Das Fraunhofer ISE will eine Riesensolarfabrik, X-Gigawattfabrik, für Hightech-Module in Europa bauen, um der asiatischen Massenfertigung Paroli zu bieten. Kann dieser Plan das Sterben der heimischen Solarindustrie aufhalten? Solarworld-Mann Milan Nitzschke meint: Nein. Er gibt zu bedenken, dass Europa momentan einen technologischen Vorsprung gegenüber China von anderthalb Jahren hat. "Wie groß wird der Vorsprung einer solchen neuen Fabrik mit nagelneuer Technik sein? Ein bis anderthalb Jahre? Wir hätten dadurch nichts gewonnen." Statt dessen verweist er auf die bereits verfügbare erfahrene Industrie im Land. Diese habe selbst immer wieder gezeigt, dass sie die Kosten reduzieren und die Qualität der Produkte und den Wirkungsgrad steigern kann. "Da macht es nur Sinn, mit der bestehenden Industrie weiterzumachen. Die ist ja nicht umsonst von China kopiert worden. Da brauche ich keine Annonce aufgeben und fragen: Wer investiert in meine neue X-Gigawatt-Fabrik? Wir haben mindestens ein Unternehmen in Europa, das anderthalb Gigawatt weltweit hat, Solarworld, und andere mit 500 bis 1000 Megawatt kommen hinzu. Da macht es keinen Sinn, ein neues Desertec, eine neue Fata Morgana aufzubauen. Wir sollten lieber den Vorsprung, den wir jetzt schon haben, ausbauen. "
ERNEUERBARE ENERGIEN: Die Kernidee der X-Gigawattfabrik ist ja, den europäischen Markt zu beliefern. Nicht den Weltmarkt.
Milan Nitzschke: Was Sinn macht, ist eine deutsche oder europäische Technologieplattform aufzumachen. Verbesserung in der Produktion oder neue Produkte entwickeln gemeinsam mit denen, die hier noch sind: Schlüsselhersteller, -zulieferer, Maschinenbauer, Forschungsinstitute. Dafür muss ich nicht auf der Grünen Wiese etwas neu aufbauen. Solarworld hat bereits ein Angebot an Maschinenbauer und Forschungsinstitute ausgesprochen, mit uns gemeinsam etwas zu machen. Und ich bin zuversichtlich, dass wir das hinbekommen.
Stephan Hansen: Ein Wort zu Commodity und Innovation: Ich habe das Thema lange genug selbst betreuen dürfen. Natürlich finden eine Menge Innovationsentwicklungen im Unternehmen statt. Und man muss einen gewissen Anteil in Forschung und Entwicklung investieren, damit was dabei raus kommt. Ich weiß auch noch ungefähr, wie viel von welchen Unternehmen investiert wurde. Natürlich ist es in China geringer. Ich glaube aber nicht, dass dort keine Innovation stattfindet. Ich glaube auch nicht, dass man pauschal sagen kann, dass immer minderwertige Qualität aus China kommt. Wenn wir Produkte monitoring, testen und zertifizieren, sehen wir, dass es dort eine Landschaft von Herstellern mit sehr unterschiedlichen Niveaus gibt. Innovationen werden auch über den deutschen Maschinen- und Anlagenbau getrieben. Die Chinesen sind teilweise so gut, weil deutsche Anlagenhersteller sie dazu mit den entsprechenden Anlagen ausgestattet haben und immer noch teilhaben.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Das klingt so, als würde der chinesische Hersteller unser Wissen abgreifen.
Hansen: Nein. Ich glaube, das ist eine ganz legitime Methode, auch über die Lieferanten Innovation zu betreiben. Das sehen wir in vielen Industrien, dass es Kern-Know-how in der Zulieferindustrie gibt. Beim Solarmodul als hoch automatisiertem Produkt gibt es viel Know-how auf der Ebene – wie auch in der Halbleiterindustrie. Die Hersteller gehen die Innovationsschritte mit dem Anlagenhersteller. Ich glaube, dass da in der Vergangenheit einer der Erfolge der chinesischen Industrie lag.
Jetzt stehen Sie auf der Planer-Seite, Herr Hansen. Sie hatten aber ja früher auch die Hersteller-Perspektive. Hätten Sie da ebenfalls so gesprochen?
