Die Kritik der Umweltschützer vom Nabu-Landesverband kam am Montag mit großer Heftigkeit – eine Woche nachdem die Landesregierung den Regionalplanentwürfen zugestimmt hatte. „Die Landesregierung ist unfähig, eine naturverträgliche Energiewende zu gestalten“, zeigte sich Nabu-Landeschef Ingo Ludwichowski wütend. Der Nabu hatte schon seit rund einem Jahr vor dem jetzt beschlossenen Effekt des Anwohnerschutzes gewarnt, der durch größere offizielle Mindestabstände für neue Windparks zu Siedlungen entstehen würde. Wie von der seit Frühjahr 2017 amtierenden sogenannten Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP vereinbart, sehen die Regionalpläne nun einen Bannkreis um Siedlungen von 1.000 Meter für Windparks mit modernen 200 Meter großen modernen Großrotoranlagen vor. Für Streusiedlungen im Außenbereich läuft es hingegen auf eine Mindestabstandspflicht für Windparkprojekte von 600 Metern hinaus. Um aber das ältere politische Landesziel eines Ausbaus der Windkraft auf zwei Prozent der Landesfläche bis 2025 mit einer Gesamterzeugungskapazität von dann 10.000 Megawatt (MW) nicht zu gefährden, mindern die Regionalplanentwürfe zugleich Vorgaben des Natur- und Gewässer- sowie Denkmalschutzes und auch zur Absicherung von Infrastruktur.
Besonders moniert der Nabu-Landesverband, dass die bisher einzuhaltenden Mindestabstände für Projektierungen von Brutplätzen des Rotmilans von 1.500 auf 1.000 Meter zurückgenommen werden sollen. Dies geschehe wider besseres Wissen, so lässt sich die Kritik des Nabu in etwa zusammenfassen. Schließlich forderten die staatlichen Vogelschutzwarten der Länder in einem gemeinsamen Papier einen Mindestabstand von 1.500 Metern zu Brutplätzen des Greifers. Windenergieanlagen gefährdeten den Greifvogel besonders, warnt der Nabu. Die landesweit bei Kollisionen mit schnell rotierenden Rotorblättern erschlagenen Tiere plus die von den Rotoren verscheuchten Exemplare seien aber zugleich auch von weltweiter Bedeutung, lautet dessen Argumentationskette. Denn: „Für den Rotmilan trägt Deutschland eine weltweite Verantwortung, da 40 Prozent seines Bestandes bei uns brüten“, so betonte Nabu-Landeschef Ludwichowski.
Für den Nabu-Mann ist klar: Die Landesregierung müsse auf ein paar Prozentpunkte der Windenergienutzung im Land noch verzichten. 1,8 Prozent der Landesfläche seien für die energie- und klimapolitischen Ziele des Landes auch noch genug, sagt Ludwichowski.
Die Regionalplanentwürfe lassen hingegen das Ziel immerhin fast erreichen und eine Nutzung durch Windkraft von 1,95 Prozent der Landesfläche vorsehen. Bei einer angenommenen durchschnittlichen Größe der künftig ans Netz anzuschließenden Windturbinen von 3,2 MW Nennleistung wird so das Ziel von 10.000 MW Gesamtkapazität des Landes noch erreicht.
Der Einwand der Naturschützer ist wichtig, ja. Dass Windkraftbranche und Politik in Kiel den Klimaschutz zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung im Land für Mensch und Natur gleichermaßen gestalten muss, das stimmt. Dass der Rotmilan dabei eine wichtige Rolle spielt gilt dann ebenso, wie dass die Greifvögel durch die Nähe von Windturbinen bedroht werden können.
Doch der Nabu-Chef des Landesverbandes macht es sich leicht, wie auch die Umweltschutzorganisation sich in der Vergangenheit vor einer wichtigen Klärung ihrer Vision eines guten Klimaschutzes stets gedrückt hat.
