Gerade mal zwei Stunden lang war die Windstromerzeugung gestern unter die Marke von zwölf Gigawattstunden (GWh) gefallen: Von neun bis elf Uhr war das gemeinsame Barometer der vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland auf noch knapp über zehn GWh Erzeugung verharrt, aufgrund einer relativen Flaute vor allem in Ost- und Norddeutschland. Insgesamt bescherte der 11. Oktober 2015 den Windparkbetreibern bei einer fast gleichmäßigen stündlichen Auslastung ihrer Anlagen einen grob geschätzten durchschnittlichen Stundenertrag von 13,5 GWh. Die damit deutlich mehr als 300 GWh große Tagesernte brachte ihnen den bisherigen Oktoberrekord ein. Zum Vergleich: Der Tagesdurchschnitt im vergangenen Jahr betrug gerade mal 160 GWh – allerdings schlagen in dieser Berechnung natürlich die saisonal windschwachen Sommermonate vollständig durch.
Die bei der deutschen Strombörse EEX abrufbaren Daten lassen die schon Mitte des Jahres von Erneuerbare-Energien-Experten geäußerten sehr hohen Erwartungen realistisch werden. Analysten der Einspeiseentwicklung bei den Erneuerbaren wie der Geschäftsführer des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien (IWR), Norbert Allnoch, hatten auf Basis von Daten des Bundesverbandes Erneuerbare Energien sowie eigener Berechnungen kalkuliert, dass die Windparks in Deutschland bis Ende 2015 möglicherweise 80 Terawattstunden (TWh) ins Netz eingespeist haben könnten. Das käme einem Ertragssprung von locker 25 TWh oder annähernd 50 Prozent gleich. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr 2014 hatten die Windparks 57,4 Milliarden Kilowattstunden, also 57,4 TWh erzeugt. Am 1. Oktober veröffentlichten nun der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) eine gemeinsame Auswertung der Einspeisedaten, die schon jetzt das Gesamtjahr 2014 übertreffen: Alleine in den ersten neun Monaten 2015 waren 59 TWh Windstrom durch die Adern der deutschen Netze geflossen.
Einspeise-Sprung dank mehr Windreichtum
Der enorme Einspeise-Sprung der Windkraft ist laut ZSW und BDEW dem anhaltend starken Zubau der Windkraft zu verdanken. Im bisherigen Ausbaurekordjahr 2014 hatten die Investoren mit mehr als fünf Gigawatt (GW) so viel Leistung neu ans Netz angeschlossen, wie noch nie in Deutschland. Auch nach Abzug der Leistung im Gegenzug abgebauter Altanlagen hatte der Leistungszubau noch eine Größenordnung von 4,9 GW. Zusätzlich gut für die Einspeisung der ersten neun Monate war ein bisher überdurchschnittlich hohes Windaufkommen in Deutschland, so erklärten ZSW und BDEW.
Das bisherige Level der Einspeisung pro Tag lässt sich damit in den ersten Monaten auf rund 215 GWh berechnen. Ob damit an Silvester das Jahr 2015 tatsächlich noch als überdurchschnittlich windstark abgerechnet werden kann oder nur als endlich wieder gewöhnlich gutes Jahr, muss derweil abgewartet werden. Noch im Juli hatten IWR-Chef Allnoch sowie auch der Windgutachter Herbert Schwartz auf Anfrage von ERNEUERBARE ENERGIEN analysiert, dass 2015 nach einigen windschwächeren Jahren laut ihrer Beobachtung endlich wieder ein durchschnittliches Windjahr werde. Tatsächlich verzeichnete der BDEW in den Jahren 2010 bis 2013 kaum einen Anstieg: Die Windstromerzeugung erhöhte sich in diesem Zeitraum gerade mal um eine TWh auf 51,7 TWh. Mehr Anstieg gab es erst wieder 2014 - auf eben 57,4 TWh. Manche Skeptiker fürchten, dass der bereits hohe Ausbaustand dazu führt, dass sich die Windenergieanlagen gegenseitig den Wind abgreifen und daher weniger effizient Strom ernten. Würde die Windkraft 2015 tatsächlich eine Jahresernte von 80 TWh einfahren, bedeutete das einen Anteil an der Bruttostromerzeugung von 13 Prozent sowie am Bruttostromverbrauch von sogar 15 Prozent. Bezogen ist diese Berechnung freilich voerst auf die Gesamtverbrauchs- und Gesamterzeugungsdaten des vergangenen Jahres, die sich in den vergangenen Jahren jährlich nur leicht veränderten.
Forderung nach Koppelung von Strom, Wärme und Verkehr bleibt aktuell
Mitverantwortlich für den einige Jahre lang schwachen Anstieg der Windstromerzeugung ist möglicherweise auch das Abregeln von Windparks durch die Netzbetreiber, um überlastete Netze zu schützen. In diesem Zusammenhang plädierte der geschäftsführende Vorstand des ZSW, Friethjof Staiß: „Das Gelingen der Energiewende hängt aber nur zu einem Teil von der Stromerzeugung ab – ebenso wichtig ist die künftige Gestaltung der Mobilität und der Wärmeversorgung … . Dabei geht es vor allem auch um die Koppelung der drei Bereiche ….“ Die Nutzung des Windstromüberschusses auch beispielsweise zur Erzeugung von synthetischem Erdgas für die Wärmeversorgung oder von Wasserstoff als Treibstoff wird in der Branche derzeit erforscht.
(Tilman Weber)
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