Hansen: Als ich bei First Solar war, haben wir immer gesagt, dass wir Transparenz und offene Märkte wollen, damit wir möglichst hohe Skalierung und schnelle Reduzierung der Kosten erreichen. Die Perspektive vertrete ich noch. Die Abkapselung der Märkte führt dazu, dass wir länger brauchen bis zur Wettbewerbsfähigkeit der Photovoltaik. Je länger wir brauchen, desto höher das Risiko für die Industrie abgeschossen zu werden – in bestimmten Märkten oder ganzheitlich.
Was ist Wettbewerbsfähigkeit? Ein billiges Massenprodukt oder ein innovatives Produkt anzubieten?
Hansen: Wettbewerbsfähigkeit ist immer eine Lösung, kein Produkt. Aber die Lösungen tragen zur Entwicklung von Produkten bei. Wenn jede Komponente sehr teuer ist, habe ich unterm Strich eine teure Lösung.
Nitzschke: Das muss ich nochmal sagen: Ich bin auch sehr für offene, freie und transparente Märkte. Aber nicht für Staatswirtschaft. Das, was da passiert, ist ähnlich, wie es in der DDR oder UDSSR passiert ist: Ein Staat, der nach einem Fünf-Jahres-Plan eine Industrie so weit hoch zieht, dass man dramatische Überkapazitäten hat. Und jetzt weiß man nicht, wohin mit den ganzen Modulen und schifft sie nach Europa und in die USA? Das macht den Preis kaputt und zerstört den Wettbewerb. Das ist nicht freier Markt, sondern weltweit verbotenes Dumping. Damit fährt man PV gegen die Wand. Deswegen will ich offene und freie Märkte. Und ich will nicht, dass wir abhängig sind von der Staatswirtschaft China.
Beim Thema Wettlauf unserer Technologie, um möglichst schnell die Fossilen vom Markt zu verdrängen: Da bin ich dabei. Das will ich auch möglichst schnell haben. Aber warum redet in Deutschland wohl jeder nur noch über die „irrsinnigen Solarkosten“? Warum will man den PV-Zubau weiter einbremsen, obwohl wir schon bei unter zwei Gigawatt in diesem Jahr landen werden. Wir hatten drei Jahre in Folge über sieben Gigawatt Zubau im Jahr. Italien hatte sogar mal neun Gigawatt in einem Jahr. Dass das irgendwann von der Politik gestoppt werden würde, war doch jedem sonnenklar. Und wer hat denn das gebaut? Solarworld jedenfalls nicht. Dafür kenne ich unsere Zahlen. Das waren fast ausschließlich chinesische Produkte, die in Massen zu einem bis dato unbekannten Preisniveau nach Europa geschleust wurden. Das hat uns richtig die Märkte kaputt gemacht. Und noch heute leiden wir darunter und wissen nicht genau, wie es weiter geht mit der Energiewende was PV betrifft.
Ist für den Projektierer eher das innovative Produkt interessant oder das preiswerte Produkt?
Hansen: Wir schauen nur auf Systemkosten, auf Innovation wie Wirkungsgradsteigerungen und Kostenreduzierung. Innovation gepaart mit Skaleneffekten. Das heißt, ich brauche Hersteller, die über Kapazitäten verfügen und sie auch erhöhen können. Zum Thema Markt: Da können wir uns wahrscheinlich lange drüber streiten, warum bestimmte Märkte mit welchen Fördermechanismen schief gegangen sind. Das Bild ist nicht so einfach zu zeichnen. Wir haben die aktuelle Situation ein Stückweit selbst verschuldet, indem wir höhere Fördersätze proklamiert haben, wo sie nicht nötig waren. Da hätten wir vielleicht noch rechtzeitiger gemeinsam auf die Politik einwirken müssen. Aber das ist schwierig, die Vergütung zu senken und das Explodieren der Märkte zu verhindern.
Dies ist ein Dialog aus einem Gespräch, das Sven Ullrich und Nicole Weinhold während der Intersolar mit Milan Nitzschke und Stephan Hansen führten. Der Hauptteil des Gespräch, die Diskussion über Strafzölle, lesen Sie in der Juli-Ausgabe unseres Magazins. Hier zu E-Paper. Hier geht es zum kostenlosen Probeabo.