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Fernsehkritik

Das Dutzend Halb- und Unwahrheiten der TV-Doku zur Windkraft

  • Bis 5 Minuten 3 Sekunden: Zu sehen sind Bürger. Sie protestieren gegen Windkraft in Ostfriesland – und in Franken. Insbesondere die gezeigten Bürger im Norden Bayerns waren mal für Windkraft. Manche von ihnen wollten sogar selbst mal welche errichten. Nach Windmessungen seien sie davon abgekommen, heißt es: zu wenig Wind. Sie verweisen auf die Stadtwerke Erlangen, auf einen Windpark mit drei Windrädern: „Seit sie stehen, machen die Anlagen Minus“, sagt jemand – seit fünf Jahren. Der Steuerzahler blecht, meint ein anderer. Der Dokusprecher formuliert: „Millionenverluste“ für die Stadtwerke, nur weil es eine Vorgabe vom Stadtrat gebe, bis 2030 die Hälfte des Strom aus erneuerbaren Energien zu liefern. Und obwohl kein Wind über dem Landstrich sei, wolle der kommunale Versorger hier noch mehr Windparks bauen, beklagen die Bürger. Die Stadtwerke würden sich lediglich mit dem Argument verteidigen, sie hofften auf mehr Wind und bessere Zahlen in der Zukunft. Im Regionalplan seien sie schon vorgesehen. Richtig aber ist: Es gibt in Bayern eine 10-H-Regelung. Seit 2014 erlaubt sie keine Windparkgenehmigungen mehr für Anlagen, wo sie näher als das Zehnfache ihrer Gesamthöhe an menschliche Siedlungen heranrücken. Viele Regionalplanflächen sind daher hinfällig. Außerdem stimmt zwar, dass speziell der im Film erwähnte Windpark weit hinter den Erwartungen zurückbleibt. Doch die in der Bilanz der Stadtwerke tatsächlich auftauchenden Abschreibungen und Minusbeträge dürfen natürlich nicht suggerieren, dass der Betrieb bloß von inzwischen einer Handvoll Erlanger-Stadtwerke-Windparks mit zwei, mal drei oder vier Anlagen Millionen-Verluste verursacht – bei gewöhnlich fünfstelligen jährlichen Betriebs- und Kapitalkosten. Tatsächlich haben die Stadtwerke bereits in der Vergangenheit nachvollziehbar erklärt, dass Minuswerte in der Bilanz in den ersten Betriebsjahren aus Abschreibungs- und Steuergründen nicht ungewöhnlich sind und der Windpark nur über seine Laufzeit von 20 Jahren Gewinne einführt. Ziel der Erlanger ist aber angesichts der Situation auf dem Strommarkt kein Plus, sondern eine schwarze Null. Und bei künftigen Windparks setzen sie höhere, modernere Binnenlandanlagen ein, die effizienter sind. Fazit: Seine Mindestglaubwürdigkeit hat das Argument schließlich damit noch verloren, dass der Film nicht einmal die beklagte geringe Windhöffigkeit mit Zahlen dokumentiert.
  • 13 Minuten 18 Sekunden bis 17 Minuten 28 Sekunden: Wespenbussard, Rotmilan und vielfach Arten von Fledermäusen seien durch einen inzwischen gebauten Windpark bedroht, sagt ein Naturschützer. Er sense seine Rotorblätter durch eine Vogelfluglinie – und hätte deshalb vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bekämpft werden müssen, sagt der Mann. Doch wahrscheinlich habe es einen „Deal“ des BUND mit der Windkraft gegeben, suggeriert der Doku-Sprecher und lässt Kronzeugen zu Wort kommen: Menschen, die beim BUND waren und aus Protest ausgetreten sind, ihm zumindest aber zahlreiche engste personelle Verquickungen mit dem Lobbyverband BWE vorwerfen. Vor Gericht hatte der BUND für den hier gezeigten Beispielwindpark tatsächlich auch einen vorläufigen Baustopp erkämpft, lässt der Sprecher immerhin noch wissen. Doch massiver Druck aus dem damaligen BUND-Landesvorstand habe dazu geführt, dass die Windräder dennoch gebaut wurden. Die „Windräder müssen wegen Vögeln und Fledermäusen zwar teilweise abschalten“, räumt die Erzählstimme noch ein. Richtig ist: Windparks sind gesetzlich „privilegierte Bauvorhaben“ im Außenbereich. Sie müssen gebaut werden, wenn nicht rechtlich höher zu wertende Interessen wie etwa der Natur- und Tierschutz den Bau wirklich verbieten. Teilabschaltungen zum Schutz von Vögeln und Fledermäusen zu Jahres- und Tages-Zeiten mit besonderen Flugbewegungen der Tiere sind ein auch bei Vogelschützern anerkanntes Mittel und daher üblich.
