Die Wasserstoffwirtschaft erlebt momentan einen Aufschwung. Wasserstoff überzeugt als Medium zur Sektorkopplung, zur Netzentlastung, als neues Geschäftsmodell für Projektentwickler und Betreiber, um nur einige zu nennen. Es handelt sich um ein multifunktionales Grundprodukt mit großem Potenzial.
Norddeutsche Wasserstoffstategie
Auch die Politik steuert eine Wasserstoffwirtschaft an. Mit der Verabschiedung einer nationalen Wasserstoffstrategie am 10. Juni bekennt sich die Bundesregierung zur zentralen Bedeutung des Wasserstoffs für die Erreichung der Klimaziele. Und Anfang Juli hat die EU-Kommission eine Allianz für sauberen Wasserstoff ins Leben gerufen. Bis 2030 peilt sie eine Elektrolyseleistung von 40 Gigawatt an. Ein anderes Beispiel für die Bedeutung dieses Gases ist die norddeutsche Wasserstoffstrategie, welche zum Ziel hat 500 Megawatt (MW) Elektrolyseleistung bis 2025 und 5.000 MW Elektrolyseleistung bis 2030 zu installieren. Des Weiteren sollen zentrale Wasserstoff-Hubs errichtet werden. Wasserstoff bildet zudem die Basis für die Gewinnung weiterer synthetischer Kraftstoffe, wie beispielsweise synthetisches Methan CH4 (Synthetic Natural Gas – SNG). Dieses wird durch Kombination des Wasserstoffs mit Kohlendioxid gewonnen. SNG ist in seiner Zusammensetzung dem fossilen Erdgas sehr ähnlich und kann uneingeschränkt ins Erdgasnetz eingespeist werden. Durch Abkühlung des SNGs geht dieses in den flüssigen Zustand über, man erhält LNG (Liquefied Natural Gas). Das klimafreundliche LNG (grünes LNG) kann als Kraftstoff im Schwerlasttransport und in der Schifffahrt eingesetzt werden und dazu verhelfen diese Bereiche nachhaltig zu gestalten.
Jedoch sind Speichertechnologien unbedingt notwendig, da wir das Energiesystem klimafreundlich umstellen müssen. Zudem brauchen wir Medien für die Sektorkopplung und Alternativen zur Speicherung von elektrischer Energie im großen Maßstab. Außerdem ist es wichtig, nicht einspeisbaren Windstrom zwischenzuspeichern. Das wegen fehlender Netzkapazität verbreitete Abschalten von Windkraftanlagen, das sogenannte Einspeisemanagement - kurz Einsman ist der Energiewende nicht dienlich.
Was darf der Wasserstoff kosten?
Die Fragen sind: Wie können Projekte unter den künftigen Rahmenbedingungen entwickelt werden? Wie können zum Beispiel Projektentwickler und Betreiber von Regenerativanlagen an diesem Markt partizipieren? Was darf der Wasserstoff kosten?
In einem ersten Schritt wäre es sinnvoll, dass Projektentwickler und Betreiber von Regenerativanlagen ihre Kompetenz in den Bau und Betrieb von zum Beispiel Elektrolyseeinheiten einbringen oder erweitern. Durch Kooperationen mit Händlern, Vermarktern und Anwendern wie Autovermietern können maßgeschneidert langfristige Lieferverträge mit den passenden Konditionen abgeschlossen werden.
Die Wasserstoffgestehungskosten hängen stark von der Betriebsweise des Elektrolyseurs ab. Dieser kann netzentlastend etwa als Peak-Shaving eingesetzt werden oder mit dem Ziel der maximalen Wirtschaftlichkeit als Bandbezug. Eine weitere Frage die sich stellt: Wo steht der Elektrolyseur - an einem Windpark oder Netzknotenpunkt? Dies wirkt sich maßgeblich auf die Stromnebenkosten, wie Steuern und Umlagen, aus.
Um die Anforderung eines konkreten Projekts zu untersuchen und die Stellschrauben projektspezifisch zu analysieren, hat EnergieSynergie ein Wind-PV-H2-SNG-LNG-Wirtschaftlichkeitstool entwickelt. Anhand dieses Softwareprogramms kann die gesamte Wertschöpfungskette von der Elektrolyse über die Methanisierung hin zur Verflüssigung für einen beliebigen Standort automatisiert simuliert werden.
Berechnung der Gestehungskosten
Ein Schwerpunkt liegt auf der Berechnung der Gestehungskosten und der Analyse der Wirtschaftlichkeit. Möglichkeiten des Einsatzes des grünen Wasserstoffs, SNGs und LNGs in verschiedenen Sektoren können im Rahmen des Verbrauchermodells dargestellt werden. Zudem werden CO2-Einsparungen, die durch den Einsatz der klimafreundlichen Kraftstoffe als Alternative zu den fossilen Energieträgern erreicht werden, bestimmt.
