Die Energiepolitik der Bundesregierung hinkt schon seit Jahren den Realitäten hinterher. Viele Fragen sind offen und viele Herausforderungen harren einer Lösung. Bisher ist die Politik auf eine zentrale Frage der neuen Energiewirtschaft eine Antwort komplett schuldig geblieben: Was passiert mit Solar- und Windkraftanlagen, wenn sie keine Einspeisevergütung mehr bekommen. Das ist zwar derzeit noch kein Thema. Doch in drei Jahren fallen die ersten Photovoltaik- und vor allem Windkraftanlagen aus der Förderung durch das EEG heraus. Die 20 Jahre sind abgelaufen. Vor allem für die Windkraft bedeutet das die Gefahr eines enormen Rückbaus, wenn hier nicht endlich eine Lösung kommt, wie die Anlagen auch ohne Einspeisevergütung weiterbetrieben werden können. Aber auch für die Photovoltaik wird dieses Thema zunehmend wichtiger, wenn auch die Zahl der betroffenen Anlagen zunächst noch gering ist.
Erster Vertrag ist abgeschlossen
Weil die Energiewirtschaft nicht darauf warten will, bis sich im Berliner Regierungsviertel endlich einmal jemand bewegt, haben zwei innovative Netzbetreiber jetzt das Heft des Handelns in die Hand genommen. So hat der Schweriner Energieversorger und Verteilnetzbetreiber Wemag bekannt gegeben, dass er in Zukunft Strom aus Photovoltaik- und Windkraftanlagen an seine Kunden vertreiben wird. Zunächst hat das Unternehmen einen entsprechenden Vertrag mit dem Betreiber einer Windkraftanlage in Nordwestmecklenburg abgeschlossen. Ab 1. Januar 2021 kauft die Wemag den Strom der 600-Kilowatt-Anlage zu einem jährlich fest vereinbarten Preis und vermarktet ihn dann an die Stromkunden in seinem Netzgebiet. „Mit Blick auf die gestiegenen Marktpreise ist das für die entsprechenden Windkraftanlagen ein wirtschaftlich interessantes Modell“, sagt Mathias Groth, Referent Einspeisemanagement und neue Märkte der Wemag. „Es wird regionaler Ökostrom produziert und somit die Wertschöpfung in der Region gehalten“, betont er.
Großes Potenzial für Strom aus Altanlagen
Das Geschäftsmodell sieht so aus, dass die Wemag jeweils einen Minimalerlös pro Kilowattstunde festlegt, der dem Anlagenbetreiber für das Folgejahr garantiert wird. Dieser Jahresfixpreis ist mit einer Preisgleitklausel versehen, die sich wiederum an den Marktbedingungen orientiert. Damit hat der Anlagenbetreiber einen Markterlös, von dem er nur die Kosten für die Betriebsführung, Wartung und andere Fixkosten wie Versicherung abziehen muss. Denn die Investition in die Anlage selbst hat sich durch die Einspeisevergütung der vergangenen 20 Jahre längst amortisiert.
Die Wemag ist nach eigenen Angaben das erste kommunale Energieversorgungsunternehmen in Mecklenburg-Vorpommern, das diese Dienstleistung in ihr Portfolio aufgenommen hat. In Zukunft sollen solche Verträge mit weiteren Anlagenbetreibern abgeschlossen werden, wodurch vor allem auch die großen Solarparks in dem nordöstlichen Bundesland eine Perspektive zum Weiterbetrieb haben. „Für die Vermarktung von Post-EEG-Anlagen sehen wir regional und überregional ein großes Potenzial“, erklärt Groth.
Alle haben Vorteile
Inzwischen hat sich auch die EWE dem Thema angenommen. Der Oldenburger Versorger hat eine ganze Reihe von großen Erzeugungsanlagen in seinem Netzgebiet. Das erstreckt sich über die gesamte Ems-Weser-Elbe-Region und Bremen. Aber auch in Brandenburg und auf der Ostseeinsel Rügen betreibt die EWE zumindest teilweise das Verteilnetz. Das zieht sich bis nach Westpolen. Die EWE ist daran interessiert, dass die Erzeugungsleistung nicht wegbricht, weil die Windkraftanlagen und großen Solarparks vom Netz gehen, weil sie keine Einspeisevergütung mehr bekommen.
Um dem zu entgehen, will der EWE Vertrieb vorzeitig die Erzeugung von regionalem Windstrom in die Versorgung von privaten Haushalten einbinden. Ab 1. Januar 2019 werden drei Windparks der Weser-Ems-Region exklusiv genutzt, um rund 6.000 Haushaltskunden mit Windstrom zu versorgen. „Wir bringen den regional erzeugten Windstrom nun unmittelbar in Privathaushalte“, beschreibt Steffen Groppel, Produktmanagement Energie bei EWE Vertrieb, das Geschäftsmodell. „Mit der Direktlieferung von grüner Energie an Privatkunden zeigen wir frühzeitig auf, wie Windparks nach dem absehbaren Auslaufen der EEG-Förderung sinnvoll und wirtschaftlich betrieben werden können“, ergänzt Tobias Heyen, Leiter Kurzfristhandel und Direktvermarktung bei EWE Trading. Die gesamte Lösung ist ein Gewinn für alle. Denn die EWE kann weiter auf die Ökostromleistung der Kraftwerke zurückgreifen, weil sie am Netz bleiben. Die Anlagenbetreiber haben einen weiteren Verdienst auch nach der Förderung durch das EEG, was die Generatoren noch rentabler macht. Die Kunden haben den Vorteil, dass sie wissen, dass ihr Ökostrom aus der Region kommt – selbst physisch – und nicht Graustrom von der Börse ist. (Sven Ullrich)