  • 20 Minuten 18 Sekunden bis 21 Minuten 37 Sekunden: Die Deutschen bezahlen den Ausbau der Windenergie mit jedes Jahr höheren Stromrechnungen, klärt die Doku vermeintlich auf. Zu sehen ist eine Frau, die mit zwei Niedriglohnjobs gerade mal 1.000 Euro im Monat verdient und damit über die Runden zu kommen versucht. Für sie sind die auf 90 Euro im Monat gestiegenen Stromkosten zu viel. Seit 2008 habe sich die Stromrechnungshöhe verdoppelt. Ihr droht nun eine Stromsperre, weil sie nicht mehr bezahlen kann. Richtig ist: Menschen wie die gezeigte Frau haben in Deutschland Schwierigkeiten mit steigenden Stromrechnungen. Aber sie haben auch Schwierigkeiten mit vielen anderen steigenden Ausgaben. Das ist eine soziale Wahrheit. Die Bild-Zeitung hat diese Filmsequenz dankbar sofort zum Zwecke einer Kritik an der Windkraft aufgegriffen. Dankenswerterweise aber hat sie auch einen Link zur offiziellen Statistik der Bundesregierung zur Strompreisentwicklung mitgeliefert. Der belegt: Die Strompreise in Deutschland sind seit 2013 stabil. Nein: Sie sinken sogar ein wenig, dank der gerade wegen einer Wind- und Solarstromflut zurückgehenden Preise im Börsenstromhandel.  Die Börsenstrompreise plus die sogenannte EEG-Umlage, mit der die Kosten für die über den Börsenstrompreis hinausgehenden EEG-Vergütungssätze auf die Stromkunden verteilt werden, zeigen: von 10,55 Cent pro Kilowattstunde (kWh) auf 10,46 auf 9,96 und 9,77 Cent pro kWh gingen die Kosten seither jährlich zurück. Nun liegen sie etwa wieder auf dem Niveau von 2012: 9,58 Cent pro kWh. Und der durchschnittliche finale Strompreis für gewöhnliche Haushaltskunden stagniert seit 2013: bis im Jahr 2015 lag dieser Preis bei 28,84, 29,14 und 28,71 Cent pro kWh. Übrigens: Einen Anstieg der Kosten gab es vor allem bei den Netzentgelten. Die Politik rechtfertigt dies mit dem Netzausbau, der mit Ausnahme der Anschlüsse von Offshore-Windparks in Deutschland seit Jahren zwar gefordert, aber von den Netzbetreibern nicht verwirklicht wird.
  • 20 Minuten 8 Sekunden: 8 Milliarden Euro Subventionen sollen jährlich an die Windenergie fließen. Je länger der Film geht, desto knapper und einfacher lassen sich die schlechten Argumente widerlegen. Denn die komplexeren Halbwahrheiten vom Beginn des Films werden nun von plumpen Unwahrheiten abgelöst – wie hier. Richtig ist: Der EEG-Umlagebeitrag 2016 liegt bei 22,8 Milliarden Euro, das sagen die Übertragungsnetzbetreiber. Verrechnet mit einem Anteil der Windkraft an der EEG-Umlage von 2,014 Cent und einer jährlichen Stromproduktion aus Windenergieanlagen in Deutschland von wohl in diesem Jahr 100 Terawattstunden (TWh) würden zwei Milliarden Euro Subventionen anfallen. Andere Rechnungen gehen davon aus, dass die Windkraft für 19 Prozent der Kosten der EEG-Anlagen-Einspeisung verantwortlich sei. Denn weitere Unkosten wie die Abregelungen von Windparks bei überlasteten Netzen bei gleichzeitiger Entschädigung durch die Netzbetreiber kommen hinzu. Mit den 19 Prozent veranschlagt ergäben sich aber „nur“ 4,3 Milliarden Euro „Subventionen“ für die Windkraft. Der Film hat hingegen offenbar eine Acht-Milliarden-Euro-Subvention platt aus den EEG-Vergütungssätzen für eine kWh Windkraft bei Neuanlagen von 8,5 Cent geschlossen. Bei demnächst 100 TWh oder wie noch 2015 rund 85 TWh ergeben sich in dieser Falschkalkulation tatsächlich rund acht Milliarden Euro. Doch diese Preise enthalten bereits die Einnahmen aus dem Verkauf des Windstroms an der Börse. Der Film geht hier also fälschlich davon aus – hoffentlich versehentlich –, dass Windstrom anders als konventionell erzeugter Strom an der Strombörse verschenkt werden muss - um dann erst als nicht subventioniert zu gelten.
