Es kommt Bewegung in die Frage nach Antidumpingzöllen. Die Vertreter der 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben auf ihrer Sitzung in Brüssel gegen die Fortführung der Strafzölle auf Solarmodule und Solarzellen aus China votiert. Die Entscheidung kommt sehr plötzlich. Bisher hat es so ausgesehen, als ob die Sanktionen weiter bestehen bleiben. Denn die Europäische Kommission hat in ihrem Untersuchungsbericht zu den Antidumpingmaßnahmen gegen die chinesischen Hersteller von Modulen und Solarzellen festgestellt, dass diese weiterhin ihre Ware zu Preisen und den Herstellungskosten in Europa anbieten würden, wenn die Barrieren fallen. Zudem werden die Unternehmen, die inzwischen riesige Produktionskapazitäten aufgebaut haben, immer noch von der Regierung in Peking finanziell unterstützt. Das geschieht in der Regel über zinslose oder niedrig verzinste Kredite.
Europas Modulproduktion sinkt – trotz Handelsschranken
Genau diesen Untersuchungsbericht haben die Vertreter der Mitgliedsstaaten mehrheitlich nicht abgesegnet. Zumal die Kommission in dem Bericht wohl zugibt, dass die Handelsbarrieren nicht geholfen haben. Das erklärt zumindest die Solar Alliance for Europe (SFAE), eine Koalition europäischen Photovoltaikunternehmen die sich gegen die Strafzölle aussprechen. So seien die Volumina und Marktanteile der europäischen Modulhersteller seit 2013 – dem Jahr, in dem die Zölle eingeführt wurden – weiter gesunken seien. So sank die Produktionskapazität der europäischen Modulhersteller im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um drei Prozent von 6,9 auf 6,7 Gigawatt. Diese Produktion ist zudem überhaupt nicht ausgelastet. Die Modulhersteller in Europa haben im vergangenen Jahr 2,7 Gigawatt Modulleistung hergestellt. Das sind 16 Prozent weniger als 2015.
Kaum europäische Solarzellen auf dem freien Markt
Noch entscheidender ist aber, dass es in der Modulbranche Gewinner und Verlierer des Handelsstreits gibt. Denn die Produktionskapazitäten für Solarzellen liegt in Europa konstant gerade mal bei 1,8 Gigawatt. Damit wird klar, dass nur zwei Drittel der europäischen Module überhaupt mit Zellen aus Europa produziert werden können. Dazu kommt noch, dass es in Europa kaum Hersteller gibt, die ausschließlich Solarzellen produzieren. Das heißt, die Zellen aus europäischer Produktion gelangen fast ausschließlich nicht auf den freien Markt. Die Hersteller, die keine eigene Zellproduktion betreiben, sind demzufolge auf den Import angewiesen. Zwar kommen die Zellen zum größten Teil aus Taiwan. Doch nachdem die Kommission die Handelsbarrieren auf einige Hersteller von der Insel vor der Küste Chinas ausgeweitet haben, wird der Pool kleiner, aus dem die europäischen Modulhersteller ohne eigene Zellproduktion schöpfen können, mit einer entsprechenden Preisentwicklung.
Zudem stehen in Europa nicht die Gigawatt-Fabriken, wie sie die chinesischen Mitbewerber betreiben. Mehr als ein Gigawatt Produktionskapazität hat in Europa ausschließlich Solarworld aufzuweisen. Alle anderen Hersteller sind viel kleiner. Nach Angaben von SAFE betreiben 77 Prozent der europäischen Modulhersteller Fabriken mit einer Kapazität von weniger als 100 Megawatt pro Jahr. Damit könne man ohnehin nicht mit den Preisen für Module aus den riesigen Fabriken mithalten, betonen die Gegner der Handelsbarrieren. Die Europäer setzen ohnehin auf ein völlig anderes Segment als die chinesische Konkurrenz. Hier spielt Qualität und vor allem der Service eine große Rolle. Niemand will in Südchina anrufen müssen, wenn ein Garantiefall auftritt.
