Tilman Weber
Klare Signale hatten länger schon die drohende Gefahr für das Unternehmen angezeigt. Zwar gehört Senvion in Deutschland sowie in mehreren europäischen und auch einigen überseeischen Schlüsselmärkten zu den wichtigsten Marktakteuren. Doch hatte der Windturbinenbauer schon 2016 gemessen am Deutschland-Marktanteil bei Windparkerrichtungen an Land seinen dritten Platz verloren – und schnitt hier seither nur noch mit Rang vier oder fünf ab. Auch dass Senvion seit 2017 keinen größeren Auftrag zum Bau beziehungsweise zur Ausstattung eines Offshore-Windparks erhalten hat, hat viele Marktbeobachter und bestimmt auch Senvion-Verantwortliche beunruhigt.
Dennoch konnte das 2015 im operativen Geschäft ins Defizit gerutschte Unternehmen schon eine Woche nach Beantragung seiner Insolvenz in Eigenregie eine Entwarnung geben. Mit Gläubigern, Geldgebern und Banken sei ein einjähriger Kredit in der benötigten Summe von 100 Millionen Euro vereinbart worden, hieß es am 17. April. Damit soll die Zahlungslücke bei Senvion für nun ein Jahr lang geschlossen sein, bis der Kredit fällig wird. Das frische Geld diene nun dazu, teilte der Windturbinenbauer über sich mit, „Senvion die finanzielle Flexibilität zu verschaffen, den zu Beginn des Jahres begonnenen umfassenden Transformationsprozess fortzusetzen. Das Management unter der Leitung von CEO Yves Rannou hat Maßnahmen zur Stärkung des Unternehmens, zur Neuausrichtung der Geschäftstätigkeit, zur Konzentration auf die attraktivsten Märkte, zur Straffung des Produktportfolios, zur Verbesserung der Installationsausführung sowie zur Effizienzsteigerung im Servicegeschäft eingeleitet.“
Nach 100-Millionen-Euro-Kredit: Anlegervertrauen stabilisiert sich
Auch das Anlegervertrauen stabilisierte sich sofort wieder auf dem niedrigen Niveau von rund 1,30 Euro pro Wertpapier, auf das der Kurs seit Mitte 2018 bis vor Bekanntgabe der Insolvenzstrategie abgerutscht war. Nach dem Insolvenzantrag war er aber zwischenzeitlich sogar noch auf Pennystock-Niveau von unter 40 Cent gefallen.
Was Senvion nun draus macht, ist schwer von außen vorhersagbar. Selbst führende Wirtschaftszeitungen halten sich bislang mit Analysen weitgehend und mit Prognosen gänzlich zurück. Doch Einigkeit besteht in der Fehleranalyse, um die unmittelbare Ursache für die Insolvenz festzustellen – sowie in der Erkenntnis, dass Senvion weiterhin viel Potenzial hat.
Hoffen auf wieder schnellere Auftragsausführung
Die Fehleranalyse lautet in Kürze ungefähr so: Der Windturbinenbauer war zu langsam im Abarbeiten von Kundenaufträgen, kam mit den zunehmend weltweiten Windparkerrichtungen und womöglich der Produktion von Anlagen dafür nicht hinterher. Auch CEO Rannou erklärt jetzt: Der Kredit sei „insbesondere im Hinblick auf die Tatsache hilfreich, dass es uns gelungen ist, unsere Installationen im ersten Quartal erheblich zu steigern.“
Außerdem hat wohl der US-amerikanische Finanzinvestor Centerbridge, der Senvion mehrheitlich besitzt, zu wenig in den Ausbau Senvions zur im knallharten Weltmarktwettbewerb ausreichenden Größe investiert. Vereinfacht ausgedrückt: Zwar unterstützten die Eigentümer strategische Einkäufe wie die des indischen Windturbinenbauers Kenersys sowie zum Beispiel eines Rotorblattentwicklungsunternehmens. Damit ermöglichten sie Senvion schnelle technologische Entwicklungen und schnelle Zugänge zu neuen Schlüsselmärkten wie eben Indien. Doch beispielsweise Ausbau und Modernisierung bestehender Fertigungsstätten unterblieben. Jetzt brauche es einen neuen Investor, der genau hier investiere, lautet die Schlussfolgerung mancher Wirtschaftsjournalisten – etwa bei der Zeitung Handelsblatt.
Großes Potenzial, zum Beispiel volle Auftragsbücher
Die Analyse des Potenzials, von den Wirtschaftsredakteuren derzeit nur thematisch gestreift, ist aber ebenfalls beeindruckend: Senvion hat nach eigenen Angaben volle Auftragsbücher mit einer Pipeline an Bestellungen für fünf Gigawatt (GW) neuer Windparks.