  • 21 Minuten 56 Sekunden bis 23 Minuten 16 Sekunden: Zu sehen ist eine Demo gegen die EEG-Reform. Sie wird ab 2017 zu massiven Vergütungskürzungen und einer deutlichen Einschränkung des Windkraftausbaus führen. Der Kommentator sagt, die EEG-Reform diene der Eindämmung der Kostenexplosion für die Stromkunden und solle für mehr Wettbewerb unter den Windenergieunternehmen führen. Dagegen laufe die Windkraft Sturm. Gezeigt wird die größte Demo dieses Jahres gegen die Reformpläne in Berlin. Sind hier nur Idealisten unterwegs?, fragt der Sprecher mit simuliertem Sendung-mit-der-Maus-Tonfall: angeblich interessiert und lernwillig. Dann befragt er Menschen mit Warnwesten, die damit offen demonstrieren, dass sie als Belegschaften verschiedener Unternehmen auftreten. Sie wollen ihre Arbeitsplätze erhalten, sagen sie ins Mikro und protestieren daher für die Beibehaltung der aktuellen Vergütungsgarantien und höhere Ausbauziele. Es gehe den Leuten also offenbar gar nicht ausschließlich um die Rettung des Klima, suggeriert die Szene. Richtig ist: Eine wohl bewusste Falschinformation. Unterschlägt der Sprecher doch, dass von den Befragten das auch gar niemand als Hauptmotivation angibt und die Demo mit den Menschen in den Warnwesten das auch nicht vorgibt.
  • 23 Minuten 17 Sekunden: Die Teilnehmer bekommen die Teilnahme an der Demo bezahlt, sagt der Sprecher. Urlaubstage hätten sie nicht nehmen müssen, lässt eine Interviewerin die Windenergie-Beschäftigten in den Warnwesten sagen. Es seien also „bezahlte Demonstranten“, empört sich der Film-Sprecher. Richtig ist: Dass Unternehmen Mitarbeiter demonstrieren lassen, ist so ungewöhnlich nicht. Dass sie in Warnwesten sich als Belegschaftsangehörige kenntlich machen, ist schon ungewöhnlicher. Dass aber bezahlt wird, damit bestimmte Mitarbeiter eine vorgegebene Meinung vertreten, ist eine Unterstellung, die an keiner Stelle überprüft und belegt wird. Alle in den Interviews gezeigten Mitarbeiter erklären sich mit dem Demoziel des Erhalts ihrer Arbeitsplätze einig.
  • 26 Minuten 7 Sekunden: Der Film lässt Bundestagsabgeordnete – zunächst einen von der SPD – als Zeugen für ein angeblich außergewöhnlich aggressives Lobbying der Windbranche auftreten. Als Beispiel nennt er die Aufforderung auf der Website des Bundesverbands Windenergie (BWE). Der forderte Branchenfreunde und BWE-Mitglieder auf, an die Bundestagsabgeordneten des eigenen Wahlkreises Protestbriefe gegen die EEG-Reform zu schreiben. Die Bewertung des BWE-Lobbying gründet sich offenbar auf einer Entdeckung der Filmer: So biete der BWE online das Anklicken fertiger Textbausteine für solche Briefe an. Anklicken und Abschicken, so einfach sei das, lässt der vermeintlich naive Sprecher wissen. Richtig ist: Solche Briefe sind ein längst gewöhnliches Kampagnenmittel der unterschiedlichsten Organisationen in Deutschland.
