Werner Diwald,Vorsitzender des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verbands (DWV) , hat sich in einem Offenen Brief an die Bundesregierung gewandt.DWV
Werner Diwald, Vorsitzender des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verbands (DWV) erklärt, warum es sinnvoll wäre, die alten Kohlereviere für die Ansiedelung der Wasserstoffindustrie zu nutzen: "Speziell das in den Regionen vorhandene Elektro- und Maschinenbau Know-how wird benötigt, um effizient Wasserstofftechnologien herstellen zu können." Darüber hinaus würden die Kohleregionen aber auch Wissen über die Energiewirtschaft aufweisen. "Dieses Verständnis ist wichtig, um die künftigen Anforderungen an die Wasserstoffenergiewirtschaft richtig zu verstehen, daraus entsprechende Strategien abzuleiten und diese unternehmerisch effektiv umzusetzen."
Diwald stellt fest, dass diese Strategie nicht nur Arbeitsplätze im Bereich der Brennstoffzellen verspreche, sondern auch bei den etablierten Zulieferindustrien der Automobilbranche Arbeitsplätze sichern könne.
In dem Offenen Brief heißt es, Wasserstofftechnologien seien der Erfolgsschlüssel der Energiewende. Mit dem Energieträger Wasserstoff werde eine versorgungssichere, nachhaltige und wirtschaftliche Energiewende in allen Sektoren möglich sein. Der Verband fordert die Bundesregierung auf, sich aktiv für die Ansiedlung einer Brennstoffzellen- und Elektrolysefertigung sowie einer sektorenübergreifenden Wasserstoffwirtschaft in Deutschland einzusetzen und die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. "Mit diesem Schritt könnten bereits bis 2030 über 70.000 Arbeitsplätze neu geschaffen werden und bis 2050 würde sich ein Marktpotenzial von weit über 40 Milliarden (Mrd.) Euro mit über 150.000 Arbeitsplätzen ergeben."
Strukturwandel in den Kohlerevieren
Weiter heißt es in dem Brief, von den geplanten drastischen Einschnitten in die Kohleverstromung seien rund 21.000 Arbeitnehmer in den vier Revieren Rheinland, Lausitz, Mitteldeutschland und Helmstedt direkt betroffen. Die Braunkohle-Industrie gehe einschließlich der indirekten Beschäftigung von rund 70.000 Arbeitsplätzen aus. "Alleine für den Aufbau der erforderlichen Elektrolysekapazitäten von rund fünf Gigawatt pro Jahr in Deutschland sind über 70.000 Beschäftigte notwendig. Diese könnten somit den Wegfall der Arbeitsplätze in den Kohlerevieren kompensieren." In dem Offenen Brief wird darauf hingewiesen, dass sich die Bundesregierung nicht nur einseitig auf die Unterstützung von Batteriefabriken konzentrieren dürfe.
Diwald weist in dem Brief darauf hin, dass im Mobilitätssektor eine langfristige Strategie zur Vermeidung von Strukturbrüchen gebraucht werde. Er warnt: "Es gilt jetzt, den noch vorhandenen Wissensvorsprung im Bereich der Wasserstofftechnologien in Europa und insbesondere Deutschland zur breiten Markteinführung zu nutzen, ansonsten steht Europa in 5 bis 7 Jahren vor genau dem gleichen Problem wie heute im Fall der Batterie. In der Batteriefertigung hat Europa den Wettlauf bereits verloren, weil sich China frühzeitig strategisch auf diese Technologie ausgerichtet hat und bereits heute die Technologie- und Rohstoffführerschaft im Rahmen seines Made in China 2025 innehat."
Brennstoffzellenmobilität für Reichweite, Langstrecke und LKW
Zitiert wird eine Umfrage der KPMG, in der über 65 Prozent der befragten Automanager in der Brennstoffzelle klare Vorteile gegenüber der batterieelektrischen Mobilität sehen. Die Gründe: hohe Reichweite von 500 bis 800 Kilometer bei kurzer Betankungszeit von nur 3 bis 4 Minuten. Außerdem: das Laden der Batterien. "Mit der zunehmenden Anzahl von batterieelektrischen Fahrzeugen wird die Bereitstellung der erforderlichen Ladeinfrastruktur in den Städten nahezu unlösbar", heißt es. "Eine Studie des Forschungszentrums Jülich im Auftrag von H2Mobility, dem deutschen Konsortium führender Industrieunternehmen, hat ermittelt, dass die Wasserstoffinfrastruktur langfristig um über zehn Mrd. Euro günstiger ist als eine reine Stromladeinfrastruktur." Wasserstoff sei dabei nicht nur der Treibstoff der Zukunft für PKWs, sondern insbesondere auch für Fahrzeuge mit hohen Tagesfahrleistungen, wie Fahrzeuge im Carsharing, Verteiler-Fahrzeuge, Schwerlast-LKW, Busse (besonders ÖPNV-Busse) und Nahverkehrszüge. "Im Schwerlastverkehr lassen sich die Klimaziele für 2030 ohne erneuerbaren Wasserstoff und Brennstoffzellen-LKW kosteneffizient nicht mehr einhalten."