Sensitivitäts- und Szenarioanalysen
Neben der Berechnung von Kennzahlen und ausgewählten Parametern des zu untersuchenden Status quo werden Sensitivitäts- und Szenarioanalysen durchgeführt. Ein weiterer Fokus gilt der Bewertung des Potenzials des Einsatzes nicht einspeisbarer elektrischer Energie zur Herstellung grüner Gase und LNG. Das Tool setzt sich aus sechs Grundmodellen zusammen: dem Windenergieanlagen (WEA)-Modell, dem Photovoltaik (PV)-Modell, dem Elektrolyseur-Modell, dem SNG-Modell und dem LNG-Modell. Zusätzlich kann ein Tank-Modell dazu geschaltet werden. Es baut auf zur Verfügung gestellten Einspeisedaten von Windenergie- und/oder Photovoltaikanlagen auf. Genutzt werden beispielsweise 10-Minuten-Scada-Daten aus Windenergieanlagen und/oder Photovoltaikanlagen als Ausgangsdaten für die Berechnung. Liegen diese nicht vor, werden die lokalen Windgeschwindigkeiten in Kopplung mit der Leistungskennlinie der gewünschten Windenergieanlagen, oder die solaren Strahlungsdaten als Eingangsdaten verwendet.
Die auszuführenden Berechnungen sind über ein zentralisiertes Interface auswählbar, indem zusätzlich die projektspezifischen Rahmenbedingungen festgelegt werden. Durch Unterscheidung diverser Strombezugsoptionen wie Eigenversorgung oder Strombezug von Dritten durch Direktleitung, der Betriebsweise und weiterer Rahmenbedingungen erfolgt eine konkrete, projektspezifische Simulation.
Prozesskette wird abgebildet
Die Prozesskette Wind-/PV-Strom - H2 - SNG - LNG - Endverbraucher wird abgebildet, H2- und SNG- / LNG-Gestehungskosten werden berechnet. Es ist möglich:
• H2- und SNG-, LNG-Gestehungskosten zu berechnen.
• Prognosen für die H2- und SNG-, LNG-Erzeugung basierend auf realen Windparkdaten und Wind-/Solarstrahlungsprognosen auszusprechen.
• Sensitivitätsanalysen für die Wasserstoff- und SNG-, LNG-Gestehungskosten durchzuführen.
• Szenarien / Fallanalysen zu betrachten, zum Beispiel für welche Fälle eignet sich die Elektrolyseeinheit am besten Bandbezug, Peakshaving, Negative Strompreise, etc.
• KPI´s zu ermitteln, wann sich die Erzeugung von H2 oder SNG, LNG lohnt.
• Konzepte und Geschäftsfelder für die Versorgungskette Kraftwerk (Wind, PV), Transport und Verteilung sowie Verbraucher zu entwickeln.
Ermittelt wird auch das Potenzial für Erneuerbare-Energie-Projekte in Kopplung mit Wasserstoff, SNG, LNG zur Unterstützung der Projektumsetzung.
EnergieSynergie hat ein Softwaretool entworfen um die PtG-LNG-Wertschöpfungskette standortspezifisch und unter Berücksichtigung definierter Rahmenbedingungen zu simulieren. Es wird die gesamte Kette von der Umwandlung der Primärenergie, ausgedrückt zum Beispiel durch die Windgeschwindigkeit oder die Solareinstrahlung, über die Produktion der grünen Gase und LNG, hin zur Anwendung durch Endverbraucher abgebildet.
Berechnung der Wasserstoffproduktion
Ein Beispiel für die Berechnung der Wasserstoffproduktion gekoppelt mit einer Drei-MW-Windenergieanlage ist in Abbildung 2 (siehe Seite 20) dargestellt. Als Elektrolyseur wird ein Proton Exchange Membrane Elektrolyseur (PEM) mit einer Nennleistung von einem MW simuliert. Der Vorteil dieser Technik ist das gute Teillastverhalten des Elektrolyseurs, welches besonders bei fluktuierender Einspeisung etwa durch Windenergieanlagen zugutekommt. In der Abbildung 1 (Seite 20) sind die Jahresdauerlinien der Windenergieanlage und des Elektrolyseurs dargestellt. Sie zeigen die Zeitspanne, über welche die Anlagen jeweils auf einer bestimmten Leistung betrieben wurden. Der Elektrolyseur wird rund 48 Prozent der Zeit auf Volllast, jedoch die Hauptzeit im Teillastbereich betrieben.
