Schon im Dezember hatte der neue CEO Jürgen Geißinger seinen Vorgänger Andreas Nauen abgelöst. Der hatte das Unternehmen zuvor fünf Jahre lang geleitet und sagte zu seinem Abschied: „Nach fünf Jahren an der Spitze von Senvion übergebe ich mit Stolz das Ruder an Jürgen Geißinger.“ Senvion sei „bereit für die nächsten großen Schritte“. Über die Gründe des Austausches gaben Senvion sowie die Eigentümer Centerbridge und Arpwood bislang wenig Auskunft. Angeblich geschah der Wechsel an der Spitze des an den zweiten Platz im deutschen Windmarkt drängenden Windturbinenherstellers infolge einer Forderung der US-amerikanischen Eigenkapitalgesellschaft Centerbridge. Diese hatte Senvion Anfang 2015 vom bisherigen Mutterkonzern Suzlon für eine Milliarde Euro erworben. Das internationale Fachmagazin Wind Power Monthly berichtete mit Berufung auf Informationen von Senvion, dass der Führungswechsel Teil der Übernahme-Vereinbarungen war. Mit der Neubesetzung der beiden Spitzenpositionen CEO und COO wollten die Eigentümer den geplanten Börsengang Senvions in Angriff nehmen, interpretierte die Wirtschaftszeitung Handelsblatt. Außer Centerbridge gehört Senvion seit Juni 2015 zu 21 Prozent auch dem indischen Kapitalunternehmen Arpwood.
Wichtige Führungserfahrung der neuen Spitzenmanager
Sowohl der neue CEO als auch der neue COO verkörpern wichtige Führungserfahrung. Geißinger hatte von 1998 bis 2013 sogar 15 Jahre lang den Wälzlagerkonzern Schäffler geführt. Der Automobilzulieferer ist auch für die Windkraft einer der ganz großen Komponentenbauer. Geißinger hatte Schäffler erfolgreich mit dem Automobil-Technologie-Zulieferer Continental fusioniert, deren Anteile Schäffler zur Hälfte erworben hatte. Zwar hatte diese Aktion zunächst fast zur Pleite Schäfflers geführt. Doch letztlich schaffte der Lagerhersteller unter Geißingers Führung den Wandel und vervielfachte von 1998 an einen Zwei-Milliarden-Jahresumsatz auf das heutige Niveau von über zehn Milliarden Euro. Den Continental-Anteil hinzugerechnet summierte sich Schäfflers Geschäftsvolumen bis zum Ende der Ära Geißinger auf rund 40 Milliarden Euro. Wiederum das Handelsblatt verbreitete, dass der 56-Jährige mit dem Antritt bei Senvion auch Geschäftsanteile an dem Windturbinenbauer erhalten habe und Senvion möglicherweise an die Börse führen solle.
Auch Christoph Seyfarth bringt reichlich Führungserfahrung mit. Seyfarth kommt direkt vom Senvion-Konkurrenten Nordex. Beim viertgrößten deutschen Windturbinenhersteller hatte Seyfahrt eine Position als Executive Vice Präsident inne und zwischenzeitlich den globalen Einkauf des Unternehmens sowie den Unternehmensbereich Center Nacelle and Tower für Gondel- und Turmbau geleitet. Jetzt soll der gelernte Wirtschaftler in einem ähnlichen thematischen Umfeld als Hauptverantwortlicher für die Senvion-Geschäftsbereiche Supply Chain, Global Blades, Global Nacelle, Operational Center und Order Fulfillment fungieren: Also für den Einkauf, die weltweite Rotorblatt- und Maschinenproduktion, Optimierungen und Auftragsperformance. Neu-COO Seyfahrt betonte, er wolle „mit meiner Erfahrung zur weiteren Entwicklung des Unternehmens auf seinem internationalen Wachstumskurs beizutragen“.
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Eigentümer- plus Strategiewechsel: kapitalstärker, internationaler, schneller
Tatsächlich ist es das erklärte Ziel der neuen Eigentümer – und hier insbesondere von Centerbridge – Senvion mit genügend Kapital zu versehen, damit das Unternehmen sein Wachstum vor allem auch auf internationalen Märkten beschleunigen kann. Außerdem soll Senvion seine Technologie-Kompetenz verstärken. Bereits im vergangenen Jahr hatte diese Strategie laut Eigendarstellung Senvions dazu geführt, die Entwicklung der derzeit größten Binnenland-Turbine 3.4M140 zu beschleunigen. Senvion hatte sie im September auf der Windenergiemesse in Husum vorgestellt. Außerdem hatte Senvion seit der Übernahme durch Centerbridge unter anderen Technologie-Maßnahmen auch ein Forschungs- und Entwicklungszentrum in Indien eröffnet.
Dabei hat Senvion unter dem einst von Siemens-Windenergie geholten Ex-Chef Nauen bereits einen Wachstumskurs vollzogen. Der Umsatz kletterte zuletzt bis auf rund zwei Milliarden Euro.