Energie effizient transportieren und speichern
"Die im Jahr 2050 nahezu 100prozentige Erzeugung von Strom mit Wind und Sonne macht die großenergetische Speicherung von Strom zur Aufrechterhaltung der energetischen Versorgungssicherheit erforderlich. Gleichzeitig muss die Energie von den Erzeugungs- in die Verbrauchszentren transportiert werden. Bereits heute zeichnet sich das damit verbundene Problem ab – 2017 sind den Stromkunden über eine Mrd. Euro an Zusatzkosten aufgrund fehlender Stromtrassen entstanden. Dieses Problem wird sich mit dem für die Klimaziele notwendigen Zubau erneuerbarer Energieerzeugung weiter verstärken, insbesondere wenn Deutschland erneuerbaren Strom importieren möchte. Großvolumige und langfristige Speicherung von erneuerbarer Energie sowie deren effizienter Transport über große Distanzen wird nur mit dem Energieträger Wasserstoff möglich sein, darüber sind sich nahezu alle Experten einig. So kann ein Hochspannungsstromsystem mit 380 kV durchschnittlich 2.000 MW übertragen, wohingegen eine Gaspipeline problemlos 25.000 MW übertragen kann", heißt es weiter. Und die für den Transport aber auch die Speicherung erforderliche Gasinfrastruktur sei bereits in großen Teilen vorhanden.
Für die strategische Unterstützung der Entwicklung der Wasserstoffindustrie gebe es aber nicht nur technische, sondern auch eindeutige volkswirtschaftliche Gründe. Für die Erzeugung des benötigten Wasserstoffs seien große Mengen an Elektrolyseuren erforderlich. Jüngste Studien führender Institutionen, wie die Dena, NOW, FhG-ISE oder Ines kämen zu dem Ergebnis, dass bis 2050 bis zu 350 GW Elektrolyseleistung in Deutschland aufgebaut werden müssen. Das entspreche einem wirtschaftlichen Marktpotenzial von über 300 Mrd. Euro.
"Gleichzeitig dienen diese Elektrolyseure aber auch zur Stabilisierung des Stromsystems. Im Ergebnis hat ein kombiniertes Strom- und Wasserstoffsystem erhebliche volkswirtschaftliche Vorteilen. Die Dena hat erst kürzlich ermittelt, dass die Systemkosten einer intelligent integrierten Strom-Wasserstoffenergiewirtschaft über 500 Mrd. Euro günstiger ist als die reine Stromwirtschaft."
Elektromobilität ohne risikoreiche Rohstoffabhängigkeit
Der Wasserstoffverband weist darauf hin, dass die Fertigung von Elektrolyseuren und Brennstoffzellen erheblich weniger auf seltene und kostenintensive Rohstoffe angewiesen sei als die Herstellung von Batterien. Der Rohstoffeinsatz bei einem Brennstoffzellenantrieb liegt im Vergleich zum Endprodukt ungefähr auf dem gleichen Niveau, wie bei der Herstellung von Verbrennungsmotoren. Deutsche Batteriezellenfabriken wären, bezogen auf das Gesamtprodukt, aber zu über 70 Prozent seltene Rohstoffe aus politisch höchst instabilen Ländern mit äußerst fragwürdigen Arbeitsbedingungen angewiesen. Eine Vielzahl dieser Rohstoffquellen seiend zudem bereits durch chinesische Unternehmen gesichert worden, so dass eine dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit deutscher bzw. europäischer Batteriefertigungsfabriken sehr fraglich sein dürfte.
Weiter heißt es: "Eine McKinsey Studie – initiiert vom Hydrogen Council, einer Vertretung führender globaler Industrieunternehmen - hat ergeben, dass im Geschäftsfeld Wasserstofftechnik weltweit bis 2050 über 30 Mio. neue Arbeitsplätze entstehen werden. Das enorme Potential ergibt sich an dem wachsenden Bedarf an Langzeitspeichern aber auch an dem Bedarf an Brennstoffzellen für eine emissionsfreie Mobilität. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass die Produktion von Brennstoffzellen und Elektrolyseuren eine um bis zu 50% höhere lokale Wertschöpfung aufweist als bei der Herstellung von Batterien. So kommen im Gegensatz zu einem batterieelektrischen Fahrzeug mit ca. 200 Hauptgruppenbauteilen in einem Brennstoffzellenfahrzeug annähernd ähnlich viele Baugruppen wie bei einem heutigen Fahrzeug mit Verbrennungsmotor zum Einsatz."
