Irgendwie krank: Für manche Wassersorten zahle ich im US-Supermarkt aktuell mehr als für die gleiche Menge Sprit. Auf dem Weltmarkt kostet das Fass Rohöl im Vergleich zum Juli vergangenen Jahres weniger als die Hälfte. Für den Klimaschutz wären das richtig schlechte Nachrichten, würde die ganze Welt nach der Logik vieler Endverbraucher funktionieren.
Bei denen gilt: Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Wesen. Und zwar so lange bis er die Tür des nächsten Autohauses öffnet. Da werden im Angesicht niedriger Spritpreise alle Klimaschutzbedenken über Bord geworfen. In Deutschland ist der Absatz schwergewichtiger Halbgeländewagen (SUV) 2014 um 20 Prozent gestiegen. In den USA sieht die Entwicklung nicht anders aus.
Unterm Strich ist auf den Konsumenten zu wenig Verlass. Anders sieht es mit dem Markt aus. Hier findet gerade eine klassische Bereinigung statt. Und die wütet am heftigsten in der fossilen Energiebranche.
Wichtigster Verlierer: die Frackingindustrie
Die junge aufstrebende US-Branche der unkonventionellen Förderung von Öl und Gas aus Schiefergestein, durchlebt gerade harte Zeiten. Die Unternehmen kürzen ihre Fördermengen, fusionieren, streichen Stellen, gehen Pleite.
Der Grund: Die USA liefern sich eine kleine Preisschlacht mit den OPEC-Staaten. Jede Seite beharrt darauf ihre hohen Fördermengen beizubehalten, das Angebot an fossilem Brennstoff übersteigt die weltweite Nachfrage, der Preis fällt. Nur: Per Fracking gefördertes Öl und Gas kostet in der Gewinnung viel mehr Geld, als das aus den konventionellen Bohrlöchern der OPEC-Staaten. Aufwand und Erlös passen beim Fracking nicht mehr zusammen, der Goldrausch droht zu enden. Sitzt die OPEC den Kampf um die Fördermengen aus, dürfte eintreten, was der saudische Milliardär Print Alwaleed bin Talal im Interview mit USA-Today prophezeit: Die Frackingindustrie wird nicht mehr wirtschaftlich sein und ihr Geschäft aufgeben müssen. Dann reduzieren sich die Fördermengen von ganz allein.
Mehr Rohstoffe bleiben in der Erde
Die Folge des Preiskampfes für die fossilen sieht also so aus: Weil die Weltkonjunktur gerade schwächelt, kann sie mit dem billigen Öl und Gas kaum etwas anfangen. Der Brennstoff-Verbrauch stagniert. In den USA sinken die Fördermengen mit steigenden Unternehmenspleiten der Frackingindustrie. Die Großbritannien und Russland treten beim Thema Offshore-Ölbohrungen ein paar große Schritte zurück – es rechnet sich zurzeit nicht. Heißt in jedem Fall: Mehr Vorkommen bleiben in der Erde.
Wäre der niedrige Ölpreis ein Dauerzustand, sähe es für die Erneuerbaren sicher finster aus. Wie der SUV den Endverbraucher im Autohaus lockt, würde ein dauerhaft niedriger Ölpreis trotz aller Klimawarnungen auch Nationen verführen, es mit dem Klimaschutz weniger ernst zu nehmen. Doch Institutionen wie die U.S. Energy Information Administration rechnen bereits für 2016 mit einer Stabilisierung des Ölpreises. Dann soll er etwa in der Mitte zwischen dem Jahresdurchschnittspreis von 2014 und 2015 liegen.
Grünstrom gestärkt aus der Ölpreis-Krise
Da die Erneuerbaren mehr vom politischen Willen abhängen als vom reinen Marktgeschehen, kann eine Periode schwacher Ölpreise sie nicht unmittelbar gefährden. Mehr noch: Sie sind ein Anker der Stabilität. Die Grünstrom-Projekte haben eine Entwicklungszeit von mehreren Jahren, die kann eine niedrige Ölpreisperiode nicht aus der Bahn werfen. Und in Regionen wo sich niemand um Öl und Gas schert, weil es keine zentrale Stromversorgung gibt, bleibt der Absatz dezentraler Grünstromanlagen ungebrochen.
Da liegt es nahe, dass die Erneuerbare gestärkt aus der Ölkrise hervorgehen. Denn ihr Zubau geht weiter und die Preise grüner Energie fallen stetig. Wenn der Öl- und Gas-Sektor sich also wieder erholt, wird er mit den Erneuerbaren einem noch stärkeren Gegner gegenüberstehen.
(Denny Gille)