Letzter verbliebener kleinerer Akteur
Andererseits schien der Hersteller insbesondere bei der Meereswindkraft als letzter verbliebener kleinerer Akteur an eine natürliche Grenze zu gelangen. Denn alle in Deutschland produzierenden Windturbinenhersteller mit einer eigenen Offshore-Abteilung haben sich inzwischen mit großen Industriekonzernen oder Wettbewerbern zusammengeschlossen: Offshore-Windkraftmarktführer Siemens ist ohnehin ein sehr großer und bislang solventer Technologiekonzern. Weltmarktführer Vestas hat seine Offshoresparte in einem Joint Venture mit dem japanischen Industrieriesen Mitsubishi vereinigt. Die bis 2015 nur in Bremerhaven fertigende Windenergietochter des französischen Atomtechnologiekonzerns Areva ist in ein Joint Venture mit dem spanischen Windturbinenunternehmen Gamesa übergegangen. Und die Windenergietochter von Alstom gehört nun dem US-Konzern GE.
Senvion hingegen ist zwar der erste Anlagenhersteller, der bereits Turbinen der neuen Leistungsgröße ab sechs Megawatt (MW) in kommerziellen Windparks installiert und bereits ans Netz angeschlossen hat. Allerdings ist die Anlage 6.2M152 bislang nur in einem Zwischenentwicklungsstadium ausgeliefert worden. Mit einem 126-Meter-Rotor ausgestattet bilden die 6,15-MW-Anlagen den Windpark Nordsee Ost vor Helgoland. Die nächsten Installationen dieser Anlagen mit vorerst 126 Meter Rotordurchmesser finden vermutlich noch in diesem Jahr im Windpark Nordergründe statt, ebenfalls in der deutschen Nordsee also. Entwickelt ist die Anlage allerdings als Turbine mit einem Rotordurchmesser von 152 Meter, der durch seine Größe die Auslastung der Anlage und damit den Jahresertrag wesentlich erhöhen soll. Das Problem des Offshore-Anlagenbauers: Als einziger der fünf verbliebenen hiesigen Wettbewerber der Meereswindkraft hat Senvion keine Gigawatt-schwere Auftrags-Pipeline aufbauen können. Die anderen vier arbeiten auf Hochtouren, um ihre Sechs- bis Acht-MW-Anlagen mit Rotoren der neuen Durchmesser-Dimension von 150 Meter und mehr in ihre Projekte in Frankreich, Großbritannien, Deutschland und USA zu bringen. Die besonders kapitalstarken Investoren von Meereswindparks, so lautet eine bislang nicht verifizierte Branchenregel, beauftragen vorzugsweise ebenfalls kapitalstarke Turbinenbauer.
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Projektfortschritte mit Signalwirkung
In diesem Zusammenhang könnten zwei Fortschritte aus den weltweiten Senvion-Windparkbaustellen eine Signalwirkung haben: So bestätigte Senvion-Kunde WPD aus Bremen vor zwei Tagen, mit dem Bau des 18-Anlagen-Windparks Nordergründe im Frühjahr zu beginnen und den Windpark mit den 6.2M126-Anlagen auch noch in diesem Jahr in Betrieb zu nehmen. WPD unterstrich die Glaubwürdigkeit mit der zusätzlichen Nachricht, dass auch die Erneuerbare-Energien-Tochter des Lebensversicherungskonzerns Gothaer nun in das Projekt mit einer Beteiligung eingestiegen ist. Die Finanzierung des 410-Millionen-Euro-Projekts ist allerdings schon seit Juni 2015 durch einen Vertrag mit der staatlichen Investitionsbank KfW Ipex sowie der europäischen Förderbank EIB abgeschlossen. Vor dem Jahreswechsel hatte Senvion-Kunde RWE bereits die vollzogene Installation des ersten Unterwasserfundaments für das Nordsee-Projekt Nordsee One bekannt gegeben. Dort werden nun ebenfalls 6.2M126-Anlagen errichtet.
Und Ende November hatte Senvion bekannt gegeben, dass der größte Windpark an Land mit Senvionturbinen ans Netz gegangen ist. Das 350-MW-Projekt Rivière-du-Moulin in der kanadischen Provinz Quebec ist Teil eines Ein-GW-Rahmenvertrages mit dem Projektentwickler EDF von 2009.
Der Führungswechsel gestaltete sich bei Senvion in den vergangenen Jahren als ohnehin kontinuierlicher Prozess. So wurde im Juli der Inder Manav Sharma zum kaufmännischen Geschäftsführer (CFO). Der langjährige Chefentwickler (CTO) Matthias Schubert war 2013 von seinem Nachfolger Russell Stoddart abgelöst worden. Wie andere Führungskräfte vor ihm soll Ex-CEO Nauen nun dem Unternehmen als ein Beirat weiter Beistand leisten.
(Tilman Weber)