Auslastung des Elektrolyseurs
Erhöht man für die in dem Beispiel aufgeführte Drei-MW-Windenergieanlage die Elektrolyseeinheiten von 100 kW auf bis zu 3.000 kW, nimmt das Teillastverhalten stetig zu und die Auslastung des Elektrolyseurs nimmt kontinuierlich ab, bis sie der Auslastung der Windenergieanlage gleichkommt. Diese ist dann erreicht, wenn der Elektrolyseur die gleiche Nennlast wie die Windenergieanlage aufzeigt. Er kann dann sämtliche Leistung aus der Windenergieanlage aufnehmen und fährt das Leistungsprofil der Anlage exakt nach, was zu einer gleichen Auslastung beider Anlagen führt.
Die hieraus resultierenden Wasserstoffgestehungskosten sind in Abhängigkeit der Strombezugskosten und der spezifischen Investitionskosten für den Elektrolyseur zu sehen. Es zeigt sich, dass die Wasserstoffgestehungskosten mit sinkender Auslastung des Elektrolyseurs ansteigen. Auch die Methanisierungs- und Verflüssigungsanlage sollen möglichst hoch ausgelastet werden, um die Gestehungskosten des SNGs, respektive LNGs zu minimieren.
Zurzeit liegen die Strombezugskosten für Elektrolyseure nach Berechnungen der Deutschen Energieagentur GmbH (Dena) aus: Power-to-X, Strombezug, 6/2018, zwischen 8,2 und 14,5 ct/kWh je nach Bezugsoption. Bei der Speisung eines 480-kW-Elektrolyseurs durch eine Windenergieanlage mit einer Nennleistung von drei MW können je nach Strombezugsoption die in Abbildung 4 (siehe diese Seite, ganz unten) dargestellten Gestehungskosten erreicht werden.
Durch den zusätzlichen Verkauf des anfallenden Sauerstoffs und der Abwärme liegen die erforderlichen Erträge, die aus dem Wasserstoffverkauf zu erzielen sind um die Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten, tiefer. Ihnen gegenübergestellt sind die derzeit auf Basis der Marktpreise erreichbaren Erträge. Es wird deutlich, dass das untersuchte System zurzeit keine wirtschaftliche Produktion von grünem Wasserstoff, SNG und LNG ermöglicht.
Wirtschaftliche Produktion von Wasserstoff
Es ist jedoch zu erkennen, dass die wirtschaftliche Produktion von Wasserstoff nicht mehr allzu fern ist. Bereits eine Befreiung von den Strombezugskosten für Elektrolyseure von der EEG-Umlage reiche aus, um Wasserstoff wirtschaftlich zu erzeugen. Durch Kopplung einer Drei-MW-Windenergieanlage mit einem 480-kW-Elektrolyseur könnte Wasserstoff dann zu minimal 11,57 ct/kWh produziert werden. Der geschätzte erreichbare Ertrag aus dem Verkauf des Wasserstoffs liegt mit 12,1 ct/kWh höher, sodass die Wirtschaftlichkeit gegeben ist. Zusätzliche Einnahmen sind durch den Verkauf der bei der Produktion anfallenden sekundären Erzeugnisse, Sauerstoff und Abwärme, möglich.
Um grünes SNG und LNG wirtschaftlich produzieren zu können, sind bedeutend stärkere Parameter-änderungen erforderlich. Die Wirtschaftlichkeit der Produktion von grünem SNG bei einer beispielweisen künftigen Verdopplung der Nutzungsdauer der PtG-LNG-Anlagen, setzt eine Befreiung der Strombezugskosten von allen Steuern, Umlagen und Abgaben voraus, sowie eine Senkung der Stromgestehungskosten, der CAPEX und OPEX um 48 Prozent. Zur wirtschaftlichen Erzeugung von LNG sind letztere Parameter sogar um 64 Prozent zu senken.
Grüner Wasserstoff für das Energiesystem
Es ist festzuhalten, dass besonders grüner Wasserstoff zukunftsfähig ist, um bei günstiger Änderung der Gesetzeslage als Baustein in das Energiesystem integriert zu werden. Grünes SNG und LNG sind in Bezug auf ihre Wirtschaftlichkeit stark gehemmt. Sie haben jedoch das Potenzial, sich künftig aufgrund ihrer anwendungsspezifischen Vorteile durchzusetzen. Grünes LNG beispielsweise wird in Zukunft eine zentrale Rolle spielen in der nachhaltigen Gestaltung des Schwertransports und der Schifffahrt. In diesen Bereichen ist der direkte Einsatz der elektrischen Energie als Antriebstechnologie sehr begrenzt.
Autoren:
Carsten Fichter, Geschäftsführer, EnergieSynergie
Laurence Wagner, EnergieSynergie
Wollen Sie neue Erkenntnisse zu Wasserstoff im Blick behalten? Dann abonnieren Sie doch unseren kostenlosen Newsletter! Hier können Sie sich anmelden.
Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus unserem Print-Magazin. Hier erhalten Sie ein kostenloses Probeheft unserer nächsten Ausgabe.