzen die Autorinnen und Autoren auf insgesamt etwa sieben Milliarden Euro, die über etwa zehn Jahre investiert werden müssten. Dieser Gesamtbetrag entspricht in etwa den jährlichen Einnahmen aus der Lkw-Maut und weniger als einem Drittel dessen, was NRW jetzt als Rettungsschirm für seine Unternehmen im Zuge der Coronakrise locker machen will.
„Unsere Rechnungen zeigen, dass nach etwa 10 bis 15 Jahren eine Gegenfinanzierung des Systems durch die eingesparten Betriebskosten der Nutzer möglich ist. Das System kann sich dann finanziell selbst tragen“, so Julius Jöhrens, Studienleiter am Ifeu ̶ Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg.
Langfristige Planbarkeit
Bei den Berechnungen haben die Expertinnen und Experten des Ifeu unterstellt, dass die Lkw-Betreiber wirtschaftlich rational handeln und entsprechende O-Lkw am Markt sind. „Dafür müssen die Flottenbetreiber und die Hersteller sich auf langfristige Vorgaben der Politik verlassen können“, hebt Julius Jöhrens hervor.
Zentral ist dabei ein verlässlicher Aufbau der Infrastruktur sowie gezielte finanzielle Anreize in der Startphase. Das Ifeu hat die Auswirkungen verschiedener Förderinstrumente untersucht. Finanzielle Entlastungen wie eine Kaufprämie oder eine Befreiung von der Lkw-Maut würden beim Start helfen, dann aber mit einer steigenden Anzahl von Fahrzeugen sehr teuer werden und sollten daher nur befristet eingesetzt werden, so Jöhrens. "Eine ambitionierte CO2-Bepreisung ist das sinnvollste Instrument für eine nachhaltige und für den Staat kostenneutrale Antriebswende.“
Keine batteriebedingt CO2-intensive Fahrzeugherstellung
O-Lkw können die hohe Energieeffizienz von Elektrofahrzeugen erreichen, ohne deren typischen Nachteil einer batteriebedingt CO2-intensiven Fahrzeugherstellung in Kauf nehmen müssen. Der vergleichsweise geringe Materialaufwand wirkt sich auch auf die Kostenbilanz aus – ein Hybrid-Lkw mit Stromabnehmer rechnet sich im Jahr 2030 bereits dann, wenn lediglich ein Drittel der jeweiligen Strecke unter Oberleitung zurückgelegt wird. Das macht ihn auch gegenüber anderen CO2-Minderungsoptionen attraktiv.
Ausbau zwischen Ballungszentren beginnen
„Ein O-Lkw-System spielt seine Kostenvorteile am schnellsten bei einer guten Auslastung aus. Darum sind die hoch frequentierten Strecken zwischen den Ballungszentren wie Hamburg, Berlin, Rhein-Main-Gebiet und Ruhrgebiet der beste Ausgangspunkt“, sagt Julius Jöhrens. Für wenig frequentierte Strecken seien voraussichtlich Antriebe günstiger, die nicht auf eine so genannte streckengebundene Energieinfrastruktur angewiesen seien. Hier könnten dann beispielsweise Brennstoffzellenantriebe zum Einsatz kommen.
Langfristig erwarten die Experten daher einen Technologiemix im europäischen Güter-Fernverkehr. „Wir müssen von der Vorstellung wegkommen, dass es bei künftigen Lkw nur noch ein Antriebssystem geben wird. Sicher ist: Der O-Lkw stellt für einen bedeutenden Teil des schweren Straßengüterverkehrs eine ökonomisch wie ökologisch effiziente Lösung dar. Dieses Potenzial sollte man nutzen.“
Ziel der Bundesregierung ist es, bis 2030 etwa ein Drittel des Güterverkehrs auf elektrische oder grüne Kraftstoffe umzustellen. Das Ifeu hat unter anderem zusammen mit Logistik-Experten untersucht, wie der Ausbau von Oberleitungen an den hiesigen Autobahnen am besten erfolgen kann und wie die Transport-Unternehmen darauf reagieren. Betrachtet wurde der Zeitraum von zehn Jahren nach einer (hypothetischen) politischen Entscheidung für die neue Technik im Jahr 2020.