Falsche Schlüsse gezogen
Aus diesem Grund sind die in SAFE organisierten Unternehmen froh, dass die Mitgliedsstaaten jetzt der Kommission einen Strich durch die Rechnung machen. Denn die Kommission habe zwar die richtigen Fakten zusammengetragen, doch die falschen Schlüsse daraus gezogen. Zumal die strukturellen Unterschiede zwischen einer Produktion im Gigawatt-Maßstab mit einer preiswerten Zulieferindustrie und einem Premium-Segment mit hochwertigen Komponenten nicht vergleichbar seien. „Die EU sollte also nicht nur in diesem konkreten Fall die Handelsbeschränkungen umgehend auslaufen lassen, sondern auch das Verfahren selbst auf eine realistische Grundlage stellen, damit es künftig nicht politisch missbraucht werden kann, um weitere Handelskriege anzuzetteln“, betont Holger Krawinkel, Sprecher von SAFE.
BDEW unternimmt Kehrtwende
Unerwartete Schützenhilfe bekommen die Gegner der Handelsbarrieren vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Der Interessenverband der alten konventionellen Energiewirtschaft äußert sich erstmals im Sinne der Photovoltaikinstallateure. „Protektionistische Maßnahmen hemmen den Ausbau der Stromerzeugung aus Sonnenenergie“, erklärt Stefan Kapferer, Vorsitzender der Hautpgeschäftsführung des BDEW. „Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss so kosteneffizient wie möglich erfolgen. Dies gilt auch für die Photovoltaik“, begrüdnet er die unerwartete Kehrtwende. „Nur so lässt sich die große Akzeptanz in der Bevölkerung für den Umstieg auf regenerative Energiequellen erhalten.“ So sieht er sich auf einer Linie mit SAFE, die den verzögerten Ausbau der Photovoltaik damit begründen, dass die Anlagen aufgrund der Zölle zu teuer seien.
Photvoltaik ist preiswerter geworden – trotz der Zölle
Genau vor einer solchen Argumentation warnen aber schon lange die Befürworter der Handelsbarrieren. Der Preis für eine durchschnittliche private Photovoltaikanlage beträgt heute 2.000 Euro weniger als noch vor drei Jahren, als die Maßnahmen eingeführt wurden“, rechnet Milan Nitzschke, Präsident von EU Pro Sun, vor. Bei der Plattform der europäischen Modulhersteller, die sich für die Zölle aussprechen, stößt die Entscheidung der Mitgliedsstaaten auf wenig Gegenliebe. „Trotz der Schädigung seitens China, sind europäische Hersteller nach wie vor führend in Sachen Qualität, Langlebigkeit, Effizienz und Nachhaltigkeit. Ein Ende der Antidumpingmaßnahmen jetzt würde dem ein jähes Ende bereiten und Jobs, Investitionen und technischen Fortschritt aufs Spiel setzen“, warnt Nitzschke. „Die Antidumpingmaßnahmen haben Photovoltaik weder verteuert noch ihr Wachstum gehemmt, dafür aber fairen Wettbewerb gefördert“, betont er und warnt vor einer Argumentation, mit der sich die ganze Branche einen Bärendienst erweist. Denn wenn der Kunde hört, die Photovoltaik sei zu teuer, dann wird er kaum eine Anlage kaufen. Ihm ist es egal, warum die Anlagen teuer sind. Deshalb ist ein schwächelnder europäischer Markt für Nitzschke kein Grund, die Handelsbarrieren abzubauen. Im Gegenteil: „Um den europäischen Markt längerfristig vor chinesischem Dumping zu schützen und Planungs- und Investitionssicherheit zu gewährleisten, plädiert EU Pro Sun für eine Erweiterung der Zollmaßnahmen auf mehr als die von der Kommission vorgeschlagenen zwei Jahre“, erklärt Nitzschke.
Verfahren geht in die Berufung
Mit der Entscheidung der Vertreter der Mitgliedsstaaten geht die Debatte nicht nur in der Branche weiter. Auch politisch ist die Sache noch nicht vom Tisch. Zwar hat eine qualifizierte Mehrheit aus 18 Mitgliedsstaaten, die 65 Prozent der Bevölkerung der Europäischen Union repräsentieren, die Fortsetzung der Handelsbeschränkungen abgelehnt. Doch damit kann sie die Barrieren für die Einfuhr von Solarmodulen nach Europa nicht annullieren. Das Verfahren geht in die Berufung. Jetzt muss die Kommission nacharbeiten und neue Vorschläge auf den Tisch legen. Dies muss aber schnell geschehen. Denn Brüssel hat nur noch wenige Wochen Zeit, bis die bisherigen Antidumpingmaßnahmen auslaufen. (Sven Ullrich)