  • 26 Minuten 24 Sekunden: Die zwei Bundestagsabtgeordneten Michael Fuchs und Joachim Pfeiffer (beide CDU) treten auf. Um die Energiewende gehe es bei den Protesten nicht, sagt Joachim Pfeiffer. Der Ausbau der Erneuerbaren liege „weit über Plan, insbesondere bei Wind“. Richtig ist: Gerade die Abgeordneten Pfeiffer und Fuchs waren bis zuletzt dafür eingetreten, einen schon 2014 im Gesetz angedeuteten Zielkorridor abzusenken, den die Regierung schon seit 2012 anstrebt. Dieser sieht einen Ausbau der Erneuerbaren auf einen Stromanteil von 40 bis 45 Prozent bis im Jahr 2025 vor. Die beiden Unionsabgeordneten haben aber wohl versucht, das Ziel auf 40 Prozent zu senken. Dass der Windenergieausbau schneller voranschreitet als von vielen Optimisten erwartet stimmt. Aber dafür waren die Zubauvolumen der beiden anderen relevanten Erneuerbare-Energien-Technologien Solar- und Bioenergie zuletzt umso rückläufiger.
  • 26 Minuten 52 Sekunden: Michael Fuchs sagt, es gehe der Windkraft nur um massive wirtschafliche Interessen. Er habe nie bei einer anderen Lobby erlebt, „dass so massiv auf Abgeorente eingeredet wurde, um persönliche Interessen durchzusetzen.“ Richtig ist: Weniger glaubwürdig geht nicht, bei einem Abgeordneten, der noch vor der Bildung der aktuellen schwarz-roten Koalition vom SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann als Atom-Fuchs tituliert wurde, weil er die Forderungen und Interessen der Atomkraftlobby originalgetreu umsetzen wollte.
  • 27 Minuten 21 Sekunden: Der Eindruck, dass eine Windkraft-Lobby sich massiv in die Gesetzgebung einmische, zeige sich in exklusiv der ARD vorgelegten Belegen, behauptet der Sprecher. Er verweist auf die im letzten Verhandlungsmonat vor der Verabschiedung des Gesetzestextes im Juli die Obergrenze für den Windkraftzubau von 2.500 MW auf 2.800 MW erhöht worden sei. Richtig ist: Die Obergrenze von 2.500 MW gilt weiterhin. Beschlossen war gemäß auch vorangegangenen Gesetzentwürfen ein atmender Deckel. Der bewirkt je nach Höhe des über die 2.500-MW-Marke hinausgehenden Zubaus gestaffelte Vergütungsdegressionen: Je mehr zu viel zugebaut wird, desto stärker die Vergütungssenkung. 2.800 MW hingegen ist die jährliche Ausschreibungshöhe ab 2017. Diese berücksichtigt zugleich, dass für manche neuen Windturbinen auch alte abgebaut werden. In früheren Gesetzentwürfen war die Höhe der jährlichen Ausschreibung noch nicht genannt. Allerdings hatte der Deckel noch für einen Nettozubau von 2.500 MW gelten sollen – bei dem die Leistung älterer abgebauter Anlagen hätte ausgeglichen werden sollen. Nun ist die Grenze sogar auf einen Bruttozubau festgelegt worden: hier eine leichte Verschlechterung für die Windkraft.
  • 27 Minuten 38: Der Stichtatg einer vorgesehenen einmaligen Extra-Absenkung der Vergütung und deren Höhe seien mehrmals nach hinten verschoben und dann noch verändert worden. Das beklagt der Sprecher. Richtig ist: Diese einmalige Sonderdegression soll den Windparkausbau schon 2017 zurück in die gewünschten Grenzen bringen. Allerdings hatten die Gesetzentwurf-Autoren zunächst eine Absenkung fast auf einen Schlag um 7,5 Prozent vorgesehen. Das hätte einen ungewöhnlich heftigen Projektestau bewirkt, hatte die Windbranche befürchtet. Alle Projektierer hätten dann versucht ihre Projekte auf Anfang 2017 vorzuziehen, was logistisch nicht zu bewältigen sein würde. Daher sind die Vergütungssenkungen auf mehrere Etappen im Jahr verteilt worden – mit dem Effekt einer nur unwesentlich geringeren Einmal-Absenkung.
  • 28 Minuten 33 Sekunden: „Einige wenige machen satte Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit“, lautet das Fazit des Sprechers. Richtig ist: Was die Dokuautoren mit wenige meinen, definieren sie nicht. Die Beteiligung an der Windkraft von Anlegern, Unternehmen und Kapitalgebern ist bekanntlich außergewöhnlich groß im Verhältnis zur wirtschaftlichen Größe der Windbranche.