Arten- und Klimaschutz müssen zusammen gedacht werden, um den Ausbau der erneuerbaren Energien auf eine naturverträgliche Weise zu beschleunigen. Gleichwohl wird der Ausbau der Windkraft seit Jahren durch Klagen von Naturschützern blockiert. Bundesregierung und EU haben mit einer Reihe von Gesetzen und Regeln Maßnahmen eingeleitet, um die Blockaden zu lösen und einen beschleunigten Ausbau zu erzielen. Auf einer Konferenz der Fachagentur Wind an Land zur Zukunft der Windenergie ging es in einer Diskussionsrunde um den aktuellen Stand bei Artenschutz und Windkraft.
Dank der EU-Notfallverordnung, die inzwischen bis Ende Juni 2025 verlängert wurde, kann derzeit auf aufwendige artenschutzrechtliche Prüfungen verzichtet werden, vor allem auf Kartierungen. Die Verordnung macht eine doppelte Umweltprüfung in bereits ausgewiesenen Vorranggebieten überflüssig. Viele Planer kartieren dennoch weiter, um etwaigen Verzögerungen vorzubeugen, falls die Umsetzung der Notfallverordnung noch nicht überall angekommen sein sollte. Der gewünschte Beschleunigungseffekt könnte auf diese Weise ausgebremst werden.
Marie-Luise Pörtner, Geschäftsführerin der Baywa RE Wind, bezeichnet die aktuelle Situation als „Übergangsphase“: „Wir prüfen, wo die Projekte stehen. Wenn wir uns schon im Genehmigungsverfahren befinden oder kurz vor Antragseinreichung, setzen wir sie häufig so fort wie ursprünglich geplant, zumal viele Behörden mit der neuen Gesetzeslage noch nicht vertraut sind und weiter Daten von uns erwarten.“ Für Projekte in einer früheren Phase der Entwicklung bestehe jedoch durch den Verzicht auf Erfassung ein enormes Beschleunigungspotenzial, insbesondere, wenn die zahlreichen aktuell in Neuaufstellung befindlichen Regional- und Flächennutzungspläne dann abgeschlossen und die erforderlichen artenschutzfachlichen Prüfungen auf Planungsebene erfolgt seien. Gleichwohl sieht sie derzeit viele offene Fragen, etwa wie die Verlagerung des Artenschutzes auf die Planungsebene konkret geleistet werden kann oder wo die Ausgleichszahlungen der Planer für den Populationsschutz am Ende tatsächlich landen. Eine Zahlung für gebündelte Maßnahmen statt kleiner, zersplitterter Aktivitäten erscheint ihr gleichwohl sinnvoll. „Ich habe nie verstanden, warum wir Ausgleichsmaßnahmen kleinteilig im Projekt machen. Ich hatte immer den Eindruck, dass das weder für den Naturschutz viel bringt noch für uns, weil wir einen riesigen Aufwand haben“, so Pörtner.
Datenqualität standardisieren
Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte sind zahlreiche Studien zum Thema Artenschutz und Windkraft mit unterschiedlicher Datenqualität erschienen. Eine Standardisierung wäre sinnvoll. Florian Schöne, Geschäftsführer des Deutschen Naturschutzrings (DNR), sieht diese Aufgabe bei der Bundesregierung: „Wir sind in diesem Punkt im Gespräch mit den zuständigen Akteuren und hoffen, dass wir bei den Themen Digitalisierung und Datenportale einen Schritt vorankommen.“ Er wirft die Frage auf, inwiefern man Vorhabenträger verpflichten kann, Daten zur Verfügung zu stellen, damit nicht auf derselben Fläche doppelt agiert wird. Schöne setzt darauf, dass eine solche Verpflichtung umgesetzt wird. Er fragt aber auch nach dem Verfallsdatum von Daten. „Haben diese über zwei Jahre hinaus Gültigkeit? Wenn wir die 2030-Klimaziele erreichen wollen, müssen wir schauen, dass wir die Prozesse beschleunigen. Da sollten wir bereit sein, die vorhandenen Daten im Zweifelsfall auch rückwirkend noch zu nutzen.“ Eine hochgradig relevante Tierart sei auch für andere Regionen relevant. Dennoch könne man den Artenschutz nicht über einen Kamm scheren und müsse auch künftig den Ländern die Möglichkeit einräumen, bei bestimmten Schwerpunktarten nach ihren Landeskriterien vorzugehen.
In dem Zusammenhang liegt es nahe, den Akteuren projektbezogene Daten über eine Onlineplattform zur Verfügung zu stellen. Sabine Riewenherm, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN), gibt zu bedenken, dass auch unterschieden werden müsse, über welche Art von Standardisierung in welchem Zusammenhang man rede. Die Standardisierung von Bewertungsmaßnahmen sei ein Thema. Ein anderes sei die Standardisierung besagter Datenerfassung, die auch sie für wichtig hält. Für die Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren habe man Regelungen eingeführt, die bisherige Verfahren der Naturschutzerfassung in Naturerfassung verändert haben. Darum brauche man eine bessere digitale Erfassung.
