Tilman Weber
Mit einem 18 Meter hohen Modell im Maßstab von eins zu zehn ist Nezzy² vor wenigen Wochen in einem Baggersee zwischen Bremerhaven und Cuxhaven in die See gestochen. Zunächst soll der Test bei 10 Meter Wassertiefe nur der Erprobung der Ausrichtung der Anlage in den Wind dienen. Diese sogenannte Windnachführung ist die Spezialität des Aerodyn-Konzeptes, da die Anlage sich selbstständig in die Windströmung ausrichten soll. Ebenfalls noch in diesem Jahr soll das Modell dann auch an einem Testort in der Ostsee vor Anker gehen und die Lage sowie das Verhalten des Schwimmfundamentes in den Wellen messen lassen. Auch das Verhalten der Anlage unter den verschärften Bedingungen auf offener See werden die Entwickler dann mehr in den Fokus nehmen, um das Konzept schließlich noch für einen kommerziellen Betrieb mit Windturbinen im heutigen Nennleistungsniveau ab sieben MW feinjustieren zu können.
Die eine Navigationsfläche von 10 mal 10 Meter abdeckende Schwimmerstruktur besteht aus einer gefluteten Y-förmigen Unterwasserstruktur aus Betonfertigbauteilen, an deren äußeren Enden sowie in deren Mittelpunkt jeweils Säulen senkrecht aus dem Wasser ragen. Die zwei Turbinen fußen gemeinsam auf der Mittelsäule, von der aus sie sich von einander in Gegenrichtung abgespreizt zu den Seiten neigen. Drahtseile verspannen beide Windturbinen auf Höhe der Maschinenhäuser miteinander und die Turbinen wiederum mit der auf der Rotorenrückseite gelegenen Schwimmkörpersäule.
Durch die spezielle Abspannung und das ausgeklügelte Konzept sei es nun gelungen, das kostenrelevante Gewicht der Anlage deutlich zu reduzieren, sagte die Leiterin der Abteilung Wind- und maritime Technik bei EnBW in Hamburg, Hannah König, bei der Vorstellung der Kooperation. Aerodynunternehmensgründer und Nezzy-Erfinder Sönke Siegfriedsen betonte, für eine 2018 zu Testzwecken in Japan auf einem konventionellen Schwimmfundament montierte Aerodyn-Windturbine habe die Statik noch einen besonders dickwandigen Turbinenturm erfordert. Mit der zweieinhalbfachen Masse im Vergleich zu Turbinentürmen auf fest in den Meeresboden gerammten Fundamenten habe das Turmdesign hierbei die stärkeren Beschleunigungsimpulse des Schwimmfundaments aufnehmen müssen. Mit dem speziellen Nezzy²-Konzept der Abspannung einer Doppelturbine kommt die Nezzy-Technologie aber mit derselben Turmmasse wie klassisch auf den Seeboden gestellte Offshore-Turbinen zurecht - weil die Seile die Beschleunigungskräfte ableiten.
Kooperationspartner EnBW will die beiden Prototypentests im Baggersee und später in der deutschen Ostsee auch im Hinblick auf die eigenen Pläne eines schwimmenden Windparks vor der Westküste in den USA vorantreiben. Dort will das baden-württembergische Unternehmen in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts einen 1.000-Megawatt-Windpark verankern, der in Bereichen von bis zu 1.000 Meter Wassertiefe entstehen soll. Bis dahin wolle EnBW nicht zuletzt mit Hilfe der Erfahrungen aus der Nezzy²-Entwicklung einen wirtschaftlichen schwimmenden kommerziellen Windpark betreiben können, betonte König. Gemäß den Erwartungen von Nezzy-Entwickler Siegfriedsen ist das Konzept spätestens dann für einen Betrieb in der Dimension kommender Windturbinengenerationen ausgereift. Die Nezzy²-Technologie werde zwei rund 7,5 MW leistende Anlagen mit einer Gesamtkapazität von 15 MW auf nur einem Schwimmkörper zulassen.
Vorher, schon Ende 2021 oder Anfang 2022, soll auch in China ein Nezzy²-Prototyp im Maßstab von eins zu eins ins Meer kommen. Hierzu besteht bereits eine Kooperationsvereinbarung mit einem chinesischen Kunden.
Siegfriedsen erklärte zudem, dass die Entwicklung der Anlage auch einen wirtschaftlichen Einsatz in Wassertiefen schon ab 35 Meter garantieren müsse. Bisher sind zylinderförmige Stahlrohrfundamente bei bis zu 50 Meter Wassertiefe der Standort der Offshore-Windparks in der Nordsee. Als für Nezzy² besonders interessante Regionen hat EnBW bereits drei der schon von den Baden-Württembergern beackerten Offshore-Windmärkte ausgemacht: Frankreich mit schnell abfallenden Meeresböden in Atlantik und Mittelmeer, Taiwan mit teilweise sehr weichen Meeresböden sowie Kalifornien mit extrem tiefem Grund.