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Änderung im Kraftstoffmix

EU tankt neuen Biosprit aus Stroh

Die Tage von Palmöl im Tank sind gezählt. Geht es nach dem Willen des EU-Parlaments, werden Kraftstoffe auf Basis der Fette der tropischen Ölpalme ab 2021 nicht mehr als bio anerkannt. Bisher wurde in der EU neben Biodiesel aus Rapsöl auch solcher aus importiertem Palm- und Sojaöl verwendet. Doch weil für Palmölplantagen vielfach Regenwald vernichtet wird, haben die Parlamentarier in Brüssel die Ampeln dafür auf Rot gestellt.

Lange war nicht sicher, ob es tatsächlich dazu kommt. Denn es lagen drei verschiedene Konzepte auf dem Tisch, wie Europas Mobilitäts­sektor ab 2021 zu den Klimazielen der EU beitragen soll. Neben dem Parlamentsbeschluss waren das die Vorschläge der EU-Kommission und des Rates der Energieminister. Nur in dem der gewählten Abgeordneten stand Palmöl zur Disposition. Es ging um eine Anschlusslösung für die Erneuerbare-Energien-­Richtlinie (renewable energy directive – RED), die 2020 ausläuft. RED II wird bis 2030 gelten und definieren, welche Kraftstoffarten in welcher Höhe auf das Klimaschutzziel der EU angerechnet wird. Eine finale Entscheidung zwischen den drei EU-Institutionen ist nun gefallen: Die erzielte Einigung zwischen EU-Parlamentariern, Mitgliedsstaaten und EU-Kommission ("Trilog") lässt dem volkswirtschaftlich wichtigen Palmölsektor in Indonesien und Malaysia längere Zeit zur Umstellung. Palmöl im Biosprit soll nun nicht mehr auf die Klimaziele der EU angerechnet werden. Aber es soll erst 2030 aus dem Treibstoff an europäischen Tankstellen verschwunden sein. Der Anteil wird auf dem Niveau von 2019 eingefroren werden und dann von 2023 an schrittweise reduziert werden.

Klar ist, dass Biokraftstoffe der ersten Generation, die aus Futtermitteln wie Zuckerrüben (Bioethanol) und Ölpflanzen wie Raps (Bio­diesel) hergestellt werden, ein Auslaufmodell sind. Ihr Maximalbeitrag wird im besten Fall auf das Niveau von 2017 festgeschrieben. Und selbst das wird kaum erreicht werden. Denn laut dem Parlaments­beschluss dürften 2030 nur noch maximal zwei Prozent des in Europa verbrauchten Kraftstoffs aus solcher Biomasse stammen. Aktuell ist deutlich mehr als das Doppelte erlaubt. Wie auch immer die Regelung für Biokraftstoffe der ersten Generation ausfallen wird: Sie sind kaum noch gefragt. Heimische Hersteller haben bereits angekündigt, in Europa nicht mehr zu investieren.
Abgelöst sollen sie von sogenannten fortschrittlichen Biokraftstoffen werden – von solchen, die nach dem Willen der EU aus Reststoffen und Abfällen wie Stroh, Holz, Nussschalen, Trester, Gülle oder Klärschlamm gewonnen werden. Außerdem sollen Kraftstoffe aus grünem Strom wie Wasserstoff und synthetischer Diesel sowie die Elektromobilität zur Erfüllung der Quoten angerechnet werden – je nach Vorschlag mit Faktoren zwischen zwei und fünf.

Während die Energieminister erst ab 2025 verbindliche Quoten für die neuen Biokraftstoffe einführen wollen, schlägt die EU-Kommission ab 2021 einen Anteil an allen in der EU für den Schienen- und Straßenverkehr verbrauchten flüssigen und gasförmigen Energieträgern von 0,5 Prozent vor, der schrittweise bis 2030 auf 3,6 Prozent steigen soll. Gemessen am EU-Verbrauch von Benzin und Diesel 2014 entsprechen die 0,5 Prozent rund 2 Millionen Tonnen. Damit tut sich ein neuer Milliardenmarkt auf.

Sunliquid aus Stroh

EU-Mitgliedsstaaten wie Deutschland, Italien, die Slowakei und die skandinavischen Länder haben schon gehandelt. Laut Bundesimmissionsschutz-Verordnung müssen alle großen Mineralölunternehmen 2021 so viele fortschrittliche Biokraftstoffe in Verkehr bringen, dass sie damit 0,05 Prozent ihres Gesamtabsatzes erreichen. Bezogen auf die in Deutschland 2017 laut Mineralölwirtschaftsverband verfahrenen Benzin- und Dieselkraftstoffe – insgesamt 57,3 Millionen Tonnen – wären das rund 30.000 Tonnen. Bis 2025 steigt die Quote auf 0,5 Prozent.

Die Industrie bereitet sich auf das neue Geschäft vor – so wie der Schweizer Spezialchemiekonzern Clariant. Die Firma hat in den vergangenen Jahren an ihrem Produktionsstandort in Straubing einen Ethanol-Kraftstoff mit dem Namen Sunliquid entwickelt, der aus der Zellulose von Strohfasern gewonnen wird. 2017 ist die Firma in die Kommerzialisierung des Pflanzensprits eingestiegen. Erster Schritt war eine Lizenzvereinbarung mit dem slowakischen Bioethanolhersteller Enviral. Dieser will an seinem Produktionsstandort im westslowakischen Leopoldov eine Anlage für Zellulose-Ethanol aus Stroh mit einer Kapazität von 50.000 Tonnen oder 63,4 Millionen Litern bauen. Dort werde die Clariant-Technologie ebenso eingesetzt wie die von den Schweizern entwickelten bakteriellen Starterkulturen, heißt es bei der Firma aus Muttenz bei Basel.

Zum Ende des Jahres hat sie den Bau ihrer ersten eigenen Fabrik in gleicher Größenordnung angekündigt. Ab 2020 soll die Anlage im Südwesten Rumäniens pro Jahr 250.000 Tonnen Weizenstroh und sonstiges Getreidestroh lokaler Landwirte zu Bioethanol verarbeiten. Anfallende Nebenprodukte will Clariant zur eigenen Energieerzeugung nutzen. Ziel sei, eine hohe Unabhängigkeit der Anlage von fossilen Energiequellen zu erreichen. Clariant erwartet, mit dem Werk in Rumänien einen Umsatz
im mittleren zweistelligen Millionenbereich zu erzielen.

Info: Klärschlamm zu Kraftstoff

Abfallstoffe wie Gülle und Abwässer können ebenso wie Biomasse wie Nuss­schalen, Trester, Traubenreste, Holzreste oder Lignozellulose nach dem Willen der EU als Basis für fortschrittliche Biokraftstoffe anerkannt werden. Je näher der Zeitpunkt des Inkrafttretens von RED II rückt, desto mehr Verfahren suchen ihre Chance. Ein Beispiel ist das von der EU geförderte Projekt To-Syn-fuel. Zwölf Partner unter der Koordination des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik wollen eine Technologie kommerzialisieren, die das Institut entwickelt hat und bei der flüssige Abfälle zu Kraftstoffen transformiert werden. Das Projekt setzt auf Klärschlamm, der bisher in der EU kaum verwertet wird, so die Initiatoren. Dieser wird in drei Fraktionen getrennt, aus denen Diesel und Wasserstoff gewonnen werden können. (Oliver Ristau) Dieser Artikel ist in unserem Print-Magazin 3/2018 erschienen und wurde im Juli aktualisiert. Mehr spannende Artikel erhalten Sie, wenn Sie jetzt ein   kostenloses Probeheft   online bestellen.