Deutschland steht nicht gut da, was das Erreichen seiner Klimaschutzziele angeht: Aller Voraussicht nach werden in diesem Jahr nur der Energiesektor seine CO2-Einsparziele des im Mai verabschiedeten Klimaschutzgesetzes schaffen. Damit aber spätestens ab 2023 alle Sektoren Erfolg melden können, muss eine neue Bundesregierung nach der Wahl schnell handeln.
Grund genug, für Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und die Stiftung Klimaneutralität 22 Handlungsempfehlungen für ein Klimasofortprogramm zu erarbeiten, die durch einfache Gesetzes- und Verordnungsänderungen möglich sind und deshalb bis zum Sommer 2022 in Kraft treten könnten.
„Wer Ziele erhöht, muss auch Maßnahmen anpassen“, betonte Rainer Baake, Direktor der Stiftung Klimaneutralität, bei der Vorstellung des Sofortprogramms. Eine Auswahl der Maßnahmen für jeden Sektor.
1. 30 Milliarden Euro jährlich in den Klimahaushalt
Die drei Institute schlagen vor, für die kommenden Jahre einen Klimahaushalt mit einem jährlichen Volumen von mindestens 30 Milliarden Euro aufzustellen, der insbesondere zur Förderung der Programme für Gebäudesanierung, klimaneutrale Industrie, Elektromobilität, erneuerbare Energien und Artenschutz sowie Schiene und öffentlichen Personenverkehr zur Verfügung steht. Außerdem soll das Klimaschutzgesetz reformiert werden: Erreicht ein Sektor sein Ziel nicht, erhöht sich automatisch der Preis für eine Tonne CO2 in diesem Sektor, falls die Bundesregierung keine anderen Maßnahmen ergreift.
2. EEG-Umlage abschaffen und CO2-Preis anheben
Um Strom aus erneuerbaren Energien gegenüber den Fossilen konkurrenzfähiger zu machen, aber gleichzeitig den sozialen Ausgleich nicht zu vernachlässigen, schlagen die drei Institute vor, den CO2-Preis schrittweise anzuheben (80-100 Euro/Tonne bis 2025, danach jedes Jahr zehn Euro mehr) und gleichzeitig die EEG-Umlage abzuschaffen. Außerdem sollen die Einnahmen aus dem CO2-Preis vollständig an die Bürger zurückgegeben werden, etwa in Form eines Klimawohngeldes oder der Absenkung der Stromsteuer.
3. Kohleausstieg auf 2030 vorziehen
Im Bereich Energie sollte der Kohleausstieg auf das Jahr 2030 vorgezogen werden, heißt es in dem Maßnahmenpapier. Dazu müsste das Kohleausstiegsgesetz geändert werden. Zudem solle ein CO2-Mindestpreis für die Stromerzeugung eingeführt werden, der den Preis im Rahmen des europäischen Emissionshandels nach unten absichert und anfänglich 50 Euro pro Tonne CO2 beträgt. Bis 2030 müsse er auf mindestens 65 Euro pro Tonne an.
4. Ausbau der Erneuerbaren massiv beschleunigen
Um den erforderlichen Strom auch aus erneuerbaren Energien erzeugen zu können, müssen die Erzeugungskapazitäten deutlich schneller ausgebaut werden als bislang geplant. So sollten jährlich 5,5 bis 6,5 GW Wind an Land, auf 5 GW für PV-Freifläche und 3 GW für PV-Aufdachanlagen ausgeschrieben werden, schlägt das Papier vor. Die Ausbauziele Offshore-Wind müssten ebenfalls angehoben werden: 2030 auf 25 GW, 2035 auf 35 GW, 2040 auf 60 GW und 2045 auf 70 GW.
5. Industrietransformation durch Klimaschutzverträge absichern
Derzeit liegen die Kosten für CO2-Minderungskosten deutlich oberhalb der Preise für CO2-Zertifikate im EU-Emissionshandel. Klimaschutzverträge nach dem Vorbild der Carbon Contracts for Difference für die Industrie sollen deshalb helfen, Investitionenabzusichern. Über ein neues Gesetz werden Mehrkosten für den Betrieb klimaneutraler Schlüsseltechnologien ausgeglichen. Möglich wäre das über einen dritten Mehrwertsteuersatz auf die jeweiligen Endprodukte, eine Klimaumlage auf den inländischen Verbrauch dieser Endprodukte oder eine rechtlich abgesicherte Haushaltsfinanzierung, meinen die drei Institute.
6. Tempolimit einführen
Im Verkehrssektor brauchen Klimaschutzmaßnahmen besonders lange, um tatsächlich auch auf das CO2-Budget einzuzahlen. Außer einer: Die Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen würde nicht nur sofort CO2 einsparen, sonder auch langfristig zur Entwicklung leichterer Wagen führen.
Je langsamer wir fahren dürfen, desto besser fürs Klima, hat das Umweltbundesamt berechnet: Bei einem Tempolimit von 130 Stundenkilometern werden 1,9 Millionen Tonnen weniger CO2-Äquivalente im Jahr in die Luft geblasen als jetzt, bei120 Stundenkilometer wären es schon 2,6 Millionen Tonnen und bei 100 Stundenkilometern sogar 5,4 Millionen Tonnen weniger.
7. Ab 2024: Öl- und Gaskessel austauschen
Bis 2045 soll Klimaneutralität in Sektor Gebäude erreicht werden. Legt man eine Lebensdauer von 20 Jahren für Heizungen zugrunde, dürften praktisch ab sofort keine neuen Gast- oder Ölkessel eingebaut werden, zum müssten alle fossilen Bestandsanlagen ausgetauscht oder umgerüstet werden. Das Gebäudeenergiegesetz müsse so geändert wert werden, dass
ab 2024 im Neubau und Bestand grundsätzlich der Einbau von mit fossilen Brennstoffen betriebenen Heizungen nicht mehr zulässig ist
8. Voller Mehrwertsteuersatz auf tierische Produkte
Die Emissionen der Landwirtschaft werden größtenteils durch die Haltung und Nutzung von Tieren verursacht. Zwei Drittel der ernährungsbedingten Treibhausgasemissionen seien auf den Konsum tierischer Produkte zurückzuführen, heißt es in dem Maßnahmenpapier. Deshalb wird vorgeschlagen, Preisanreize für einen beschleunigten Wandel weg vom Konsum tierischer Produkte und hin zum Konsum pflanzlicher Alternativen zu setzen: Die Umsatzsteuer für tierische Produkte steigt auf 19 Prozent. Die Steuermehreinnahmen werden für die Förderung von Tierwohl und Klimaschutzmaßnahmen in der Tierhaltung eingesetzt.
Das gesamte Papier mit allen 22 Maßnahmen finden Sie hier.
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