Antikollisionssysteme: Fluch oder Segen?
Eine wichtige Frage beim Thema Artenschutz und Windkraft ist auch, welche Bedeutung Antikollisionssysteme in Zukunft haben werden. Marc Reichenbach, geschäftsführender Gesellschafter der Arsu GmbH mit Sitz in Oldenburg, geht davon aus, dass sie nicht überall und nicht verpflichtend eingeführt werden: „Das Erfreuliche ist, dass der Katalog an potenziellen Schutzmaßnahmen jetzt um diese technische Möglichkeit erweitert wird.“ Das Zweite sei die Einschätzung der Verhältnismäßigkeit. „Man wird sicher nicht in jedem Einzelfall gleich mit den schwersten Geschützen, also mit einem perfekten Antikollisionssystem aufwarten müssen.“ Für eine Reihe von Arten, insbesondere Adler, sei ein Antikollisionssystem aber ein wirksames und probates Mittel, ein Projekt umzusetzen, das ansonsten aufgrund erhöhter Konflikte an dieser Stelle nicht umsetzbar wäre. „Aber man muss schon ein bisschen gucken, ist der Aufwand tatsächlich auch verhältnismäßig und angemessen. Die technischen Entwicklungen bei den Systemen sind rasant. Und man muss genau schauen, was tatsächlich der konkrete Bedarf vor Ort ist.“
Marie-Luise Pörtner sieht das Thema Antikollisionssysteme kritisch, zumal diese wirklich teuer seien, je nachdem, wie viele man davon brauche: „Aber ich sehe es vor allem deswegen kritisch, weil mir nicht klar ist: Wann kann ich die Anlagen wieder einschalten? Wie weit muss der Vogel wieder weg sein und weiß ich, ob er gleich wiederkommt?“
Das System führe zudem zu einer Vielzahl von Stopps bei den Anlagen, was sich auch technisch nachteilig auswirke. „Ich würde das aber auch gerne noch mal zum Anlass nehmen zu hinterfragen, warum wir weiterhin mit derart vielen Abschaltungen im Zusammenhang mit dem Arten- und Naturschutz arbeiten müssen. Ich hätte mir eigentlich gewünscht, dass wir davon durch einen stärker populationsbezogenen Ansatz ein Stück weit wegkommen.“
Artenschutz-Hilfsprogramme
Wichtig für die Energiewende sei, was an Megawattstunden am Ende rauskomme. „Wenn wir bei Anlagen massive Ertragsverluste haben, weil wir sie abregeln müssen, dann ist das sowohl betriebs- als auch volkswirtschaftlich wenig sinnvoll. Wir müssen dahin kommen, dass die Anlagen, die wir bauen, auch laufen.“ Man müsse andere Mittel für den Artenschutz finden. „Ich sage nicht, dass wir vollständig auf Abschaltungen verzichten sollten, zum Beispiel bei sehr seltenen und stark gefährdeten Arten, aber ich kann die Logik nicht nachvollziehen, dass einerseits weiterhin Minderungsmaßnahmen und Abschaltungen für jedes individuelle Projekt gefordert werden, man dann aber andererseits zugunsten von Ausgleichszahlungen darauf verzichten kann, wenn sie wirtschaftlich als nicht mehr zumutbar gelten. Warum setzen wir dann nicht konsequent auf den Populationsschutz und auf entsprechende Artenschutz-Hilfsprogramme?“
Bundesgesetz oder Länderleitfäden?
Ein Aspekt, der hier ebenfalls zum Tragen kommt, ist der Föderalismus. Jedes Bundesland hat seine eigenen Bestimmungen. Die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes beschäftigt sich mit Auswirkungen von Windenergieanlagen auf Brutvögel. Aber Störungsverbot und Fledermausbelange werden in den Länderleitfäden behandelt. Eine bundeseinheitliche Regelung würde vieles erleichtern.
BfN-Chefin Sabine Riewenherm meint in dem Zusammenhang, Windenergie sei ein sehr gutes Beispiel dafür, warum man über bundesweite Vereinheitlichungen nachdenken könne, zumal man mit dem Naturschutz mehr in die Doppelnutzung von Fläche gehen müsse. Mit anderen Worten: Ein Miteinander von Windenergie und Natur muss künftig noch viel stärker gedacht werden. „Unser gemeinsames Ziel ist Klimaschutz und Biodiversität. Beide Aspekte müssen so ausgestaltet werden, dass sie miteinander vereinbar sind“, fasst es Marie-Luise Pörtner treffend zusammen. Peter Ahmels, Vorstandsvorsitzender der Fachagentur Windenergie an Land, ergänzt: „Es gab eine Reihe von konkreten Lösungsvorschlägen, wie zum Beispiel das öffentliche Kartierungskataster, um Zeit zu gewinnen, oder die Arbeit an Standardisierungen bei Planung und Genehmigung. Diesen Weg müssen wir weitergehen. Dann kann der Zubau schneller werden.“