Damit seien die Chancen zur Schaffung dauerhafter und qualifizierter Arbeitsplätze in der Wasserstoffindustrie erheblich höher als in der Batteriefertigung. Deutschland sollte nichts unversucht lassen die optimalen Voraussetzungen für die Ansiedlung vieler dieser Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen.
Gemeinsam mit Frankreich den Grundstein für eine europäische Wasserstoffindustrie legen
Die Gestaltung der industriewirtschaftlichen Zukunft unter den Klimazielvorgaben könne und dürfe nicht allein durch die Industrie geleistet werden, die Politik müsse hier ihrer Verantwortung gerecht werden. "Ein Verweis auf das Beispiel der Luftfahrtindustrie zeigt, welche Möglichkeiten sich aus einer aktiven industriepolitischen Gestaltung ergeben können. Die Politik hatte früh den wachsenden Bedarf an Flugzeugen erkannt und auf die Gründung eines europäischen Flugzeugbauers gedrängt, um der US-Luftfahrtindustrie etwas entgegenzusetzen. Auch damals sind umfangreiche Mittel der beteiligten Staaten geflossen, um Airbus zum Fliegen zu bringen. Dieses Geld hat sich zweifelsfrei vielfach ausgezahlt. Die im vorstehenden Absatz genannten Zahlen sollten der Bundesregierung Anlass genug sein eine neue Initiative dieser Dimension, eine „H2Industrie“, eventuell sogar gemeinsam mit Frankreich, zu gründen. Auch Frankreich steht insbesondere im Automobilsektor vor ähnlichen Herausforderungen und Präsident Macron hat gemeinsam mit Umweltminister Hulot jüngst ein 100 Mio. Euro Förderprogramm für Wasserstoff in einem nationalen Strategieplan zur Verfügung gestellt. So beabsichtigt Frankreich im Bereich Mobilität bis 2023 über 5.000 leichte Nutzfahrzeuge und 200 Fahrzeuge aus dem Schwerlastbereich (LKW, Busse, Schiffe, Züge) auf Frankreichs Straßen zu bringen. Bis 2028 sollen es 20.000-50.000 bzw. 800 bis 2.000 Fahrzeuge sein. Aber Frankreich geht noch weiter.
Für grünen Schienenverkehr soll bis Ende des ersten Halbjahrs 2018 eine parlamentarische Kommission berufen werden, um auszuarbeiten, wie Loks mit hohen Emissionen durch solche mit sauberer Technologie ersetzt werden können. Außerdem ist die Schaffung eines internationalen Zentrums zur Zertifizierung von Hochdruckwasserstoffbauteilen im Schienen-, Luftfahrt-, Seeschifffahrts- und Binnenschifffahrtsbereich geplant. Auch die Perspektiven für die französische Wasserstoff-Wirtschaft beziffert Minister Hulot in seinem Vorstoß. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens McKinsey kann die Branche in 2030 mit einem Jahresumsatz von etwa 8,5 Milliarden Euro rechnen, 40 Milliarden könnten es 2050 sein. Das Exportpotential wird – ebenfalls bis 2030 – mit 6,5 Milliarden Euro beziffert. Minister Hulot rechnet auch damit, dass in der Branche bis 2030 mehr als 40.000 Arbeitsplätze entstehen (150.000 bis 2050). Es liegt somit nahe gemeinsam mit Frankreich eine europäische Wasserstoffstrategie zu entwickeln und konsequent umzusetzen."
Der Verband fordert daher die gezielte Förderung für die Ansiedlung von Brennstoffzellen- und Elektrolysefabriken in den früheren Kohlerevieren. "Wir fordern die Bundesregierung auf sich in Brüssel für die europaweite Brennstoffzellenmobilität und den Bau der dafür erforderlichen Brennstoffzellen und Elektrolyseure in europäischen Fabriken einsetzen. Dieses verspricht nicht nur Arbeitsplätze im Bereich der Brennstoffzellen, sondern sichert auch bei den etablierten Zulieferindustrien der Automobilbranche Arbeitsplätze." heißt es abschließend in dem Offenen Brief.
(Nicole Weinhold)