Eine Wertsteigerung um 50 Prozent trauen die von der internationalen Nachrichtenagentur Reuters nicht namentlich genannten Quellen Senvion seit der Übernahme durch Centerbridge im Januar zu. Damals hatte das Private-Equity-Unternehmen Centerbridge das Unternehmen vom verschuldeten indischen Windkraft-Konzern Suzlon zu 100 Prozent für eine Milliarde Euro erworben. Nun sollen „zwei mit der Sache vertraute Personen“ aus Finanzkreisen im Gespräch mit Reuters erklärt haben, dass Centerbridge jeweils das Szenario eines Verkaufs oder eines Börsengangs von Senvion durchspiele. Denkbar sei eine Bewertung des Windkraftunternehmens für eine solche Kapitalisierung von 1,5 Milliarden Euro, will Reuters erfahren haben. Als Berater für dieses Vorhaben seien explizit die Deutsche Bank sowie die amerikanische Investmentbank JP Morgan beteiligt, heißt es in dem Bericht. Dieser wurde von wenigen Online-Medien bislang aufgegriffen, darunter aber beispielsweise das norwegisch-britische Erneuerbare-Energien-Branchenmagazin Recharge.
Als Begründung für frühzeitigen Verkauf nannten die Berichte die momentane Situation auf den Aktienmärkten. Weil die Kurse der Indizes überall weltweit aufgrund viel vorhandenen freien Kaitals in die Höhe gingen, aber auch die Windkraft boomt, wolle Centerbridge den binnen nur ines Jahres mutmaßlich um 50 Prozent erhöhten Verkaufswert Senvions nutzen – und Gewinne mitnehmen. Normalerweise würden Private-Equity-Unternehmen aber ihre Firmeneinkäufe rund sechs Jahre lang behalten, Centerbridge könne aber nun die hohe Wertschätzung für Senvion ab 2016 zu Geld machen.
Weder Senvion noch Centerbridge oder die genannten Banken äußern sich zu den Gerüchten. Das ergaben Nachfrageen von ERNEUERBARE ENERGIEN sowohl bei Senvion als auch bei Centerbridge. „Wir sprechen nicht für unseren Shareholder“, teilt Senvion mit. Spekulationen über Verkäufe kommentiere Centerbridge nie, ließ ein Sprecher für Centerbridge wissen. Allerdings verwies Reuters auf Beispiele anderer Private-Equity-Firmen, die jüngst Firmenkäufe nach kurzer Zeit einzig deshalb wieder veräußerten, weil derzeit ein Verkäufermarkt existiert: Eine Marktsituation, in der Verkaufspreise sich zugunsten der Verkäufer gewandelt haben.
Senvion kauft Zulieferer
Dass Senvion derzeit ohnehin ein sehr attraktives Unternehmen für Investoren ist, steht derweil außer Frage. Mitte November meldete das Unternehmen, die Technologie Rodpack des Spezialzulieferers Chase Coporation aus den USA gekauft zu haben, der ein neues Material für die bisher in den Rotorblättern zur Stabilisierung eingesetzten Gurte aus unidirektional ausgelegten Glasfasern herstellt: Das Rodpack-Verfahren produziert sogenannte pultrudierte Stäbe aus Glasfasern. Dabei handelt es sich um zu fadenähnlichen Bündeln kombinierte lange Glasfasern, genannt Roving, auf einem Kunststoffvlies, also einem aus kurzen und chaotisch zusammengewirkten Fasern gebildeten Teppich. In dem Rockpack-Verfahren ziehen die Produktionsanlagen die Rovings mit Kunstharz durch eine Matrize – eine Härtungsform. Beim Hindurchziehen der Rovings mit dem Kunstharz härtet beides aus. Der neue Gurt als Ergebnis dieser Formgebung sei „um 20 Prozent besser“ als das Standardmaterial, teilte Senvion-CEO Andreas Nauen nach dem Kauf des Zulieferers mit. Senvion habe die Technik bisher nur bei den Rotorblättern der Offshore-Anlage 6.2M152 eingesetzt und setze sie als einziger Anbieter ein. Die Verwendung von Rodpack ermöglicht eine schnellere Fertigungszeit in der Rotorblattproduktion verbunden mit einer höheren Effizienz dank verbesserter struktureller Eigenschaften im Qualitätswettbewerb mit vergleichbaren Glasfasergelegen.
Nicht zuletzt der Kauf der Zulieferer-Technologie ist ein Signal: So hat sich Senvion im Trend zur Entwicklung von Anlagen mit immer größeren Rotoren für Binnenlandstandorte zuletzt an die Spitze gesetzt. Die 3,4-Megawatt-Anlage 3.4M140 hat mit 68,5 Meter langen Rotorblättern die wohl längsten Windturbinenflügel an Land. Nur Konkurrent Enercon präsentierte im November die Entwicklung einer 4,2-Megawatt-Anlage mit 141 Metern Rotordurchmesser, die damit einen ganz knapp größeren Rotor tragen wird. Weil allerdings Naben der getriebelosen Enercon-Maschinen aufgrund ihres mächtigen Direktantriebs-Generators ebenfalls sehr groß sind, dürfte das Rotorblatt der Eneron-Turbine E-141 noch knapp kürzer ausfallen. Mit den größeren Rotorblättern greifen die Windturbinen verlässlicher und stetiger den Wind auch in windschwachen Regionen ab – und erhöhen das Drehmoment und so auch die Leistungsfähigkeit. Die längeren Rotorblätter aber bedürfen besonders ausgefeilter Designs oder neuer Materialien, um nicht zu schwer zu werden.
Großes Wachstum in Deutschland und Großbritannien
Aber auch die reinen wirtschaftlichen Kenndaten überzeugten zuletzt. So meldete das vom 1.April. bis zum 31. März des Folgejahres bilanzierende Unternehmen im Juli einen Gewinn von 155 Millionen Euro nach 146 Millionen Euro im Vorjahr. Der Umsatz näherte sich der Zwei-Milliarden-Euro-Grenze nach einem Wachstum von 6,6 Prozent. Dafür errichtete Senvion in zwölf Ländern 683 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 1,8 Gigawatt (GW), im einjährigen Vergleichszeitraum ein Jahr zuvor waren es noch 1,5 GW.
Vor allem in Deutschland, aber auch insbesondere in Großbritannien hält dieser Trend offenbar an: Darf man den Daten der Berliner Fachagentur Windenergie an Land glauben, so hat Senvion alleine in den ersten drei Quartalen 2015 in Deutschland an Land 152 Anlagen beziehungsweise 449,7 MW errichtet – das gewöhnlich besonders starke vierte Quartal steht in dieser Bilanz noch aus. Alleine der Binnenlandtyp der ersten Schwachwindgeneration des Herstellers, 3.2M114 war mit 97 Anlagen daran beteiligt. Und der Trend ist stabil: Für Großbritannien meldete Senvion in diesem Jahr schon Bestellungen von Anlagen mit 200 MW, die noch im kommenden Jahr auf der Insel in Betrieb gehen sollen.
(Tilman Weber)