Ebenso ist Senvion technologisch dort ganz vorne mit angekommen, wohin die Entwicklung die Windkraftindustrie in den vergangenen drei bis vier Jahren getrieben hat: Längst geht es nicht mehr um den Wettbewerb verschiedener Technologien – und auch nicht mehr um den Wettbewerb durch eine verschieden ausgereifte Qualität in Sachen Fertigung oder Wartung oder Anlagenüberwachung.
Wettbewerb hat neue Entwicklungsstufe erreicht
Vielmehr besteht der Wettbewerb auf den konsequent auf Preisdruck gestylten neuen internationalen Ausschreibungsmärkten darin, wie die Anlagen sich produzieren lassen und wie schnell und flexibel neue Anlagentypen und Anlagengrößen auf den Markt kommen können.
Hier zählen die Industrialisierung, die Massenproduktion von Gleichteilen, die Modularisierung der Anlagenkomponenten – und wie schon erwähnt, die Schnelligkeit und Flexibilität beim Anpassen der Anlagen an den Bedarf großer Kunden beim Bau einzelner Riesenwindparks.
Senvion in einigen Wettbewerbfeldern weiterhin vorne dabei
Bei all diesen Anforderungen war Senvion zuletzt ganz vorne mit dabei. Und in manchen Märkten wie Deutschland, aber auch zum Beispiel Indien hatte Senvion mit seinen Angeboten nachweisbar besser abgeschnitten, als Konzerne wie GE und Siemens Gamesa. Auch die Internationalisierung der Aufträge – notwendig aufgrund der durch die Politik begrenzten Wachstumsmärkte wie Deutschland – gelang: Die Neuaufträge für Windparks, die aus neuen Märkten eingingen, machten laut dem Geschäftsbericht zu den ersten drei Quartalen 2018 zuletzt mehr als zwei Drittel des Kaufwertes aller Aufträge aus.
Und selbst bei der Entwicklung einer Zehn-Megawatt-Windturbine für Meereswindparks hielt Senvion mit den restlichen führenden Windenergiekonzernen im Prinzip noch mit. In einem Forschungskonsortium mit den führenden Windenergie-Forschungsinstituten und dem Energiekonzern EnBW arbeiten Senvion-Ingenieure an einer Anlage mit möglichst geringen Stromgestehungskosten.
Sinkende Windstrompreise: Signale aus Ausschreibung gehen fehl
Angesichts dieser guten Voraussetzungen ist es fast bizarr, wie still es um Senvion ist. Keine Reaktionen aus der Politik und nur verhaltene Äußerungen aus der Branche selbst. Es scheint, als wolle die Windbranche nur jeden Anschein von Schwäche vermeiden. Will sie doch weiterhin Politik wie Investoren beweisen, dass ihre Unternehmen für den Wettbewerb in Ausschreibungen mit geringen Gewinnmarken weltweit fähig sind.
Doch Fakt ist auch: Darum kann es jetzt nicht mehr gehen. Ausschreibungen können nur dann einen sinnvollen Markt formen, wenn die Steuerung der Tender im Verhältnis zum Zweck der Ausschreibung stimmig ist. Das ist sie aber an vielen Schauplätzen wie etwa in Deutschland nicht: Hierzulande senden die Ausschreibungen aus vielen Gründen nicht einmal mehr ausreichend Marktsignale, damit an den Auktionsrunden der Windindustrie sich ausreichend Windparkprojektierer beteiligen. Die Windparkprojektierer winken selbst bei dem mangels Wettbewerb derzeit hohen Gebotsniveau nur ab, weil eine unklare Energiepolitik die Windparkerrichtungen massiv verzögert. Eine Konsolidierung durch solche Ausschreibungen macht daher entsprechend weder wirtschaftlich noch technologisch irgendeinen Sinn.
Zeit für neue Entwicklungen: Viele Unternehmen werden gebraucht
Denn tatsächlich ist die jüngste Konsolidierungsphase der Branche eigentlich abgeschlossen. Technologisch ist sie das, weil die neue industrielle Bauart der Windturbinen branchenübergreifend nun schon eingeführt ist. Auch ist die neue flexible Anlagenstrategie schnell entwickelter neuer Turbinen mit immer größeren Rotoren scharf gestellt.
Jetzt braucht die Branche wieder ein anderes Wachstum: Eines, das die Stromproduktion verfeinert, das Digitalisierungen im Windparkbetrieb, Speicher, die Kopplung mit anderen Energieverbrauchssektoren wie Wärme und Verkehr zur Verstetigung der Windstromnutzung vorantreibt. Dazu wiederum braucht es den Wettbewerb unter Einschluss aller Windturbinenbauer, die der Marktentwicklung bis hierher folgen konnten. Auch Senvions.