Fast am geringsten wiegt dabei, dass der Nabu noch immer kritiklos auf das von den staatlichen Vogelschutzwarten der Länder verabschiedete „Helgoländer Papier“ verweist. Es ist in der Branche und selbst bei Umweltschützern umstritten: nicht in erster Linie wegen möglicherweise nicht immer wissenschaftlich belegbarer Herleitungen der Abstände, sondern aufgrund des im Helgoländer Papier vertretenen Absolutheitsanspruchs. Denn die Abstände wollen die Vogelschutzwarten grundsätzlich, ja immer gelten lassen. Das Umweltschutzrecht sieht allerdings auch mit Unterstützung anderer Naturschützer vor, dass letztlich das jeweils an einem Standort zu beobachtende Flugverhalten der Vögel den Ausschlag geben muss.
Schwerer schon lastet auf dem Nabu das von dem Umweltschutzverband schon in der Vergangenheit gezeigte Desinteresse an konkreten Energiewendezielen für den Klimaschutz. Der Nabu machte nun offenbar nicht einmal den Versuch zu erklären, warum auch 1,8 Prozent der Landesfläche genügen müssten. Landeschef Ludwichowski begnügt sich offenbar mit einer Pi-Mal-Daumen-Peilung, dass die nach einer Rücknahme der geringeren Mindestabstände zu brütenden Rotmilanen verbleibenden 1,8 Prozent schon reichen.
Noch schwerer wirkt sich die Verweigerungshaltung des Nabu aber aus, in gesellschaftliche politische Debatten des Abwägens unterschiedlichster Interessen überhaupt richtig einzusteigen. Denn dass sich so verschiedene politische Interessenvertreter wie Grüne, FDP und CDU überhaupt auf einen Nenner geeinigt haben und den durchaus über heranrückende Windparks besorgten Anwohnern eine faire Verbesserung ihrer Aussichten anbieten UND dennoch die Windkraftziele einhalten, ist eine gute Leistung. Klimaschutz braucht genauso Akzeptanz wie der Naturschutz. Und mit dieser Regelung wächst die Bereitschaft der Bevölkerung zumindest den Klimaschutz, aber auch den zum Klima- naheliegenden Naturschutz wichtig zu nehmen.
Vor allem muss der Nabu – und mit ihm manche anderen Naturschützer, viele haben ihre Hausaufgaben aber auch schon gemacht – endlich die versäumte Meinungsbildung zum Klimaschutz nachholen: Er ist der Verband, der sich als naturschutzrechtlich klageführender in die geopolitische Front gegen die zweite russisch-deutsche Gaspipeline durch die Ostsee einbinden lässt. Und der dann zugleich für die als Alternative womöglich notwendige Einfuhr von Flüssiggas aus US-amerikanischen und arabischen Fracking-Quellen keine Worte übrig hat. Nur einen lauen Infotext präsentiert der Nabu zum Sonderthema, ob dieses Flüssiggas eine Alternative zur Schiffsbetankung mit Schweröl sein kann. Es seien „wichtige Fragen zur Umweltbilanz, Lifecycle-Betrachtung und Infrastruktur oft nicht ausreichend diskutiert oder sind noch ungeklärt“, ist so eine angedeutete kritische Formulierung. Die wohl kritischste im Text. Zur Windenergie ist die Schreibe aber stets eine andere. Deutlich misslauniger formulieren dort Nabu-Texte solche Sätze: „Der NABU bekennt sich zur naturverträglichen Energiewende und betrachtet die Windenergie als ein bedeutendes Element bei der Erzeugung erneuerbarer Energien und als Beitrag zum Klimaschutz. … Aufgrund einer Vielzahl von Negativbeispielen, in denen Naturschutzziele beim Ausbau der Windenergie nicht ausreichend berücksichtigt wurden, muss die derzeitige Praxis des Ausbaus der Windenergie grundlegend auf den Prüfstand gestellt werden.“ Zum Vergleich: „wichtige Fragen … oft nicht ausreichend diskutiert“ hier und „muss die Praxis des Ausbaus der Windenergie grundlegend auf den Prüfstand“ da.
Immerhin: Den Kohleausstieg bis 2035, was als Mindestforderung der Klimaschützer und der Erneuerbaren-Szene in Deutschland gilt, vertritt der Nabu ganz eindeutig.
Fazit: Zum Naturschutz gehört unumstritten auch der Klimaschutz – und umgekehrt. Zur Verantwortung eines Naturschutzverbandes im Deutschland des Jahres 2018 gehört dann aber auch eine eigene Klimaschutz-Vision und das Einbringen in gesellschaftliche Debatten wie den Anwohnerschutz.
(Tilman Weber)