Was muss ein Last- oder Lademanagement für Unternehmen können?
Bernhard Beck: Es muss als verschiebbare Last die immer größer werdenden Schwankungen der Stromerzeugung aus Photovoltaik und Windkraft ausgleichen, vor allem, um das Stromnetz zu entlasten. Gleichzeitig darf das Laden der Elektroautos keine neuen Lastspitzen erzeugen. Es muss aber auch variable Möglichkeiten des Ladens von Fahrzeugen im Unternehmen oder zu Hause zulassen – eichrechts- und steuerrechtskonform.
Es laden also nicht alle Elektroautos gleichzeitig, sondern nacheinander?
Das Verschieben der Ladungen reicht nicht aus. Wenn alle Mitarbeiter mit ihren Elektroautos morgens im Unternehmen ankommen und ihre Fahrzeuge anstecken, könnten diese auch nacheinander geladen werden. Dann sind aber oft schon gegen Mittag alle vollgeladen und fallen als flexible Last für den Nachmittag weg. Wir erzeugen also eine Lastkurve anstatt einer Rampe. Das Lademanagement muss also wissen, wann es welches Auto laden soll. Es muss das Laden als Last am Netz oder an der Solaranlage dorthin verschieben, wo genügend Strom vorhanden ist. Dazu braucht das Lademanagement aber detaillierte Informationen. Hier setzt die Plattform und vor allem die App von Libreo an.
Wie funktioniert die Plattform von Libreo genau?
Der Nutzer authentifiziert sich über die Libreo-App auf dem Smartphone und kann dann eingeben, bis wann er wie viel Strom in den Akkus benötigt. Er gibt uns also eine „Bestellung“ was er gerne hätte. Das System wiederum weiß, wann beispielsweise Solarstrom vom Firmendach oder preiswerter Strom im Netz vorhanden ist. Dann schiebt es die Ladung dorthin, wo es am besten passt, sodass am Ende die Anforderungen des Nutzers erfüllt werden und gleichzeitig der Verbrauch für das Laden variabel an die vorhandenen Strommengen so angepasst wird, dass die Ausgaben für den Strom minimiert werden.
Wie macht das die Plattform?
Die Plattform vollzieht eine Priorisierung im Rahmen der Netzanschlussleistung und der vorhandenen Energiemengen. Jeder Ladevorgang läuft über die Libreo-Cloud, wo alle Ladestationen integriert sind. Dort werden die Nutzeranforderungen mit den Stromdaten verglichen und die Ladesäulen entsprechend nutzerindividuell dynamisch gesteuert. Dabei muss die Plattform mehrere Dinge beachten.
Studie sieht 166.000 Fahrzeuge als geeignet für bidirektionales Laden
Welche?
Ein E-Auto kann erst ab sechs Ampere laden. Das sind bei drei Phasen vier Kilowatt Ladeleistung. Bis 16 Ampere ist der Regelbereich, dann sind die elf Kilowatt Ladeleistung erreicht. Wenn zehn Autos auf einem Firmenparkplatz bei sechs Ampere laden, liegt die gesamte angeforderte Leistung schlagartig bei 40 Kilowatt. Damit ist der Netzanschluss für ein typisches Bürogebäude von 50 oder 60 Kilowatt schon sehr hoch ausgelastet. Es können also bei vielen Elektroautos nicht alle Ladestationen gleichzeitig laden. Die Plattform muss genau entscheiden, welche Ladestation wann wie viel Strom bekommt und welche Nutzer wie priorisiert werden, sodass es die Nutzer im besten Fall nicht merken, dass die Ladung später begonnen hat oder zwischenzeitlich unterbrochen wurde.
Das entscheidet sich nach den Nutzeranforderungen?
Ja, und nach der Reihenfolge, in der die Fahrzeuge angesteckt werden. Die ersten Autos werden zuerst geladen. Wenn die nächsten Autos angesteckt werden, werden die Autos in Kaskade weitergeladen, sodass alle immer etwa auf dem gleichen Level der Batterieladung bleiben. Wird ein weiteres Auto angeschlossen, bekommt es aber zuerst Strom. Denn die anderen Autos innerhalb dieser rollierenden Kaskade haben schon eine Zeit lang Strom bekommen. Wird ein Auto angeschlossen, das schneller voll sein muss, wird dieses vorgezogen. Das alles wird an die vorhandenen Strommengen aus der Solaranlage und der freien Netzanschlussleistung angeglichen. Wenn beispielsweise viel Solarstrom vom Dach kommt, wird die Leistung entsprechend nach oben angepasst.
Ratgeber 2024: 222 Tipps für solaren Eigenstrom
Woher kommen die Daten für das System?
Der Strom kommt aus zwei Quellen: aus der Solaranlage auf dem Dach und aus dem Netz. Für die Nutzung des Solarstroms haben wir einen Optimierer in die Plattform integriert. Um den Solarstrom optimal zu nutzen, muss die Plattform wissen, wie viel davon wann vorhanden ist. Dazu nutzen wir Prognosen und wissen schon 36 Stunden vorher den Ertrag der Solaranlage. Dabei müssen wir das nicht exakt auf die Minute genau wissen. Uns reicht aus zu wissen, wie viel Erträge in der jeweiligen Region zu erwarten sind. Schließlich plant die Plattform nicht auf die Sekunde genau die Ladung. Ein Viertelstundentakt reicht hier völlig aus. Wir orientieren uns dabei am Energiemarkt.
Dann passt die Plattform die Ladeleistung an den Solarstrom an?
Ja. Der Nutzer der Plattform muss nur die Leistung der PV-Anlage und die Neigung und Ausrichtung der Module eingeben. Dies geht in die Ertragsberechnung ein, in Viertelstundenblöcken 36 Stunden im Voraus. Anhand dieser Prognose steuert die Plattform dann die rollierende Kaskade der Elektroautos, die an den Ladestationen des Unternehmens angeschlossen sind, und erzeugt für alle Nutzer dynamische Ladeprofile. Dabei bleibt immer ein Puffer, damit das gesamte System auch noch auf Schwankungen reagieren kann. Der Vorteil ist, dass das Laden, schon mehrere Stunden bevor der Nutzer das Fahrzeug wieder braucht, beginnen kann.
Bidirektional Laden und Firmenflotten elektrifizieren: Unser Spezial zur Elektromobilität
Woher nimmt die Plattform die Daten beim Laden von Netzstrom?
Wir können hier Netzlastprofile von den Netzbetreibern nutzen, wenn uns diese bereitgestellt werden, was aktuell aber leider nur bei wenigen der Fall ist. Wir können dabei viertelstündlich aufgelöst beliebige Zeitreihen einlesen, alles, was uns die Netzbetreiber liefern können. Derzeit verarbeiten wir aber Standardlastkurven und unternehmensspezifische Lastkurven. Wenn die Plattform diese Kurve kennt, kann sie die Ladungen so organisieren, dass es passt. Denn sie hat ja auch noch die Solarkurve dazu und weiß, welche Lasten im jeweiligen Unternehmen normalerweise gefahren werden. Wenn die Netzbetreiber uns noch Prognosedaten liefern können, wäre die Plattform in der Lage, das vorausschauend noch präziser auszuregeln und die Ladungen in die zu erwartende Netzlast hineinzulegen, sodass die Lastspitzen nicht erhöht werden.
Das Gespräch führte Sven Ullrich.
Wie es möglich ist, die einzelnen Strommengen zu bilanzieren und abzurechnen, lesen Sie im nächsten Teil unserer Interviewserie rund um den Aufbau von Ladeinfrastruktur in Unternehmen.